Nachverfolgung von Infektionsketten: Warum Friedrichshain-Kreuzberg die Corona-Hilfe der Bundeswehr ablehnt
Fünf Soldaten wollten ihren Dienst im Gesundheitsamt Kreuzberg antreten, wurden dort aber abgewiesen. Stattdessen will man studentische Hilfskräfte anheuern.
Die Berliner Gesundheitsämter bekommen Hilfe von der Bundeswehr. 60 Soldaten sollen die Mitarbeiter bei der Kontaktverfolgung möglicher Coronavirus-Infizierter entlasten. Die Bundeswehr reagierte damit auf ein Amtshilfeersuchen der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung.
Die Bezirksämter Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg lehnten dies jedoch ab. Der zuständige Kreuzberger Stadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) sagte dem Tagesspiegel, dass Gesundheitsamt hätte die Hilfe angenommen. Aber es sei keine Mehrheit aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu erwarten gewesen. Daher hatte er dem zuständigen Oberstab schriftlich am 30. Mai abgesagt.
Zu spät: Am 2. Juni erschienen fünf Soldaten in der Frühe beim Bezirksamt und wollten ihren Dienst antreten. Gegen Mittag erhielten sie den Marschbefehl und wechselten ins Bezirksamt Mitte.
Dort dürfte sich Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) über die zusätzlichen Arbeitskräfte freuen: „Wir danken den Soldaten für die Unterstützung und freuen uns über ihren Einsatz. Eine solche Zusammenarbeit zwischen Bezirksverwaltung und Bundeswehr ist bislang einmalig und gab es in dieser Form noch nie“, hatte er am Dienstag bei der Begrüßung der Soldaten gesagt, zu der auch Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) und Brigadegeneral Andreas Henne gekommen waren.
Kalayci hat kein Verständnis für die Ablehnung aus Lichtenberg und Kreuzberg: „Die Hilfe der Bundeswehr ist hoch wirksam.“
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Eine Abstimmung über die Annahme der Hilfe hatte es in der BVV-Kreuzberg nicht gegeben und hätte es, laut Pressestelle des Bezirksamts, auch nicht geben müssen. Linke und Teile der Grünen hätten bereits klar signalisiert, dass sie einen solchen Einsatz nicht unterstützen.
Zudem sei das Gesundheitsamt ausreichend für die Kontaktnachverfolgung ausgestattet - 35 Mitarbeiter seien mit dem pandemischen Geschehen befasst. Trotzdem werde man noch diese Woche Auswahlgespräche mit möglichen studentischen Mitarbeitern führen, die im Gesundheitsamt aushelfen sollen. Bereits 70 Interessierte hätten sich gemeldet.
Teilnehmer der Demo am Landwehrkanal sollen nicht nachverfolgt werden
Einen Tag, nachdem Stadtrat Mildner-Spindler der Bundeswehr abgesagt hatte, fand auf dem Kreuzberger Landwehrkanal eine Demonstration mit rund 1500 Teilnehmern statt, die mehr zu einer Party wurde - Abstandsregeln wurden nicht eingehalten. Die Berliner Clubcommission, die selbst nicht an der Planung beteiligt war, ruft nun die Besucher auf, ihre Sozialkontakte vorübergehend einzuschränken.
"Die Demoteilnehmenden werden nicht nachverfolgt, es gab nach unserer Information keine Auflagen, gegen die man hätte verstoßen können", so Mildner-Spindler. Sollte sich auf der Demo ein Infizierter aufgehalten haben, könne es schwierig werden, da "wahrscheinlich Wenige wissen werden, mit wem sie da zusammen waren und Teilnehmerlisten von den Veranstaltern nicht ausgelegt wurden."
Würde ein positiv getesteter Mensch gegenüber einem Gesundheitsamt angeben, auf dieser Veranstaltung gewesen zu sein, würde sicherlich nicht nur, beispielsweise, der Kreuzberger Club "Kater Blau" einen Aufruf starten, sondern auch das Bezirksamt, so Mildner-Spindler weiter. "Da aber sicher nicht nur Personen aus Kreuzberg teilgenommen haben, würde sich die Belastung auf alle Berliner Gesundheitsämter verteilen."
Auch Bezirksamt Lichtenberg lehnt Hilfe der Bundeswehr ab
Aus Lichtenberg teilte das zuständige Büro von Stadträtin Katrin Framke (parteilos, für die Linke) mit, die Absage habe vor allem fachliche Gründe. Es seien bereits 60 Personen in der Kontaktpersonenermittlung und Quarantäneüberwachung tätig.
Vorwiegend sind dies Mitarbeiter des Gesundheitsamts, unterstützt durch Hilfskräfte anderer Ämter und des Robert Koch Instituts, die über ein medizinisches Grundverständnis verfügen. „Bei dem Angebot der Bundeswehr handelt es sich nicht um medizinisch geschultes Personal“, so Christoph Keller, Referent der Stadträtin. „Die Erfahrung bei uns im Bezirk zeigt, dass es sich nur in sehr geringem Maße um standardisierbare Gesprächsverläufe handelt, die Fälle sehr individuell und zum Teil komplex sein können und medizinischen Sachverstand erfordern.“
"Stimmungsmache gegen Helfer in Uniform"
Boris Binkowska, persönlicher Referent von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), hatte getwittert, dass kein medizinisch-geschultes Fachpersonal nötig sei, da es sich um die telefonische Nachverfolgung von Infektionsketten anhand von standardisierten Fragebögen handele.
Das Bezirksamt in Mitte sagte auf Nachfrage, es sei kein Problem, dass es sich bei den Soldaten nicht um medizinisch geschultes Personal handelt. Die Aufgaben der Soldaten seien klar definiert. Sie unterstützen die Kontaktverfolger, erkundigen sich unter anderem nach Symptomen möglicher Covid-19-Fälle. Außerdem werden die Soldaten in der Telefonhotline zum Einsatz kommen und dort Fragen von Bürgern beantworten.
Danny Freymark, CDU-Abgeordneter aus Lichtenberg, forderte das Bezirksamt auf, schnellstmöglich zu prüfen, in wieweit das Unterstützungsangebot doch noch zur Bewältigung der Pandemie in Lichtenberg in Anspruch genommen werden kann. „In der Krise darf es nicht um Ideologie, sondern um ein echtes Miteinander gehen. Und dafür steht die Bundeswehr."
Für Freymarks Parteikollege Tim-Christopher Zeelen, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Berlin, betreiben die ablehnenden Bezirksämter „Stimmungsmache gegen Helfer in Uniform“. Er spricht von parteipolitischen Spielchen der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg.