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Ein älterer und ein jünger Mann hantieren mit einem Schweißgerät.
© Jens Büttner/dpa

Integration von Flüchtlingen: Den Fähigkeiten freien Lauf lassen

Ein Max-Planck-Institut will Kompetenzen der Neuankömmlinge messen - und erntet Widerspruch. In Berlin diskutieren jetzt Wissenschaftler, wie die Integration gelingt.

Schafft Deutschland das – hunderttausende Flüchtlinge in Bildung, Arbeit und Gesellschaft zu integrieren? „Deutschland ist ein erfahrenes Einwanderungsland, das es geschafft hat, vielen Millionen von Flüchtlingen und Migranten Lebensraum zu gewähren“, sagt Karen Schönwälder, Politikwissenschaftlerin am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen. Die weithin gelungene Integration sei aber nicht in erster Linie die Leistung des Staates, „sondern der Menschen selbst, die sich ein Leben aufbauen wollen“.

Die staatlichen Institutionen sollten sich deshalb fragen, wie sie den Neuankömmlingen Raum dafür geben könnten. Die Flüchtlinge bräuchten vor allem Rechtssicherheit, soziale Absicherung, Zugänge zum Arbeitsmarkt und Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation, sagt Schönwälder.

Flexibilität bei der Anerkennung von Abschlüssen gefordert

Die Frage nach den „Spielräumen der Integration“, die das Max-Planck-Forum am Dienstagabend in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin stellte, beantwortete auch Ulrike Freitag, Direktorin des Berliner Zentrums Moderner Orient, mit einem Plädoyer für möglichst große staatliche Flexibilität. Die praktischen Erfahrungen eines Automechanikers aus Syrien hätten „mit unserem dualen Ausbildungssystem wenig zu tun“. Neben Ausbildungsplätzen für jüngere Flüchtlinge würden deshalb auch betriebliche Fortbildungen und gesponserte Langzeitpraktika für Ältere gebraucht. Auch bei Bildungsabschlüssen müssten deutsche Stellen flexibler sein und individuelle Fähigkeiten anerkennen, anstatt nur auf die Zertifikate zu schauen. „Ein Schul- oder Uniabschluss aus Syrien kann viel Verschiedenes bedeuten“, sagt Freitag.

Nachweis von Potenzialen "würde öffentliche Meinung beruhigen"

Genau da setzt das Forschungsprojekt von Christian Hunkler vom Max-Planck- Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München an. Hunkler und Kollegen „vermessen“ derzeit die Potenziale syrischer Flüchtlinge nicht nur nach Bildungsabschlüssen, sondern fragen nach individuellen Bildungswegen und testen kognitive Kompetenzen. Die Arbeitshypothese dabei lautet, dass das Bildungspotenzial der Syrer sehr groß ist. „Es würde die öffentliche Meinung aber sehr beruhigen, wenn wir belegen könnten, dass diese Potenziale wirklich da sind“, glaubt Hunkler.

Karen Schönwälder findet diesen Ansatz zumindest formalistisch und bezweifelt, dass es den Neuankömmlingen wirklich nützt, ihre kognitiven Kompetenzen erfassen zu lassen. „Wir sollten diesen Fähigkeiten freien Lauf lassen.“ Die Politikwissenschaftlerin fordert darüber hinaus möglichst lange Bleibeperspektiven auch über ein Kriegsende in Syrien hinaus. Flüchtlinge sollten selbst entscheiden können, ob sie irgendwann zurückkehren. Das wirke sich positiv auf die Integrationsbereitschaft aus – und auch auf die Bildungsziele für die eigenen Kinder.

"Zutrauen, sie von demokratischen Werten zu überzeugen"

Die wichtigste Wiederaufbauhilfe seien ohnehin die Überweisungen der Arbeitsmigranten in ihre Heimatländer, sagt Ulrike Freitag. Oder die Häuser, die sie sich dort bauen. Doch Arbeit ist nicht alles bei der gesellschaftlichen Integration. Gefordert sei auch die „ganz normale Bildungsarbeit“, etwa wenn es darum gehe, dem bei vielen Syrern – muslimischen wie christlichen – durch staatliche Indoktrination verbreiteten Antisemitismus entgegenzutreten. „Wir sollen uns zutrauen, dass wir sie von den demokratischen Werten überzeugen können “, sagt auch Karen Schönwälder.

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