Schlechte Nachrichten überbringen: Mit Ehrlichkeit und Empathie
Wie teilt man einem Patienten die Diagnose Krebs mit? Charité-Professor Jalid Sehouli hat ein Buch über die Kunst geschrieben, schlechte Nachrichten gut zu überbringen.
Der Krebs hat sich trotz Operation und Chemotherapie nicht besiegen lassen, zum wiederholten Mal muss die junge Frau ins Krankenhaus. Nun stehen die Chancen auf Heilung ganz schlecht. „Herr Doktor, ich weiß, dass es ernst ist“, sagt sie zu ihrem Arzt. Doch sie fügt zugleich ängstlich hinzu: „Sie machen mich aber doch gesund?“
Ein schnelles „Ja“ wäre in dieser Situation die einfachste Lösung. Doch es entspräche nach menschlichem Ermessen nicht der Wahrheit. Die Antwort, die sowohl die Aufklärungspflicht als auch sein persönliches ethisches Empfinden von dem Arzt verlangen, muss ehrlich sein. Damit aber stehen Gespräche an, die zu den schwierigsten gehören, die Menschen miteinander führen können und müssen.
Die alte Sage vom Raben versinnbildlicht das: Ganz früher hatte der Rabe dieser Geschichte zufolge ein weißes Gefieder und eine wohltönende Stimme. Doch dann musste er dem Gott Apoll die unerfreuliche Botschaft überbringen, dass seine Geliebte einen anderen heiraten wollte. Darüber soll der Gott des Lichts so empört gewesen sein, dass er die Federn des Vogels, der sie überbrachte, schwarz färbte und seiner Stimme ein unangenehmes Krächzen verlieh. Apoll strafte den Überbringer der Nachricht, nicht deren Verursacherin, seine Geliebte.
Ärzte scheinen vor den Folgen solcher Empörung geschützt: Sie sind während der Arbeit zumeist weiß gekleidet, viele von ihnen sprechen mit angenehmer Stimme. Und doch müssen sie regelmäßig schlechte Nachrichten überbringen. Mediziner, die Krebs diagnostizieren, trifft dieses Los täglich. In Kursen zum Thema „Breaking Bad News“ können sie sich heute darin unterstützen lassen, die richtige Form dafür zu finden.
Nun hat der Charité-Professor Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie und weltweit bekannter Experte für den oft besonders heimtückischen Eierstockkrebs, ein Buch geschrieben, mit dem er seine Erfahrungen aus unzähligen Gesprächen mit betroffenen Frauen und ihren Angehörigen weitergeben möchte: „Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“ (Kösel-Verlag 2018). Das Beispiel zu Beginn dieses Beitrags stammt aus diesem Buch, dem auch Angehörige wichtige Anregungen für schwierige Gespräche entnehmen können.
Einfache Sätze, und Pausen machen
Seit Jahren beschäftigen sich Ärzte und Psychologen auch wissenschaftlich mit der Frage, wie solche Gespräche geführt werden sollten. Der Psychiater Walter Baile vom MD Anderson Krebszentrum der Uni Texas hat dafür ein Modell namens SPIKES entwickelt, das sechs Schritte beinhaltet.
Arzt oder Ärztin müssen demnach zunächst den richtigen Rahmen für das Gespräch schaffen, sie sollten aufmerksam wahrnehmen, wo der Patient „steht“ und welche Informationen bei ihm „ankommen“ können, sie sollten seine Einladung zum Gespräch abwarten („Fragen Sie, bevor Sie zu erzählen beginnen!“), dann ihr Wissen und ihre Informationen in einfachen Sätzen und mit Pausen weitergeben, die Emotionen des Patienten einbeziehen und schließlich zum Abschluss des Gesprächs gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehörigen eine Strategie für das weitere Vorgehen entwerfen. Dazu kann auch der bewusste Hinweis gehören, dass die Patientin oder der Patient sich bei einem anderen Mediziner, in einer anderen Praxis oder Klinik eine zweite Meinung dazu einholen können, wie es nun weitergehen könnte – ohne dass „ihr“ Arzt ihnen das übelnehmen würde.
Auch in einer „hoffnungslos“ wirkenden Situation kann man positive Aspekte für den weiteren Verlauf der Behandlung und des Lebens finden, ohne die Unwahrheit sagen zu müssen, davon ist Sehouli zutiefst überzeugt. Auch ehrliche Auskünfte können Raum für Hoffnung lassen. Der Mediziner hält es hier mit dem Philosophen Voltaire: „Alles, was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles, was wahr ist, solltest du auch sagen.“
Seiner Erfahrung nach hilft es, einem ersten Gespräch ein zweites folgen zu lassen. Pausen sind wichtig, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Verdauen einer Information, die das Leben verändert. Vielen Betroffenen macht es zudem Hoffnung, wenn sie andere Menschen kennenlernen, die trotz einer medizinisch schlechten Prognose gut leben.
Die berühmte Frage „Wie lange habe ich noch?“ werde übrigens weit seltener an die behandelnden Ärzte gerichtet als viele meinen, sagt Sehouli. Fünf bis zehn Prozent der Patienten wünschen sich gar keine konkrete Zeitangabe, so hat er in einer Studie festgestellt, für die er zusammen mit Kollegen mehr als 1800 Patienten in verschiedenen europäischen Ländern befragte. „Viele wünschten sich eine Orientierung, aber keine exakten Vorhersagen, da nach Überzeugung der Befragten sowieso niemand den exakten Todeszeitpunkt kennen könne.“
Es ist gut, wenn vertraute Menschen dabei sind
Menschen, die über Jahre mit einer Krebserkrankung zu kämpfen haben, rechnen bisweilen nicht mehr damit, dass die Situation einmal wirklich lebensbedrohlich werden kann, so eine weitere Erfahrung. Die Krankheit gehört für sie und ihre Familien fast schon zum Alltag, sie haben sich daran gewöhnt, dass im Lauf der Jahre immer wieder kritische Situationen gemeistert wurden. „Verlust der Todesangst“ nennt das der Mediziner, oder auch „chronifiziertes Sterben“. „Irgendwann ist es aber so weit, dann muss die Kernbotschaft ausgesprochen werden.“
Mehr als 80 Prozent der Patienten wünschen sich Untersuchungen zufolge, dass eine von ihnen selbst bestimmte Bezugsperson bei diesem entscheidenden Gespräch anwesend ist. Tatsächlich sind mehr als 80 Prozent der Patienten jedoch allein, wenn sie mit den behandelnden Ärzten über die Befunde sprechen, die Diagnose Krebs bekommen oder von einem Wiederauftreten der Krankheit erfahren. Einige von ihnen leben so isoliert, dass sie die Last auch zu Hause mit keinem anderen teilen können. Andere sehen sich wenig später zu einem Rollenwechsel gezwungen: Wie bei einem Staffellauf überbringen nun sie ihren Verwandten und Freunden die Nachricht – oder genauer gesagt das, was von den vielfältigen Informationen wirklich bei ihnen angekommen ist.
Vier Ohren hören mehr, schon deshalb ist es gut, wenn Gespräche, in denen schlechte Nachrichten überbracht werden, in Gegenwart eines vertrauten Menschen geführt werden können. Die Ehepartner, erwachsenen Kinder oder engen Freunde, die den Patienten begleiten, sollten aufmerksam zuhören, sich möglicherweise Notizen machen, die für spätere Gespräche und Rückfragen wichtig sind, sich jedoch mit eigenen Äußerungen zunächst zurückhalten, empfiehlt der Krebsmediziner.
Die Kunst, wahrhaftig auf die Fragen zu antworten, die die Betroffenen und ihre Angehörigen wirklich umtreiben, und ihnen die Lage ehrlich darzustellen, muss man seiner festen Überzeugung nach nicht „im Blut“ haben. Man kann sie erlernen. Sich ganz nüchtern geeignete „Techniken“ der Gesprächsführung anzueignen und darauf zu achten, als Arzt danach den nötigen Abstand zu gewinnen, steht dabei nicht im Gegensatz zu einer empathischen, mitfühlenden Haltung, wie Jalid Sehouli eindrucksvoll zeigt.
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