Autofreie Friedrichstraße: Frieren und flanieren
Hauptstraße für Fußgänger: Klappt das? Ein Besuch auf der temporären Fußgängerzone in der Friedrichstraße.
Ein kalter Wind weht durch die graue Häuserschlucht in Mitte, die sich Friedrichstraße nennt. Vor einem Kaufhaus singt eine Straßenmusikerin passenderweise Bill Withers’ „Ain’t no Sunshine“. Es nieselt. Und trotzdem herrscht auf der sonst so hektisch vielbefahrenen Straße eine entspannte Stimmung: Zwischen Französischer Straße und Mohrenstraße ist dieses Wochenende eine temporäre Fußgängerzone eingerichtet worden.
Am Sonnabend ab 10 Uhr wurde der Abschnitt für den Autoverkehr gesperrt. Stattdessen stehen jetzt Foodtrucks, Pflanzcontainer mit Bäumen, Biertischgarnituren und ein Bücherbus der Berliner Stadtbibliothek auf der Fahrbahn. Auch am Sonntag müssen Autos draußen bleiben. Außerdem werden sich die Geschäfte von 13 bis 20 Uhr den Passanten öffnen.
Zuvor hatte es viele Diskussionen um die Aktion gegeben, die auch als Test für eine dauerhafte Fußgängerzone gilt. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) setzte sich gemeinsam mit Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) für das Projekt ein – beide ließen es sich nicht nehmen, die Sache am Vormittag selbst zu eröffnen. "Berlin wird menschenfreundlicher - die autofreie Friedrichstraße ist ein guter Anfang.", sagte Günther bei der Veranstaltung.
Der Vorsitzende der SPD in Friedrichstadt Max Landero bezeichnete die Aktion auf Twitter als PR. Eine Teilsperrung sei noch keine Mobilitätspolitik . Auch Politiker anderer Parteien, sowie Vertreter von Handelsverbänden hatten sich weniger überzeugt gezeigt, weshalb sich die Planung der Verkehrsberuhigung monatelang hinzog.
Die Berliner, die sich am Sonnabend aber aus ihren Häusern und auf die ungewohnt hup- und stressfreie Friedrichstraße gewagt haben, sind zufrieden: „Von mir aus, kann das hier immer so sein“, sagt Susanne Schmidt, die in der Nähe wohnt. Sie sei letztes Jahr schon da gewesen, als die Friedrichsstraße am dritten Adventswochenende zur Flaniermeile umgestaltet wurde. Sie hat das Gefühl, diesmal sei die Aktion schon sehr viel unaufgeregter und akzeptierter.
Auch Corinna Maibier und Matthias Bartsch, die mit Kind und Kinderwagen über die kreideverzierte Hauptverkehrsader schlendern, sind begeistert. „Wir wären hier sehr viel öfter, wenn es immer so aussähe“, sagen sie. Die Weddinger Familie geht sonst ungern durch die Friedrichstraße. Vor allem mit Kinderwagen müsse man sich auf den schmalen Gehwegen oft zwischen anderen Passanten und neuerdings auch E-Scooter-Fahrern hindurchpressen. „Dann denkt man sich natürlich auch: Nichts wie weg!“
Die Passanten nähmen sich jetzt auch mehr Zeit vorm Schaufenster, sagt Yasemin Karakas vom Kosmetikgeschäft L’Occitane. Man habe bereits in den ersten Stunden sehen können, dass mehr Kunden als sonst den Laden betreten, sich einfach mal umschauen. Auch das Team des finnischen Glashandels Iittala bemerkt einen Kundenzuwachs. Weniger begeistert zeigen sich Luxusgeschäfte wie der Juwelier Bucherer. „Die meisten Kunden kommen mit dem Auto“, sagt Filialleiterin Claudia Boelsen. In ihrem Geschäft sei an diesem Vormittag weniger los, sagt sie.
„Ich halte nichts vom Konzept Fußgängerzone.“ Die Erfahrung habe gezeigt, dass befahrene Luxusstraßen durchaus erfolgreich sein könnten. Und die Friedrichsstraße habe das Potential eine „großartige Luxuseinkaufsstraße“ zu werden – besonders wenn durch den BER bald mehr chinesische Touristen in der Innenstadt einkaufen gehen könnten. Mangelnde Auto-Anbindung und fehlende Parkplätze würden da nur stören.
Guido Herrmann, Vorstand des Anrainervereines „Die Mitte“, begrüßt die Initiative hingegen. Eine autofreie Zone sei allerdings nicht die einzige Lösung für die „von Baustellen geplagte“ Friedrichsstraße. „Wir brauchen jetzt nicht nur grüne Politik, sondern echte Standortpolitik“, fordert er und zieht zügig weiter.
Mittlerweile sind deutlich mehr Passanten in der improvisierten Fußgängerzone unterwegs. Der kalte Wind pfeift aber immer noch und so bleiben die liebevoll hergerichteten Sitzgelegenheiten unbenutzt. Stattdessen drängen sich die Besucher ins Haus der Russischen Wissenschaft und Kultur, wo ein Dutzend tatarische Volksmusiker zum Tag der offenen Tür zum Tanzen aufruft. Und so kommt doch noch etwas Wärme in die neu eroberte Flaniermeile.