Geschlechtergerechtigkeit in Berlin: Gendern soll in immer mehr Bezirken Pflicht werden
Die SPD will in der BVV Mitte geschlechtsneutrale Sprache einführen – Vorbild ist Friedrichshain-Kreuzberg. Auch in Lichtenberg wird diskutiert.
„Es ist wichtig, dass Sprache jeden einschließt, gerade bei Anträgen“, sagt Jules Rothe, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Mitte. „Nur männliche Wörter zu verwenden, erweckt den Anschein, als betreffe der Antrag nur die männliche Bevölkerung. Das stimmt aber nicht.“ Rothe beantragte mit der Vorsitzenden Martina Matischok-Yesilcimen, dass in der Tagesordnung der BVV Mitte nur Anträge bearbeitet werden, die eine gegenderte, also eine geschlechtsneutrale Sprache nutzen. „In den allgemeinen Vorschriften der Berliner Verwaltung wird die Nutzung geschlechtsneutraler Sprache oder das Ausschreiben beider Formen bereits vorgeschlagen.“
Die Bezirke Marzahn-Hellersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg sind Vorreiter. Dort ist der Beschluss bereits durch, in Lichtenberg steht er noch zur Diskussion. „Der Ausschuss für Haushalt, Personal und Geschäftsordnung wird den Antrag für die BVV Lichtenberg am 8. März diskutieren“, sagt Kevin Hönicke, SPD-Fraktionsvorsitzender und Antragsteller.
"Wenn man keine anderen Sorgen hat"
Hönicke zufolge wird auch in anderen Bezirken über das Gendern von Anträgen diskutiert. Doch nicht überall gibt es Zuspruch. „Wenn man keine anderen Sorgen hat“, meint CDU-Abgeordneter Kurt Wansner. „Persönlich kann ich damit nichts anfangen und halte andere Problemlagen in unserem Bezirk für wichtiger. Aber wenn sich einige damit wohler fühlen, stehe ich nicht im Weg.“
Auch innerhalb der BVV Mitte scheint es unterschiedliche Auffassungen zu geben. Michael Konrad, BVV-Mitglied der Piraten, kommentiert: „Die Damen und Herren der SPD müssen bei Erstellung des Antrages unter Drogeneinfluss gestanden haben. Die Intention der geschlechtergerechten Sprache teilen wir, aber welche Fraktion ist gehindert, dies heute zu berücksichtigen? Der Antrag ist handwerklich schlecht – wie gendert man denn nun richtig aus Sicht der SPD? Sitzen wir demnächst im Ältestenrat und führen Debatten darüber, ob in dem jeweiligen Antrag richtig gegendert wurde?“
Doch die SPD-Mitglieder würden den Antrag geschlossen unterstützen, sagte Rothe. „Die anderen Parteien können sich ja in ihren Reihen einmal umschauen, ob da nur Mandatsträger sitzen oder auch Mandatsträgerinnen und dann einfach mal die gesellschaftlichen Realitäten erkennen.“ Auch Thilo Urchs (Die Linke) lässt durchblicken, dass seine Partei geschlossen hinter dem Antrag stehe.
Sogar die AfD verwendet nicht nur die männliche Form
Die AfD kann mit dem "Genderwahn" grundsätzlich nichts anfangen. „Dieser Antrag ist ideologisch und fernab der Realität“, sagte AfD-Fraktionsvize Karsten Woldeit dem Tagesspiegel schon zum Jahreswechsel zur Diskussion in Lichtenberg. Im Parteiprogramm heißt es, man lehne „ein „Gender Mainstreaming“ ab, das auf die „Aufhebung der Geschlechteridentitäten zielt“. Auf einem Bundesparteitag hatte die AfD beschlossen, dass sie bei dem „Genderwahn“ nicht mitmachen werde. Auf Nachfrage sagte Woldeit dem Tagesspiegel am Mittwoch, es gehe der AfD nicht um die Verwendung der Ansprache von "Bürgerinnen und Bürger", diese würde er selbst auch in seinen Reden durchaus aufgreifen. "Es geht geht um die Notwendigkeit, ob man nun 50 oder 60 Geschlechter nennen muss." - also gegen den sogenannten "Gender-Star" (*). Der Antrag der SPD sieht eine Verwendung des * nicht als Pflicht vor. Wie eine geschlechtergerechte Sprache in einem Antrag umgesetzt würde, soll dem Antragsteller weiterhin frei stehen. "Bürgerinnen und Bürger" wäre daher möglich.
Allerdings weist der AfD-Bezirksverordnete der BVV Mitte, Michael Wehlus, diese Einschränkung zurück: „Jeder Abgeordnete der AfD kann frei abstimmen.“ Weiter möchte sich Wehlus zu dem Gender-Antrag und möglichen Folgen für die Position der Partei in der BVV Mitte nicht äußern. Fraglich bleibt, ob die AfD weiterhin Anträge stellen wird, wenn der Gender–Antrag durchkommt.
Am 16. März fällt Entscheidung in Mitte
Diskutiert wird am 14. März im Ältestenrat der BVV Mitte, er fungiert auch als Geschäftsordnungsausschuss. Falls der Antrag dort angenommen wird, steht er zwei Tage später im Plenum der BVV zur Abstimmung. Auf Wunsch einer Fraktion könnte er einer rechtlichen Prüfung unterzogen werden. Wenn die Mehrheit für gegenderte Sprache ist, kann sich Bürger*in freuen, dass alle Geschlechter in Mitte in kommenden Anträgen angesprochen werden.