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Tatkräftig. Bewohner des Flüchtlingsheims am Waldschluchtpfad packen an.
© Laura Hommrich

Berlin-Spandau: Wo Flüchtlinge zur Ruhe kommen

Dauernd Stress in Tempelhof - und in Gatow? Da geht's friedlicher zu. Ein syrischer Helfer erzählt von seinem Alltag.

Der Angriff kam unerwartet, die 14-Jährige hatte keine Chance zur Abwehr. Ein Kosovare, ungefähr 30 Jahre alt, fasste im Flüchtlingsheim Waldschluchtpfad in Gatow im Bezirk Berlin-Spandau dem Mädchen aus Libyen von hinten an den Oberarm, es wirkte wie Begrapschen. Der 17-jährige Bruder des Mädchens beobachtete die Szene mit einigen seiner Kumpel. Als die Gruppe eingreifen wollte, zückte der Kosovare ein Messer und floh in ein Zimmer. Zufällig hatte auch Ahmed Mahayni alles beobachtet. Der Sozialbetreuer beruhigte die Menge, schloss den Täter zu dessen Sicherheit ein und holte die Polizei. Die Beamten nahmen den 30-Jährigen mit. Mahayni hat ihn seither nicht mehr gesehen.

„Das war der letzte Fall, bei dem wir die Polizei aus Sicherheitsgründen gerufen haben“, sagt Mahayni. Das war vor rund sieben Monaten.

Seither ist es ruhig in dem ehemaligen Krankenhaus. 630 Menschen wohnen hier, darunter 240 Kinder. Christen, Sunniten, Schiiten, Leute aus dem Irak, Syrien, Moldawien, Eritrea. „Bei uns ist alles friedlich, von den üblichen kleinen Streitereien abgesehen“, sagt Mahayni. Die kleinen Streitereien, das sind zum Beispiel weinende Kinder und aufgeregte Erwachsene, die diskutieren, wer ein Fahrrad benutzen darf, das herumsteht.

2000 Straftaten in den Berliner Unterkünften - und in Gatow? Hier ist's ruhig

2000 Straftaten hat die Polizei 2015 in Berliner Flüchtlingsunterkünften erfasst. Knapp 1000 davon waren Gewalttaten, darunter Raub, Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung.

Wenn man Mahayni zuhört, bildet das Heim am Waldschluchtpfad das Kontrastpogramm zu diesen Zahlen. Vielleicht ist es aber auch nur ein Beispiel dafür, dass der Heimalltag nicht bloß aus aggressiven Diskussionen und Attacken besteht.

„Zu mir ist noch niemand gekommen, weil er sich bedroht oder beleidigt gefühlt hat“, sagt Mahayni. Er wäre dafür die richtige Anlaufstelle. Ein Syrer, 39 Jahre alt, mit der arabischen Mentalität vertraut, Goldschmied von Beruf, 2014 nach Deutschland gekommen. Er hatte sich so schnell integriert, dass ihn die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Mitte im Herbst 2015 als Sozialhelfer einstellte. Die AWO Mitte betreibt das Heim im Waldschluchtpfad.

Über Köln haben wir alle gesprochen

„Die Menschen wollen vor allem Ruhe“, sagt Mahayni. Er hört Gespräche auf den Fluren, beim Essen, im Garten, er ist ein Seismograf für Spannungen unter den Bewohnern. Wie haben die nach Köln geredet, nach den sexuellen Belästigungen von Frauen vor allem durch Nordafrikaner? „Vor allem die Syrer waren entsetzt“, sagt Mahayni. „Die sagten: Das würden wir nie tun.“ Auch beim Rest habe er Ratlosigkeit registriert.

Ungefähr zehn Hausverbote hat die Heimleitung in den letzten Monaten ausgesprochen. Eines galt dem Kosovaren, bei den meisten anderen geht’s um unerlaubtes Übernachten. Immer wieder erlauben Bewohner anderen Flüchtlingen, die nicht zum Heim gehören, in ihren Zimmern zu schlafen. Vor drei Tagen erhielt ein Eritreer als unerlaubter Übernachtungsgast Hausverbot.

Ein Bewohner, der eine unerlaubte Übernachtung gestattet, wird ermahnt und muss im Wiederholungsfall das Heim verlassen. „Das wirkt disziplinierend“, sagt Mahayni. „Keiner will weg, denn bei uns geht es allen gut.“ Die Kinder haben Platz zum Spielen, das Heim liegt im Wald, es ist ruhig, kein Straßenlärm.

Und eine Alternative zu Unterkünften, in denen es mehr Aggressionen gibt. Vor drei Tagen überwies das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zehn Iraker in das Heim am Waldschluchtpfad. Warum sie kamen, weiß Mahayni nicht. Er weiß nur, dass sie aus einer Umgebung kommen, in der es mitunter eher rau zugeht: den Hangars am Tempelhofer Feld.

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