Corona-Unterstützung fürs Gesundheitsamt: Herrmann will doch Soldaten in Friedrichshain-Kreuzberg – die BVV noch nicht
Bisher verzichtet Friedrichshain-Kreuzberg auf Bundeswehr-Hilfe in der Pandemie. Die BVV verschiebt die Entscheidung darüber, ob sich das künftig ändert.
Der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird vorerst weiter keine Soldaten zur Unterstützung seines Gesundheitsamtes in der Corona-Pandemie einsetzen. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hatte sich zwar am Donnerstag für den Hilfseinsatz der Bundeswehr in ihrem Bezirk ausgesprochen. Sie sagte dem Tagesspiegel, sie hoffe auf einen entsprechenden Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Donnerstagabend.
„Jede helfende Hand wäre uns in dieser Lage willkommen und wenn die Bezirksverordneten sich heute Abend für einen Einsatz entscheiden, soll mir das sehr recht sein.“ Die BVV allerdings folgte Herrmanns Wunsch nicht.
Herrmann widersprach aber der Kritik von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), der Bezirk riskiere mit der bisherigen Ablehnung der Hilfe eine Verschärfung der Infektionslage in ganz Berlin. „In der jetzigen Größenordnung schafft das Gesundheitsamt seine Ausgaben. Wir sind nicht arbeitsunfähig, weil wir keine fünf Soldaten haben“, sagt die grüne Bezirksbürgermeisterin. Die Verteidigungsministerin hätte sich vor ihrer scharfen Kritik mit der Situation vor Ort vertraut machen sollen.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die Weigerung des Bezirks kritisiert, in der Pandemie Hilfe von der Bundeswehr anzunehmen.
Friedrichshain-Kreuzberg ist der einzige Berliner Bezirk, der bislang nicht auf die Hilfe der Bundeswehr zurückgreifen möchte – obwohl die Zahl der Neuinfektionen dort sehr hoch ist und immer wieder an der kritischen Obergrenze von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen kratzt.
Anträge von SPD und CDU in den Ausschuss überwiesen
Die Mehrheit in der BVV war bislang gegen den Hilfseinsatz der Bundeswehr gewesen - und so blieb das auch am Donnerstagabend. Die Verordneten verweisen mehrheitlich die Anträge (SPD und CDU) zum Einsatz der Bundeswehrsoldaten im Bezirk zur weiteren Diskussion in den Sozialausschuss zur weiteren Diskussion.
Die Verordneten sehen für den Einsatz von Soldaten zur Unterstützung des Gesundheitsamtes in der aktuellen Situation keine Notwendigkeit und das Amt als gut aufgestellt. Das heißt allerdings nicht, das wurde am Donnerstagabend auch deutlich, dass sich diese Einschätzung ändern kann, wenn sich das Infektionsgeschehen verschlechtern sollte.
Bundeswehrsoldaten helfen bei der Kontaktnachverfolgung
Bereits im Juni hatte Friedrichshain-Kreuzberg den Einsatz von Soldaten im Gesundheitsamt abgelehnt. Im August hatte der Berliner Landesverband der Linkspartei einen Antrag mit dem Titel "Bundeswehr raus aus den Gesundheitsämtern" beschlossen. Eine "schleichende Vermischung ziviler und militärischer Kompetenzen" sei aus Gründen der Bewahrung der Demokratie und angesichts "der Erfahrungen mit dem deutschen Militarismus eindeutig abzulehnen", heißt es darin. Der zuständige Gesundheitsstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, Knut Mildner-Spindler, ist selbst Linker.
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In elf Berliner Bezirken kommen bereits Soldaten zum Einsatz, die bei der oft telefonischen beziehungsweise IT-gestützten Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten oder in Teams für Tests eingesetzt werden. Zu den bisher 60 Soldatinnen und Soldaten sollen noch einmal 180 dazukommen.
Laut Bezirkssprecherin Sara Lühmann sind in Friedrichshain-Kreuzberg 71 Mitarbeiter mit dem Infektionsschutz befasst, 45 davon beschäftigen sich mit der Nachverfolgung von Kontakten - „lageangepasst auch mehr“. Seit Juni - als in anderen Bezirken die ersten jeweils fünf Soldaten arbeiteten - verfolge der Bezirk des Aufbau eines eigenständigen Pandemieteams.
Dafür seien mit Landes- und Bundesmitteln 18 befristete Stellen geschaffen worden, diese würden um weitere vier aufgestockt. Lühmann sagte, man habe vor allem junge Menschen, Akademiker, Mediziner, Naturwissenschaftler eingestellt. „Der Einsatz ist auch effektiver, weil sie im Vergleich zur Bundeswehr ein ganzes Jahr bleiben und nicht ständig ausgetauscht werden.“
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Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann sagte dem Tagesspiegel, dass das Hauptproblem des Bezirks aber nicht die Kontaktnachverfolgung, sondern zu wenig Personal beim bezirklichen Ordnungsamt sei. „Wir haben in diesem Bereich riesige Probleme und bräuchten eine Verdreifachung des Personals, um unseren Aufgaben nachzukommen“, sagte sie. Bislang arbeiteten im Bezirk 40 Mitarbeiter im Außendienst.
Die Ordnungsämter sollen in Berlin die Einhaltung der Corona-Regeln kontrollieren – kommen aber in vielen Bezirken kaum hinterher. Die Mitarbeiter sind mit der Kontrolle von illegalen Partys, Regeln in Restaurants, Bars oder Parks völlig überfordert.
Nachdem anfangs die Polizei bei diesen neuen Aufgaben unterstützt hatte, sind die nun zu großen Teilen auf die Bezirke übergegangen. „Dafür müssen die Bezirke ausgestattet werden – wir brauchen Personal, Räume, Fortbildungen“, sagte Herrmann.
Müller: „Ich denke, wir sollten die Hilfe, die uns angeboten wird, auch annehmen“
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sprach sich am Donnerstag dafür aus, die Unterstützung der bezirklichen Gesundheitsämter durch Soldaten und Mitarbeiter der Bundeswehr grundsätzlich anzunehmen.
„Ich denke, wir sollten die Hilfe, die uns von der Bundeswehr angeboten wird, auch annehmen“, erklärte Müller im Berliner Abgeordnetenhaus und machte deutlich, dass es sich auch „weiterhin über die Unterstützung sehr freuen“ würde. Er sei „sehr dankbar, wenn uns die Bundeswehr hilft, eine weltweite Krise besser zu meistern“, erklärte Müller und kündigte an, diese Haltung in einem für den Tagesverlauf anberaumten Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich zu machen.
Neben Müller äußerte sich auch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) positiv über die Unterstützung der Gesundheitsämter durch die Bundeswehr. „Die Bundeswehr hat uns unter anderem beim Aufbau der Corona-Klinik auf dem Messegelände unterstützt und war in der Vergangenheit sehr willkommen“, erklärte Kalayci. Zusagen hätten bislang stets unkompliziert stattgefunden und die Offenheit der Bezirke sei nach wie vor vorhanden.