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Eine Brustkrebsdiagnose ist eine Herausforderung auch für Angehörige und Freunde.
© Getty Images

Diagnose Brustkrebs: „Gehen Sie unbedingt liebevoll mit sich um“

Nach der Diagnose Brustkrebs kommt auf Patientinnen und Angehörige eine schwierige Lebenssituation zu. Ein Gespräch mit Psychologin Betina Koch über die richtige Strategie, damit klarzukommen.

Betina Koch ist Diplompsychologin am Vivantes Klinikum am Urban. Seit zehn Jahren arbeitet sie dort als Psychoonkologin im Brustzentrum.

Frau Koch, Ihre Patientinnen sind Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind. Wie reagieren sie auf diesen Befund?
Viele Patientinnen erleben die Diagnose Krebs als Schockzustand mit Gefühlen von Angst und Kontrollverlust. Was doch eigentlich immer nur anderen passiert, trifft nun einen selbst. Das Leben bekommt von jetzt auf gleich eine ganz andere Richtung: Was kommt jetzt auf mich und meine Familie zu? Werde ich bald sterben? In diesem seelischen Ausnahmezustand kommen Reaktionen aller Art vor: So ist vom nüchternen Funktionieren bis zur tiefen Verzweiflung alles möglich und in dieser Unterschiedlichkeit völlig normal. Jede Seele hat die für sich richtige Strategie, mit so einer Krisensituation umzugehen. Dazu kann auch gehören, erst nach Abschluss der Behandlungen die Diagnose in ihrer Tragweite zu realisieren.

Wie reagieren jüngere Frauen und Mütter?
Für die Mütter steht zunächst immer die Sorge um die Kinder im Vordergrund: Was wird die Diagnose mit ihnen machen, wie belastet werden sie sein? Und werde ich meine Kinder überhaupt noch beim Aufwachsen begleiten können? Jüngere Frauen machen sich Gedanken über Partnerschaft und Kinderplanung: Werde ich trotz Diagnose und versehrter Brust einen Partner finden und nach einer Chemotherapie noch Kinder bekommen? Wie wird mein Partner mit meinem veränderten Äußeren zurechtkommen?

Und ältere Frauen?
Auch wenn hier die körperliche Veränderung durch eine Brust-OP zwar nicht mehr so im Vordergrund steht, wird die Entfernung einer Brust dennoch oft zunächst als Verlust empfunden, auf den – wie bei einer jüngeren Frau – völlig angemessen mit Trauer reagiert werden kann. Viele ältere Patientinnen erleben es zudem als schwere Erschütterung, in ihrem Alter noch an Brustkrebs zu erkranken.

Wie versuchen Sie, den betroffenen Frauen zu helfen?
In ersten entlastenden Gesprächen können die Frauen allen Gedanken und Gefühlen, die von Angst über Wut, Trauer und Fragen nach dem Warum in alle Richtungen gehen können, Raum und Struktur geben. Dies hilft, eine Perspektive für den Umgang mit der Diagnose und der anstehenden Behandlung zu finden. Meist stehen ja auch Entscheidungen bezüglich der weiteren Therapie an, die nicht immer leicht zu treffen sind. Mir ist es dabei besonders wichtig, die Patientin auf ihrem ganz eigenen Weg der Bewältigung zu unterstützen, denn gerade bei Krebs kursieren extrem viele, oft auch diffuse Ideen und Tipps zu Entstehung und Heilungswegen – was als sehr belastend, weil schulderzeugend erlebt werden kann.

Welche Strategien geben Sie den Patientinnen an die Hand?
Sinnvoll ist es oft, sich an ähnlich belastende Lebensereignisse zu erinnern und zu fragen: Was und wer hat mir damals geholfen? Wie habe ich diese Situation gemeistert? Sich dadurch an bewährte Strategien und Ressourcen zu erinnern, stärkt und macht Mut. Es ist aber auch möglich, neue innere und äußere Kraftquellen zu entwickeln und zu entdecken. So können die Frauen bei uns Entspannungs- und Visualisierungstechniken erlernen und in Gesprächsgruppen hilfreichen Kontakt zu Mitbetroffenen bekommen.

Was empfehlen Sie als Psychoonkologin noch?
Unbedingt liebevoll mit sich und seinen Gefühlen umzugehen! Wenn zum Beispiel Angst aufkommt, kann es helfen, diese als normale Reaktion auf eine lebensbedrohliche Situation anzunehmen und sich zunächst mit Ablenkung und Bewegung zu entlasten. In einem Beratungsgespräch können dann bei Bedarf die Ängste genauer angeschaut und Lösungsstrategien entwickelt werden. Und, sich generell Zeit lassen damit, herauszufinden, was gerade unterstützend und stärkend ist – das kann sich auch immer wieder ändern!

Die meisten Frauen empfinden die Diagnose als lebensbedrohlich.
Was sie ja grundsätzlich auch ist! Umso wichtiger ist es mir aber deshalb, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass Krebs eben auch heilbar ist. Wir hören häufig nur die traurigen Geschichten von Menschen, die an Krebs gestorben sind. Von denjenigen, die diese Erkrankung bewältigt haben und seit vielen Jahren gesund sind –und das ist mittlerweile die Mehrheit – ist in der Öffentlichkeit leider weitaus seltener zu hören.

Gerade mit Kindern sollte man über die Krankheit sprechen

Eine Brustkrebsdiagnose ist eine Herausforderung auch für Angehörige und Freunde.
Eine Brustkrebsdiagnose ist eine Herausforderung auch für Angehörige und Freunde.
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Die Diagnose Krebs ist auch für Angehörige ein Schock. Wie erzähle ich als betroffene Frau zum Beispiel den Kindern von der Erkrankung, wenn überhaupt?
Ja, gerade mit den Kindern sollte man über die Krankheit sprechen, selbst wenn es natürlich oft der erste Impuls ist, den Kindern nichts zu sagen, um sie zu schützen. Kinder haben sensible Antennen für Geheimnisse in der Familie und spüren sehr schnell, dass die Eltern etwas bedrückt. Die Fantasien, die sie dann dazu entwickeln, sind oft wesentlich belastender als von der Krebserkrankung der Mutter konkret zu erfahren. Besonders ältere Kinder erleben es dabei als Vertrauensbruch, nicht informiert zu werden. Im optimalen Fall kann in einem Gespräch über die Diagnose auch schon erzählt werden, welche Behandlung erfolgen soll.

Wie kann man als Mutter mit eventuellen Nachfragen am besten umgehen?
Offen und ehrlich, ohne mit Details zu überfordern! Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen die Wahrheit gesagt wird. Die letztlich drängendste und für die Mütter natürlich schwierigste Frage ist, ob sie am Krebs sterben wird. Da ist es sehr wichtig, ehrlich zu sagen, dass eine Heilung nicht versprochen werden kann, aber die Mutter alles dafür tut, wieder gesund zu werden.

Und wie ist es mit dem Partner? Kann so eine Diagnose die Beziehung verändern?
Eine Krebsdiagnose ist auch für eine Partnerschaft eine Herausforderung und Belastungsprobe. Angehörige reagieren ja ebenfalls mit existentiellen Ängsten, die sie ihren Liebsten gegenüber aber meistens nicht äußern. Besonders Männer haben das Gefühl, stark sein zu müssen, fühlen sich aber oft hilflos. Dann ist es wichtig, zueinander offen zu sein und auszusprechen, was sich jeder vom anderen wünscht: Einfach nur zuhören, in den Arm nehmen oder auch ganz Konkretes wie eine Massage oder ein leckeres Essen. Zur seelischen Entlastung des Partners kann zudem eine psychoonkologische Beratung hilfreich sein – entweder für ihn alleine oder gemeinsam als Paar.

Gibt es Tipps, wie ich als Angehöriger oder Freund am besten mit einem Krebspatienten umgehe? Wie kann ich ihn unterstützen?
Auch wenn es vielleicht schwerfällt: Halten Sie sich mit gut gemeinten Ratschlägen ebenso zurück wie mit der Aufforderung, „nur positiv zu denken“ und „kämpfen zu müssen“! Damit wird man den Gefühlen der Betroffenen nicht gerecht und erzeugt nur Druck. Besser ist es, immer wieder zu fragen, was die Erkrankte gerade brauchen kann und so zu signalisieren: Ich begleite dich auf deinem ganz eigenen Weg und bin auch für dich da, wenn dich Ängste, Zweifel und Sorgen belasten!

[Das Gespräch führte Julia Bernewasser. Dieses Interview und weitere Texte rund um das Thema Krebs finden Sie im aktuellen Gesundheitsratgeber „Tagesspiegel Onkologie“. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel.de/shop, Tel. 29021-520 sowie im Zeitschriftenhandel.]

Krebs ist zwar heilbar, aber eben auch lebensbedrohlich. Wie stark beschäftigt der Tod Ihre Patienten?
Mit der Diagnose Krebs wird uns unsere Sterblichkeit ganz konkret vor Augen geführt. Insbesondere für erkrankte Eltern ist dieses Thema in der Sorge um die Kinder besonders präsent. Für manche kann es da entlastend sein zu klären, was mit den Kindern im Falle des eigenen Todes passiert. Für sehr viele Frauen ist dieses Bewusstwerden der Endlichkeit des Lebens auf jeden Fall ein Anlass, innezuhalten und Bilanz zu ziehen: Bin ich zufrieden, wie ich mein Leben führe oder gibt es etwas, das ich vielleicht schon lange ändern will? Zudem fühlen sich viele Frauen durch die Diagnose auch motiviert, ihre eigenen Bedürfnisse nun an erste Stelle zu setzen und zu lernen, gut für sich zu sorgen.

Krebs gilt als chronische Krankheit, die auch nach Jahren wieder auftauchen kann. Wie kann man lernen, mit dieser Angst zu leben?
Genau dieses Thema wird von den Frauen nach Abschluss der Behandlungen sehr oft angesprochen, wenn sie als geheilt gelten und auch so aussehen, sich aber weder körperlich noch seelisch danach fühlen. Das durch die Diagnose erschütterte Vertrauen in den Körper wiederzugewinnen, braucht Zeit, und die Seele hat nach den oftmals langwierigen Behandlungen überhaupt erstmals Gelegenheit, das Erlebte zu realisieren. Als sehr hilfreich und ermutigend wird in dieser Situation oft der Austausch mit ehemals Betroffenen empfunden, die von ihren Strategien berichten, mit den immer mal wieder auftretenden Ängsten vor einer Wiedererkrankung umzugehen. Dazu kann auch gehören, die Angst zu Ende zu denken und sich einen Plan für „den Fall, wenn“ zu machen – mit konkreten Handlungsmöglichkeiten, bewährten Ressourcen und hilfreichen Kontakten.

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