Tarifkampf in Berlins landeseigenen Kliniken: Gericht entscheidet über Pflege-Streik – Vivantes schlägt Runden Tisch vor
Streik war wegen fehlender Notdienst-Vereinbarung untersagt worden - auch der Senat berät über den Arbeitskampf in Charité und Vivantes-Krankenhäusern.
Nachdem der Streik von Mitarbeitern des landeseigenen Vivantes-Konzerns am Montag ausgesetzt worden ist, wird am Dienstag dazu ein Urteil des Arbeitsgerichts erwartet. Den Ausstand mussten die in Verdi organisierten Pflegekräfte vorläufig beenden, weil der Vivantes-Vorstand eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte - er wollte prüfen lassen, ob ohne formale Notdienst-Vereinbarung in Kliniken gestreikt werden darf.
Womöglich entscheidet das Gericht auch, ob die Gewerkschaft für die Forderung nach "Entlastung" überhaupt streiken darf, während der TVöD, also ein anderer Tarifvertrag, der Löhne und Arbeitszeiten regelt, noch gilt.
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Der Vivantes-Vorstand schlägt "unabhängig vom Ergebnis der rechtlichen Prüfung" vor, einen Runden Tisch "Entlastung Pflege bei Vivantes" einzurichten. Man lade dazu neben der Gewerkschaft auch "neutrale Dritte" ein. Vor der Vivantes-Zentrale in Reinickendorf ist ein Camp errichtet worden, allerdings nun nur noch für Mitarbeiter, die dort "in ihrer Freizeit" demonstrieren wollen, wie Verdi mitteilte.
Im Roten Rathaus wird sich Senatschef Michael Müller (SPD) über den Arbeitskampf in den Landeskliniken beraten. Circa 200 Mitarbeiter von Vivantes und der ebenfalls landeseigenen Charité wollen heute vor dem Roten Rathaus in Mitte und dem Arbeitsgericht in Tiergarten protestieren.
An der Charité wird auch am Dienstag gestreikt. Die Personalchefin der Universitätsklinik, Carla Eysel, sagte dem Tagesspiegel: Auch wenn man Verdis "harte Linie" problematisch finde, strenge man derzeit kein gerichtliches Verbot des Arbeitskampfes an. Die Charité-Spitze hat bis Mittwoch zahlreiche Operationen verschoben. Die Streikleitung stellt sicher, dass Notfälle auch ohne formale Vereinbarung mit der Klinik behandelt und schon eingewiesene Patienten umstandslos versorgt werden.
Um die im Gesundheitswesen üblichen Notdienst-Vereinbarung gibt es seit Wochen heftige Debatten: Wie berichtet wollen die Vorstände von Charité und Vivantes möglichst viele Patienten als nicht zu verschiebende Akutfälle einstufen, die Verdi-Verhandler fürchten um die Wirksamkeit des Arbeitskampfes. Die Gewerkschaft will, dass ganze Teams streiken, letztlich also Stationen gesperrt werden – sonst spüre den Streik kaum jemand.
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Schon vor Tagen erließ Berlins Arbeitsgericht nach einer Vivantes-Klage eine einstweilige Verfügung: Streik ohne Notdienst könne zu "Gefahr für Leib und Leben" von Patienten führen, die Gewerkschaft müsse sich – vereinfacht formuliert – den Notdienstideen der Arbeitgeber beugen. Der Beschluss bezieht sich auf das Küchen- und Reinigungspersonal in den Tochterfirmen der Klinikkette; auch darüber berät das Gericht an diesem Dienstag.
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Die Beschäftigten dort fordern für sich den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, also den erwähnten TVöD, wie er in den Vivantes-Stammhäusern gilt. Im Einzelfall kann das bis zu 1000 Euro mehr Monatslohn bedeuten. Politisch bedeutsamer ist wohl der von Verdi geforderte "Entlastungstarifvertrag", für den die Pflegekräfte beider Landeskliniken am Montag die Arbeit niederlegten. Dabei geht es um einen fixen Schlüssel für mehr Pflegekräfte.
Vivantes-Vorstandschef Johannes Danckert verteidigte den Gang zum Gericht, um Verdis Anliegen juristisch bewerten zu lassen. Dem Tagesspiegel sagte Danckert am Montag: "Das Problem fehlender Pflegekräfte und die unzureichende Ausstattung der Krankenhäuser werfen so grundsätzliche Fragen auf, dass wir sie kaum bei Vivantes allein lösen können, auch nicht nur in Berlin. Vielmehr braucht das Gesundheitswesen eine bundesweite Komplettreform hin zu mehr Daseinsvorsorge."
SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey hatte bei einer Protestkundgebung vor der Vivantes-Zentrale gesagt: "Verantwortungsvolle Streiks, die die Patientenversorgung sicherstellen, müssen garantiert werden." Verdi hatte zugesichert, auch ohne schriftliche Notdienstvereinbarung alle Akutfälle zu versorgen – so wie dies in früheren Streiks der Fall war.
Grünen-Kandidatin Bettina Jarasch kritisierte die "SPD-Senatsriege", die eher hätte handeln müssen – gemeint waren Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci und Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD). Und CDU-Spitzenmann Kai Wegner sagte: "SPD, Linke und Grüne müssen endlich aufhören, gegen sich selbst zu demonstrieren" – noch stellten die drei Parteien gemeinsam die Landesregierung.