Leserstimmen zum Myfest in Kreuzberg: "Ich muss spontan an die Loveparade denken"
Die Massen und die Sicherheit beim Myfest machen Kreuzbergs Bürgermeisterin Monika Herrmann Sorgen. Sie will "intensiv" über die Zukunft des 1. Mai in Berlin diskutieren. Unsere Leser haben schon mal angefangen.
Zehntausende tummelten sich am 1. Mai auf dem Myfest, im Görlitzer Park und drumherum. Zu viel, findet Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Sie sorgt sich um die Sicherheit der Festgäste - und will "intensiv" darüber diskutieren, wie es mit dem 1. Mai in Kreuzberg weitergehen soll. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hat Herrmann drei Szenarien genannt: das Festgelände vergrößern, verkleinern oder das Myfest ganz absagen. Denkbar wäre auch eine Verlagerung, etwa aufs Tempelhofer Feld. Aber das wäre nicht in Herrmanns Sinn. "Das Fest gehört nach 36", sagt sie.
Herrmanns Vorstoß hat sofort eine lebhafte Debatte unter unseren Lesern ausgelöst. Viele teilen den Eindruck, dass die Popularität des Festes inzwischen zum Sicherheitsproblem geworden ist.
"Ich muss spontan an die Loveparade 2010 denken!", schreibt "atzebrauner" in der Kommentarspalte zu unserem Artikel. "creezy" befürchtet auch in Kreuzberg Schwerverletzte oder Tote, "wenn das doch mal kippen sollte". Als Anwohner gefalle ihm das Fest, aber nach den Erfahrungen vom Freitag sagt er: "Das Risiko feiert da mit."
"Wer schonmal versucht hat, zu Spitzenzeiten etwa durch die Oranienstraße zu kommen, der hat feststellen müssen, dass da viel Glück dabei war", berichtet unser Nutzer "dunkelbunt". "Auch am Kotti, wo der gesamte Kreisverkehr abgeriegelt wurde. Die Leute mussten beidseitig durch die baustellenbedingt sehr enge Fußgänger-Ampel an der Admiralstraße. Glücklicherweise kam dort niemand zu Schaden."
Myfest und Kinderfest - zweierlei Maß?
Wie schon Tagesspiegel-Redakteur Jörn Hasselmann in seinem Kommentar wundert sich auch unser Leser "htcone" über die Entscheidung, das Myfest zu genehmigen, aber aus Sicherheitsgründen das Nisan-Kinderfest auf der Straße des 17.Juni zu verbieten. "Und dort kann man in den Tiergarten flüchten im Notfall!"
Herrmanns Bedenken seien "nicht von der Hand zu weisen, denn wenn die zulässigen Kapazitäten schon am Mittag erreicht sind, dann ist das Gelände einfach zu klein", kommentiert "sonofnyx". "Was nützt es, wenn das Fest nach SO36 gehört, dort aber kein Platz mehr dafür ist? Das Tempelhofer Feld wäre wohl tatsächlich der bessere Ort dafür."
Und unser Leser "TotaK-Zuhaus" weist noch auf einen anderen Aspekt hin: "Immer wenn ich an Essensständen mit Propangaskochern dort vorbeigehe, beschleicht mich ein ungutes Gefühl", schreibt er. Die Geräte seien "auf Campingniveau".
"Wie Rosenmontag in Köln, nur ohne Kostüme"
Nicht nur die Sicherheit beschäftigt die Menschen, auch die Auswüchse, die das Feiern inzwischen angenommen hat, empfinden manche als Problem. Für "bergmann61" hat sich das Myfest zum "Oktoberfest für die internationale Trinkerjugend" entwickelt. "Der 1. Mai in Kreuzberg ist wie der Rosenmontag in Köln geworden, nur ohne Kostüme", schreibt unser Leser "lino". "Horden junger Leute saufen, kotzen und pinkeln die Gegend voll."
Der Müll war zwar am Samstag schnell beseitigt. Am 1. Mai selbst ist er aber vielen unangenehm aufgefallen. "Die Mülleimer der BSR waren schon am frühen Nachmittag heillos überfüllt", erinnert sich "mewto". "Gerade im Park hätte man locker noch zusätzliche Container aufstellen können."
"ThomasM" sieht da auch Monika Herrmann in der Pflicht. "Wie wäre es mit knallharten bezirklichen Auflagen zu Pfandgeschirr und einem vernünftigen Entsorgungskonzept? Dazu Ordnungsgelder und Platzverweise für die Wegwerfer." Gerhard Stenkamp geht sogar noch weiter: "Wenn weniger Müll produziert, bin ich für das Fest, wenn die Vermüllung so weitergeht: Knallhart verbieten!"
"Wenn das Fest geht, kommt der Krawall zurück"
Andere sehen die Lage weniger dramatisch. So ein tolles Fest!", meint Susanne Liedtke. "Sogar mit Kids war es ein entspanntes Feiern, zumindest am Nachmittag." Als "Panikmache" betrachtet "skytop" die Debatte. "Hab mich da nie irgendwie so beengt gefühlt, dass man Angst haben müsste." Ein größeres Gelände, mehr Personal für die Stadtreinigung, dann wäre das Problem in seinen Augen gelöst. "morgensum5" regt eine "Zugangsbegrenzung" an. "Eintritt könnte ebenfalls erhoben werden", schreibt er - aber nicht für Anwohner. "
Unser Leser "joeescher" würde zumindest in der Adalbert- und Naunynstraße auf Bühnen verzichten. Dort sei das Gedränge "schon vor Jahren haarsträubend" gewesen. Er warnt aber auch vor einem Aus für die Open-Air-Party: "Das Myfest nun nach diesem Erfolg - der friedlichste 1. Mai in 28 Jahren - aber abzusagen, hieße, wieder auf Randale zu setzen."
So sehen es viele Kommentatoren. "Wenn das Fest geht, kommt der Krawall zurück", prognostiziert Lutz Fellehner auf unserer Facebook-Seite. "Jetzt haben sie es geschafft, mit dem Myfest die Randale einzudämmen und es ist auch wieder nicht gut", schreibt Jürgen Müller. "Da soll mal einer schlau draus werden" Und Alexander Wohlgemuth meint: "Ich bezweifle mal ganz stark, dass die Müllbeseitigung nach dem Fest teurer ist als die Reperatur der Schäden durch Krawalle."
"In eine Sackgasse manövriert"
Kreuzberg steckt in einem Dilemma. "Bezirk, Senat und Polizei haben sich hier in eine Sackgasse manövriert", urteilt "frieke". "Auch ohne offizielles Myfest werden Tausende in Kreuzberg am 1. Mai feiern - so wie das ja, auch wenn's gerne unterschlagen wird, auch vor dem Myfest war. Schickt Henkel dann seine Polizei, weil's ja nicht angemeldet ist oder warum auch immer, hat man ganz schnell wieder Zustände wie vor der Jahrtausendwende."
"yarramalong" verteidigt deshalb das Fest. "Ist die Zeit der Krawalle mit 500 verletzten Beamten an einem Abend denn sicher genug gewesen?". Er sieht im Myfest ein "Erfolgsrezept", das nun "madig gemacht werden" solle. "Mit dem Argument Sicherheit kann man einem das ganze Leben versauen."
Und die Verantwortlichen dafür sind schnell gefunden: Viele sehen durch Herrmanns Äußerungen ihr Bild von den Grünen als "schlimmste Verbotspartei, die dieses Land jemals erlebt hat" (Leser "RubbelDubbel"), bestätigt. "Liebe Frau Herrmann, es wird keine touristenfreien Zonen mehr in Berlin geben, Sie können Kreuzberg auch nicht vor der Welt absperren", schreibt "A.v.Lepsius" der Kreuzberger Bürgermeisterin. Und was hat die dazu zu sagen? Dass sie nie etwas gegen Touristen gesagt habe.
"Die späte Rache für den Ballermann"
"Kaypakkaya" nimmt Herrmann auf seine Weise in Schutz, "denn diese üble Dame hat nicht nur planlos die Straßen aufgerissen mit ihrem rotgrünen Presslufthämmerchen, sondern sie hat auch das schlechte Wetter zu verantworten, die ungünstige Lage des Bezirks Kreuzberg zwischen Neukölln und Mitte und vor allem auch, dass die Erdscheibe so abstoßend flach ist".
Roberto Gartz sieht in den Touristenattraktionen Myfest und Karneval der Kulturen "die späte Rache der Spanier für den Ballermann". Was den Leser "Ostgrenze" offenbar zu der Schlussfolgerung verleitet: "Die Strategie, gewaltbereite Krawallmacher in einer Menge aus sauf- und kiffbereiten Unpolitischen aufgehen zu lassen, ist gelungen." Johannes Sievers hingegen kann dem Massenauflauf in Kreuzberg durchaus etwas abgewinnen. "Das MyFest hat einen eindeutigen Vorteil gegenüber dem gleichzeitig stattfindenden Baumblütenfest: Für die Anreise muss kein Ergänzungsfahrschein gelöst werden!"
Es scheint, als ob dem Bezirk noch eine lange Debatte über das Myfest bevorsteht - zumal auch die Polizei die Sicherheit zum Thema machen will. Unser Leser Rolf Krahl hat seine Entscheidung schon getroffen. "Solange das Myfest hilft, daß der 1. Mai friedlicher bleibt, ist es gut", schreibt er bei Facebook. "Aber schön ist es schon lange nicht mehr. Eigentlich ist es nur noch ein Gedrängel, laut, dreckig und eine unangenehme Atmosphäre. Ich geh' da nicht mehr hin."
Ingo Salmen