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Unter Druck - "Krankenhaus statt Krankenfabrik" fordern Pflegekräfte auch in Berlin.
© picture alliance/dpa

Arbeitskampf in Charité und Vivantes-Kliniken: Nicht nur wegen der Personalschlüssel – warum der Pflege-Streik in Berlin sinnvoll ist

Der Arbeitskampf in Berlins landeseigenen Krankenhäusern ärgert nicht nur die Klinikchefs. Doch letztlich wird der Streik allen nutzen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Heine

Oft führt Wut dazu, dass es die Falschen trifft, zumindest nicht diejenigen, die ursächlich schuld sind. Trotzdem kann diese Wut sinnvoll sein – weil diejenigen, die sie zunächst zu spüren bekommen, die Macht haben, dem Anliegen letztlich zu helfen, den Druck also dorthin zu lenken, wo er zum Guten führt. In Berlin drohen Pflegekräfte mit Streik, sie fordern mehr Personal auf den Stationen.

Am Montag werden in der Charité und den Vivantes-Kliniken erste Pflegekräfte den Dienst verweigern, bald werden planbare Operationen verschoben, einige womöglich abgesagt. Die beiden landeseigenen Konzerne könnten dann weniger Geld von den Krankenkassen erhalten, obwohl sie dringend Mittel brauchen. Trotz Millionen Euro staatlicher Corona-Zuschüsse schlossen die Großkrankenhäuser 2020 im Minus ab.

Die Verluste rühren auch daher, dass Kliniken sogenannte Fallpauschalen abrechnen, also grob vereinfacht nur Geld erhalten, wenn eine Behandlung stattfand: Einige Diagnosen werden so vergütet, dass was übrig bleibt, andere kosten die Klinik mehr, als es von den Kassen gibt.

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Im Kern wollen sowohl Streikende als auch die beiden Krankenhaus-Führungen gleichermaßen eine auskömmlich finanzierte, stabile Daseinsvorsorge. Beide Seiten wissen: Polizisten arbeiten allgemein für die Sicherheit, sie werden nicht pro Fall bezahlt. Und auch Lehrer unterrichten Schüler, ohne dass sie pro Kind entlohnt werden. Insofern trifft der Ausstand die Falschen, denn er setzt öffentliche Kliniken, die immerhin keinen Investor auszahlen müssen, unter enormen Druck.

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Trotzdem haben sich die Streikenden politisch die Richtigen ausgesucht, weil nur in den landeseigenen, von starken Personalvertretungen geprägten Krankenhäusern der gewerkschaftliche Organisationsgrad für einen solchen Kampf hoch genug ist. Und weil die Streikenden so dafür sorgen, dass die Spitzen von Charité und Vivantes (noch) vehementer dafür eintreten, das Wesen unseres Gesundheitssektors zu ändern.

Die von der Gewerkschaft geforderte Personalstärke in der Pflege lässt sich ad hoc kaum erzwingen. Wenn aber die Klinikspitzen zusagten, den Personalschlüssel spürbar zu verbessern, sich zugleich verpflichteten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Politik dazu zu drängen, das Gesundheitswesen zu reformieren, dann hätte sich die Wut der Pflegekräfte, die bald Berlins Wahlkampf dominieren könnte, als sinnvoll erwiesen.

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