U-Bahn in Berlin als Klimakiller: Gutachter stellen katastrophale CO2-Bilanz für neue Tunnel auf
Einer Studie zufolge bräuchten alle diskutierten U-Bahn-Verlängerungen mehr als 100 Jahre, bis sie sich ökologisch lohnen. Es gäbe eine bessere Alternative.
Dass öffentlicher Nahverkehr klimafreundlich ist, gehört zum Allgemeinwissen. Es stimmt allerdings so pauschal nicht – und wäre im Fall von künftigen Berliner U-Bahn-Neubaustrecken sogar völlig falsch, wie eine am Mittwoch präsentierte Studie nahelegt.
Das Gutachten ist ein Gemeinschaftswerk des Mathematikers und ehemaligen Bahn-Konzernstrategen Frank Geraets, des pensionierten Bahnplaners der Berliner Verkehrsverwaltung, Axel Schwipps, und des Sprechers der Berliner Grünen-Arbeitsgemeinschaft Mobilität, Matthias Dittmer.
Dass das Gutachten zwei Tage vor dem Lückenschluss der U5 vorgestellt wurde, ist Zufall. Die Autoren hatten vielmehr jene Strecken im Blick, über deren möglichen Bau erst seit kurzem verstärkt diskutiert wird – vor allem seit SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey und ihr Sozius Raed Saleh den Neubau von fünf Strecken bis 2030 gefordert haben.
„Wir wollen mit der Studie die Debatte versachlichen und vom Kopf auf die Füße stellen“, sagt Dittmer und nimmt einen Teil des Fazits vorweg: „Auch für uns war die Erkenntnis neu, dass weitere U-Bahnen in Tunnellage das Klimaproblem nicht lösen, sondern weiter verschärfen.“
Klimabilanz neuer U-Bahn-Tunnel erst nach 139 Jahren ausgeglichen
Anhand fünf konkreter Berliner Projekte haben die Autoren berechnet, dass der Klimaschaden durch den Bau neuer U-Bahntunnel sich im Durchschnitt erst nach 139 Jahren amortisiert. Die teilweise oberirdisch machbare Verlängerung der U7 zum Flughafen BER würde den Wert auf 128 Jahre drücken.
Die Berechnung beruht nach Angaben des langjährigen Senatsplaners Schwipps auf Berliner Standards etwa zur Baustelleneinrichtung, Tunnelmaßen und den Abständen von Bahnhöfen und Notausstiegen, wobei Unterschiede zwischen Innenstadt und Randbezirken berücksichtigt worden seien. Anhand des ermittelten Bedarfs an Beton kommen die Autoren auf 98.800 Tonnen CO2-Emission pro Normkilometer U-Bahn-Tunnel. Das entspricht etwa 0,5 Prozent des jährlichen Berliner Gesamtausstoßes.
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Hauptgrund für den enormen Klimaeffekt ist die nach wie vor extrem CO2-intensive Zementherstellung, aber auch der Bedarf an Stahl, der dem Beton die nötige Stabilität gibt, trägt viel zur Gesamtemission bei - selbst wenn er teilweise aus recyceltem Schrott gewonnen wurde.
Jährliche Einsparung im Betrieb: 714 Tonnen CO2 pro Neubaukilometer
Den Belastungen durch den Bau steht der Fahrgastzuwachs gegenüber. Wenn jeder fünfte der künftigen Passagiere vom Auto auf die U-Bahn umgestiegen ist und dank der Neubaustrecke außerdem die zweieinhalbfache Menge an zuvor notwendigen Buskilometern eingespart werden konnte, ergibt sich für alle Strecken gemittelt eine jährliche Vermeidung von 714 Tonnen CO2 pro Neubaukilometer. Daraus errechnet sich die Amortisationszeit von durchschnittlich 139 Jahren.
Die ermittelte Spanne reicht von 109 Jahren für die U9-Verlängerung zum S-Bahnhof Pankow bis zu 230 Jahren für die U6 zum neuen Stadtquartier auf dem stillgelegten Flughafen Tegel. Die Strecke zum BER wäre zwar ebenfalls gut nachgefragt, aber kommt wegen ihrer großen Länge auf 114 Jahre Amortisationszeit. Die zwar kurze, aber weniger frequentierte Verlängerung der U3 zum Mexikoplatz braucht 129 Jahre, die U8 ins Märkische Viertel 168. Für die U2 nach Pankow-Kirche und die U7 zur Heerstraße wurden wegen fehlender Fahrgastprognosen keine Zeithorizonte berechnet.
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Dass der Auto- und Busverkehr durch die allmähliche Umstellung auf Elektromobilität etwas klimafreundlicher werden dürfte, ist in den Berechnungen nicht berücksichtigt – und dürfte die U-Bahn noch weiter zurückwerfen, zumal laut Schwipps bei der Betonherstellung vorerst keine ökologischen Quantensprünge zu erwarten sind.
Grünen-Politiker fordert Tram-Ausbau statt neuer U-Bahn-Tunnel
Dittmer fordert als Konsequenz aus der Studie, vorerst keinerlei Ausbaupläne für die U-Bahn zu verfolgen, sondern sich auf die Sanierung der existierenden Tunnel und auf den Ausbau des Straßenbahnnetzes zu fokussieren. Für die Tram haben die Autoren ebenfalls eine Beispielrechnung aufgemacht, derzufolge sich die Strecke vom Alex zum Kulturforum nach neuneinhalb Jahren klimatisch amortisiert hätte.
Den Einwurf, dass sie eine absehbar stark gefragte City-Tram mit U-Bahnen in der Peripherie vergleichen, kontern die Autoren mit dem Hinweis, dass anderswo überwiegend separate Tramtrassen möglich wären, deren Bau noch weniger klimaschädlich wäre als Gleise in der Fahrbahn. Ein weiteres Argument sehen die Autoren in den Kosten: Je nach Lage koste eine U-Bahn-Strecke mindestens das Zehnfache einer gleich langen Tramtrasse.
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