Drei Coronavirus-Fälle in Berlin nachgewiesen: Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci muss sich als Krisenmanagerin beweisen
Wohin im Verdachtsfall? Wer testet auf das Coronavirus? Jetzt ist Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci gefragt. Und sie braucht Verbündete.
Sie ahnt, worum es nun geht. Erstens, das Coronavirus soll eingedämmt, Panik verhindert werden. Doch schon dies ist in einer Millionenmetropole umfangreich. Zweitens muss Dilek Kalayci ihren Job in der deutschen Hauptstadt, dem heimlichen Zentrum der Europäischen Union unter permanenter, internationaler Beobachtung erledigen – es geht also auch darum, wie krisenanfällig, wie ministrabel ist die Gesundheitssenatorin? Führt die SPD-Politikerin – oder ist sie Getriebene? Hören sie ihr zu in den Kliniken – obwohl sich viele Ärzte doch allenfalls von anderen Ärzten etwas sagen lassen?
Kalayci ist nervös. Schon als sie am Freitag die Absage der weltgrößten Reisemesse ITB verkündet, als sie am Wochenende in Telefonkonferenzen hängt, als sie am Montag bei einer Pressekonferenz erklärt, was sie zu tun gedenke – nun, da es in Berlin nachweislich Infizierte gibt. Am Montagmorgen ist das zunächst ein 22-Jähriger, der zuletzt Kontakt mit 60 Männern und Frauen hatte.
Von deutschen, polnischen, russischen Reportern befragt, will Kalayci die Situation einordnen: Krise? Vielleicht. Katastrophenlage? Nein.
Von Evakuierungen, Straßensperren, massenhafter Quarantäne sei man „weit entfernt“ – Engpässe bei Schutzutensilien aber gebe es tatsächlich. Und schon zeigt sich, wie das Coronavirus den alltäglichen Kampf der Senatorin im Gesundheitswesen verstärkt: Der Vizechef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Burkhard Ruppert, zuständig für 9000 Praxen, teilt mit: „In den wenigsten Praxen ist für eine solche Ausnahmesituation ausreichend Schutzausrüstung verfügbar.“ Man habe die Senatorin aufgefordert, „schnellstmöglich die notwendige Schutzausrüstung“ bereitzustellen.
Die meisten Betroffenen werden die Infektion als solche nicht bemerken, das hatten Forscher prognostiziert, sie gehen also mit Husten und Heiserkeit in die Praxen, allenfalls mit vagem Coronavirus-Verdacht – Kalayci sagt dazu mit Blick auf die mächtige KV kühl: „Ich erwarte, dass die niedergelassenen Ärzte ihre Patienten dann in begründeten Fällen auch auf Corona testen.“ Die Senatorin will die Abläufe wahren: ambulant behandelbare Fälle in die Praxis, schwere Verläufe in die Klinik.
Der Konflikt mit den Ärzten intensiviert sich
Es ist nicht Kalaycis erste Auseinandersetzung mit den Praxisärzten – immer wieder hat sie verlangt, dass die Praxen auch zu unüblichen Zeiten öffnen, dass sie die Kliniken entlasten, dass sie sich nicht mit Verweis darauf, freie Selbstständige zu sein, verweigern. Der Konflikt dürfte sich angesichts der anstehenden Herausforderung intensivieren.
Die Senatorin fürchtet zugleich, die Kliniken überzustrapazieren: Ginge jeder Patient, der sich vage für einen Coronafall hält, gleich in die Notaufnahme – die Stadt stünde vor dem Chaos, schon weil die Rettungsstellen im wachsenden Berlin ohnehin überfüllt sind. Und Kalayci will den Kliniken in diesen Tagen noch was völlig Neues zumuten: Ad-hoc-Stationen für Corona-Verdachtsfälle.
Konkret müssten die Krankenhäuser dazu abgelegene Gebäudeflügel oder Container für Schnelltests umfunktionieren. Vorbild ist die Charité. Dort auf dem Virchow-Campus war der erste offizielle Coronapatient Berlins zunächst als Grippe-Verdachtsfall versorgt worden, denn bekannte Symptome der neuartigen Viruserkrankung wies er nicht auf. Die Universitätsärzte aber testen seit einer Woche routiniert auf Corona, sozusagen parallel – so wurde der Infekt entdeckt.
Weil der Mann zuvor acht Charité-Beschäftigte angesteckt haben könnte, beeinträchtigt deren Quarantäne nun die Abläufe in der Notaufnahme: Charité-Direktor Ulrich Frei ließ deshalb eigens eine Teststelle einrichten, die zwar auf dem Campus liegt, aber nicht in den Hauptgebäuden. Senatorin Kalayci wird nun mit anderen Kliniken der Stadt verhandeln, ebenfalls solche Ad-hoc-Zentren zu errichten.
Mindestens 85 Prozent der Krankenbetten belegt
Auch hier gilt es, auf Vorbehalte der Krankenhäuser einzugehen. Die Sorge davor, Infizierte stationär aufnehmen zu müssen, ist nicht unberechtigt. Derzeit sind mindestens 85 Prozent aller Berliner Krankenbetten belegt – was unter Medizinern als Höchstgrenze gilt.
Für einen sogenannten „Massenanfall“ gibt es in der Vier-Millionen-Einwohner-Region kaum noch 3000 freie Klinikbetten. Nicht jedes Krankenhaus möchte seine freien Plätze freiwillig der Politik überlassen. Viel wird im Ernstfall davon abhängen, wie gut sich Kalayci mit den Krankenhausleitern versteht.
Ergeben diese Schritte eine Strategie? In der Opposition findet man erwartungsgemäß: nein! Der FDP-Abgeordnete Florian Kluckert sagt, bislang entscheide Kalayci von Einzelfall zu Einzelfall. CDU-Mann Tim-Christopher Zeelen schreibt: „Entgegen aller Beteuerungen werden nun die Zweifel immer größer, ob Berlin gut vorbereitet ist auf diese Krise.“ Die Experten-Hotline, die Kalayci einrichten ließ, sei dauerbesetzt – ein Zustand, der sich so wenig leugnen lässt wie die Lage in den Gesundheitsämtern.
Dort, in den Bezirken, fehlt Personal. Das war schon unter Kalaycis Vorgängern so, auch weil Mediziner in einer Klinik deutlich mehr verdienen als im öffentlichen Dienst. Die Ärzte in den bezirklichen Gesundheitsämtern sind für Hygiene und Infektionsschutz im öffentlichen Raum zuständig.
Im Notfall müssen sie auch Zwangsmaßnahmen anordnen: Gebäude schließen, Belegschaften beurlauben, Impfungen durchsetzen. Jetzt sollen sie jene Menschen finden, die mit Infizierten in Kontakt standen. Im aktuellen Fall des 22 Jahre alten Weddingers hatte der Amtsarzt aus Mitte, Lukas Murajda, das Wochenende über viel zu tun. Nur ist sein Gesundheitsamt noch eines der besser ausgestatteten.
Fast 500 Stellen in den Gesundheitsämtern unbesetzt
In anderen Bezirken sind 30 Prozent der Stellen vakant. Von den insgesamt 2000 Stellen in Berlin sind fast 500 derzeit nicht besetzt: Es fehlen Ärzte, Techniker, Übersetzer. Nach monatelangem Streit vereinbarten Dilek Kalayci, Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) und die Einigungsstelle für Personalvertretungssachen kürzlich, dass das Land außertariflich hohe Löhne zahlen darf, um endlich die nötigen Fachleute zu bekommen.
Für die Corona-Welle dürfte das zu spät sein. Dilek Kalayci stehen harte Wochen bevor. Diesen Dienstag wird Senatschef Michael Müller (SPD) wissen wollen, wie es im Kampf gegen das Virus weitergeht.