Notunterkünfte in Berlin: Für viele Flüchtlinge ist an Schlaf kaum zu denken
In zahlreichen Notunterkünften leben hunderte Flüchtlinge auf engstem Raum, Privatsphäre gibt es wenig. Die Betreiber setzen auf respektvolles Miteinander – doch Ärger bleibt nicht aus. Ein Besuch in Berlin-Karlshorst.
Wenn sie Freunden erklärt, wie es in einer Notunterkunft für Flüchtlinge aussieht, zieht Nina Wepler meist den Vergleich zu einer Skifreizeit. „Da wohnen dann auch ganz viele junge Männer in einem großen Schlafsaal. Nur ist der Schnee mittlerweile geschmolzen, und auch der Spaß ist weg.“ Wepler ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet in der Notunterkunft in der Treskowallee. Sie weiß, dass der Vergleich nicht ganz trifft, dass aber vieles, wie es hier ist, in kein richtiges Beschreibungsmuster passt.
Fady, einer der Bewohner, spricht nicht von Skifreizeiten, wenn er sein Leben hier beschreibt. „Jede Nacht sterbe ich hier“, sagt er und tippt sich dabei an die Schläfe, um zu verdeutlichen, dass das in seinem Kopf geschieht. Denn dann beginnt die Angst um seine Familie. Fady ist aus Syrien geflüchtet, ohne seine Familie. Die wollte er nachholen, aber dann hat die Bundesregierung den Familiennachzug ausgesetzt.
Er starrt dauernd auf sein Smartphone. Immer schwingt da die Angst mit, heute eine schlechte Nachricht zu bekommen; oder womöglich gar keine. Seine Familie, das sind seine Frau und seine beiden Töchter, sechs und drei Jahre alt. Stolz zeigt er Bilder von ihnen. Alles sieht aus wie ein gewöhnliches Familienfoto, alle lachen, die Sonne auch. Nur ist der Balkon, auf dem alle stehen, übersät mit Einschusslöchern, manche so groß wie Fußbälle.
Die Lüftung summt die ganze Nacht
Fady ist einer von rund 180 Flüchtlingen, die in der Turnhalle in der Treskowallee leben. Als er hier ankam, lagen nur ein paar Matratzen auf dem Hallenboden, es gab nicht einmal den Anschein von Privatsphäre. Jetzt haben sie mit Wäscheleinen und Betttüchern so etwas wie Kabinen geschaffen, die sich je eine Handvoll Flüchtlinge teilen. Auf dem Boden liegen müssen sie nicht mehr, es gibt jetzt Etagenbetten. Platz für Habseligkeiten bleibt kaum. Wer unten schläft, kann ein bisschen was unter dem Bett verstauen.
Nerviger noch als die Enge sei aber die Nacht, sagen hier fast alle. „Nach 24 Uhr ist die schlimmste Zeit“, sagt Majd. Die große Hallenbeleuchtung ist dann ausgeschaltet, aber ein Rest Licht bleibt immer an. Von 23 bis 7 Uhr herrscht Nachtruhe, aber an Schlaf ist nicht zu denken. „Vor 4 oder 5 Uhr morgens wird es hier nicht ruhig“, berichtet Majd. Mehr als drei Stunden Schlaf seien kaum möglich. Irgendwer redet immer laut, manche hören Musik. Und selbst wenn das nicht wäre – dem nervtötenden Summen der Lüftung entkommt keiner. Schaltete man sie dauerhaft aus, würde die Halle aber in kürzester Zeit riechen wie ein Pumakäfig und abkühlen wie ein Eisbärgehege.
Jeder hat sein eigenes Naturell
Deshalb versuchen viele, nicht mehr Zeit als nötig in dem Gebäude zu verbringen. Manche verbringen ihre Tage in einer schieren Endlosschleife aus Behördengängen, andere suchen sich Beschäftigung. Majd verbringt viel Zeit im Lesezimmer, meist mit seinem Laptop. Der 27-Jährige hat in Syrien Ökonomie studiert, wollte seinen Master machen. Der Krieg hat das verhindert. Wenn Maid nicht gerade irgendetwas lernt oder jemandem etwas beibringt, arbeitet er als eine Art Reporter und sammelt alles, was er über den Krieg in Syrien finden kann. Außerdem kann er sein Studium an der benachbarten Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) fortsetzen, dort assistiert er einem der Professoren.
Nicht alle in der Unterkunft haben solche Ambitionen. „Manche liegen den ganzen Tag nur rum, stören die anderen oder verbreiten schlechte Laune. Andere rauchen in der Halle oder kommen abends betrunken zurück“, sagt Khowaja aus Pakistan. Jeder hier habe sein eigenes Naturell, das könne schon mal zu Spannungen führen. Dem versuchen die Mitarbeiter, so sagt Nina Wepler, ein respektvolles und freundliches Miteinander entgegenzusetzen.
Die Probleme sind nicht gelöst
Ohne Wachleute geht das aber nicht; jederzeit stehen acht Securitys bereit. Jedoch: Nicht immer sind sie die Lösung des Problems, manchmal sind sie das Problem selbst. So wie am Abend des 25. Februar. Da hatte einer der Bewohner, ein Iraner, aufgeregt berichtet, er sei von den Sicherheitsleuten geschlagen worden. Unterkunftsleiter Christoph Wiedemann versuchte zu schlichten, aber die Situation schaukelte sich auf. Die Lage eskalierte, einer der Securitys warf Wiedemann einen großen Metallaschenbecher an den Hinterkopf. Der Getroffene krachte bewusstlos mit dem Gesicht auf den Boden, kam mit mehreren Frakturen ins Krankenhaus.
Der Wachdienst ist mittlerweile ausgetauscht. Die meisten Bewohner und Mitarbeiter sind froh darüber, aber auch sie wissen: Die Probleme sind nicht gelöst. „Wir behandeln hier ja nur Symptome“, klagt Wiedemann. Die größte Zumutung im Camp, das fast alle als Ghetto bezeichnen, sei das Camp selbst. „Als ich nach Deutschland kam, wurde mir gesagt, ich müsse mich etwa einen Monat auf eine solche Notunterkunft einstellen“, sagt Khowaja. „Aber hier läuft alles so langsam.“ Er lebt jetzt seit vier Monaten in einer Turnhalle.