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Tausende protestierten am Samstag in Berlin gegen die Corona-Auflagen.
© dpa

Was folgt aus dem Corona-Demo-Fiasko?: Forderung nach schärferen Auflagen und Kritik an Berlins Innensenator

Bestürzung und Entsetzen nach der Corona-Demo. In Berlin und ganz Deutschland diskutieren Politiker: Was lief falsch? Und braucht es strengere Regeln?

Sie standen zu Zehntausenden auf der Straße, ohne Masken und ohne Abstand: Viele Politiker zeigen sich am Tag nach der Anti-Corona-Demonstration in Berlin-Mitte entsetzt über die Unvernunft der Demonstranten. Auch sind Stimmen zu hören, die ein striktes Festhalten an den Corona-Auflagen oder ihre Verschärfung fordern. 

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kritisierte die Teilnehmer scharf. Die Demonstranten würden die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen und riskierten damit die Gesundheit anderer Menschen, sagte Müller in der rbb-Abendschau. Es gebe noch keinen Impfstoff und kein Medikament, man sei noch nicht über den Berg.

Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) bezeichnete die Corona-Proteste als „irre“ angesichts steigender Infektionszahlen weltweit. "Der bewusste Verstoß gegen Abstandsregeln & Maskenpflicht ist nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sondern fahrlässige Gefährdung von Gesundheit&Leben anderer!", schrieb Kalayci auf Twitter.

Nach Schätzungen der Polizei beteiligten sich rund 20.000 Menschen an den Protesten. Die Demonstranten forderten ein Ende aller Auflagen. 

Weil sich die Teilnehmenden weigerten, die Abstandsregeln und die Maskenpflicht einzuhalten, löste die Polizei die Kundgebung am Abend auf. Die Beamten hatten einige Mühe, die Demonstranten zum Verlassen der Straße des 17. Juni zu bewegen. 45 Polizisten wurden verletzt, mindestens drei mussten im Krankenhaus behandelt werden. 

[Den ganzen Demo-Tag in Berlin noch einmal nachlesen können Sie hier im Newsblog zu den Protesten am Samstag.]

Innensenator Andreas Geisel (SPD) lobte am Abend die Arbeit der Polizei: „Wer glaubt nach Berlin kommen zu können, um hier die geltenden Regeln zu brechen, hat sich geirrt.“ Die Polizei habe auf Verstöße gegen die Demonstrationsauflagen „angemessen und professionell“ reagiert. Deshalb sei darauf hingewirkt worden, den Demonstrationszug zu beenden.

Kritik an Berlins Innensenator kommt indes aus Reihen der Grünen. Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann deutete auf Twitter an, die Verstöße gegen die Hygienevorschriften seien absehbar gewesen. "Was soll die Empörung?", schrieb sie in Richtung des Regierenden Bürgermeisters. "Sein Innensenator hatte es in der Hand und entschied sich für den falschen Weg."

Debatte über Erhöhung der Bußgelder auf Bundesebene

Die Debatte, wie mit Massenproteste in Zeiten von Corona zu verfahren ist, wird auch auf Bundesebene geführt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schrieb auf Twitter: „Ja, Demonstrationen müssen auch in Corona-Zeiten möglich sein. Aber nicht so.“ Abstand, Hygieneregeln und Alltagsmasken dienten dem Schutz aller.

Auf der Straße des 17. Juni demonstrieren Corona-Leugner gegen die Beschränkungen in der Pandemie.
Auf der Straße des 17. Juni demonstrieren Corona-Leugner gegen die Beschränkungen in der Pandemie.
© imago images/Jochen Eckel

CSU-Chef Markus Söder sprach sich angesichts der steigenden Zahl an Neuinfektionen und der unbedachten Proteste gegen weitere Lockerungen aus. „Wir müssen damit rechnen, dass Corona mit voller Wucht wieder auf uns zukommt“, sagte der bayerische Ministerpräsident der „Bild am Sonntag“. Gefragt sei absolute Wachsamkeit. „Das Virus bleibt eine Daueraufgabe, die uns permanent unter Stress setzt.“

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Viele Menschen seien im Umgang mit dem Virus leider leichtsinniger geworden, sagte Söder. „Dazu gehören auch die extremen Lockerer und Verschwörungstheoretiker, die alle Maßnahmen schnellstens aufheben wollten.“

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprach sich für eine Erhöhung von Bußgeldern aus. "Wer jemals einen Menschen am Beatmungsgerät um sein Leben kämpfen gesehen hat, kann eine solche uninformierte, rücksichtslose und selbstgerechte Verhaltensweise nicht akzeptieren", schrieb Lauterbach auf Twitter. "Wenn das nicht anders zu stoppen ist, muss es erhebliche Bussgelder geben."

Auch warnte Lauterbach, die Anstrengungen der vergangenen Monaten könnten umsonst gewesen sein, wenn jetzt ein zu lockerer Umgang mit den Auflagen einreiße. "Wenn Entwicklung nicht durch anderes Verhalten gestoppt wird sind wir in 8 Wochen wieder bei 5.000 Fällen/Tag, es wäre die Arbeit von 6 Monaten verloren. Wenn nicht anders möglich muss auch die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit geprüft werden, zumindest bei Menschenansammlung."

Ähnlich äußerte sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken: „Tausende Covidioten feiern sich in Berlin als 'die zweite Welle', ohne Abstand, ohne Maske.“ Gefährdet würden damit auch Erfolge im Kampf gegen die Pandemie wie die Belebung von Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft.

Coronaleugner, Demo, Berlin
Um kurz vor 12 Uhr hat sich der Protestzug in Bewegung gesetzt.
© REUTERS

Auch aus der FDP-Bundestagsfraktion gab es Kritik an der Demo. „Das ignorante Verhalten der Demonstranten in Berlin ist durch nichts zu rechtfertigen“, sagte der stellvertretenden Fraktionschef Stephan Thomae dem Tagesspiegel. Es sei klar, dass das Demonstrationsrecht auch in Corona-Zeiten bestehen bleiben müsse. 

Aber auch die Einhaltung der Regeln zum Gesundheitsschutz sei „zwingend notwendig“ und müsse notfalls auch durch den Einsatz der Sicherheitskräfte durchgesetzt werden. „Für die Polizeibeamten bedeutet der Einsatz ein erhöhtes Risiko, daher müssen sie durch Maßnahmen wie Atemschutzmasken und Handschuhe besonders geschützt werden“, sagte Thomae.

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte, demokratischer Protest, auch gegen Corona-Maßnahmen, sei legitim. Doch das Verhalten der Demonstranten am Samstag sei in sehr weiten Teilen schlicht unverantwortlich gewesen, sagte er dem Tagesspiegel. "Hier geht es längst nicht nur um eine  Selbstgefährdung, in einer Pandemie ist so ein Verhalten im wahrsten Sinne gemeingefährlich." Es sei aber „keine Option“, das verfassungsrechtlich garantierte Demonstrations- und Versammlungsrecht kurzfristig zu ändern, sagte der Grünen-Politiker. „Aber natürlich können und müssen die Genehmigungsbehörden die aktuelle Lage im Blick haben und Verbote und Auflagen entsprechend anpassen“, sagte er. Wenn es zu Verstößen gegen Auflagen komme, müsse hiergegen entschlossen vorgegangen werden.

Journalisten bedroht und bedrängt

Immer wieder bedrängten und bedrohten Demonstranten am Samstag auch Journalisten. Etwa die ZDF-Journalistin Dunja Hayali brach ihre Dreharbeiten auf der Demonstration offensichtlich wegen Sicherheitsbedenken ab. In einem rund 37 Minuten langen Video, das Hayali auf Instagram postete, ist zu sehen, wie Demo-Teilnehmer ihr und ihrem Team „Lügenpresse“ und „Schämt euch“ entgegenrufen. 

Jörg Reichel, Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalisten Union, spricht auf Twitter gar von einer Aussetzung der Pressefreiheit. "In weiten Teilen der rechtsextremen Demonstration und Kundgebung war keine Berichterstattung möglich. Bisher gab es zahlreiche Übergriffe auf Pressefotografen und Kamerateams", schrieb er am frühen Samstagabend. 

Auch die Reporter des Tagesspiegels wurden von Demonstranten angegangen. "Maske ab", schrien Menschen ihnen entgegen und machten dazu aggressive Gesten.

Entsetzen über die Bilder auch im Ausland

Aus dem Ausland kommen bestürzte Reaktionen auf die Szenen von Samstagnachmittag. Der italienische EU-Kommissar Paolo Gentiloni twitterte, eine solche Idee von Freiheit sei nicht zum Lachen. „Das ist beängstigend.“

Sawsan Chebli (SPD), Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement, berichtete auf Twitter, sie komme gerade aus dem Ausland. „Viele blicken nach Deutschland, bewundern uns dafür, wie wir mit Corona umgegangen sind", schrieb sie auf Twitter unter dem Eindruck der Videos von tausenden Protestlern. "Solche Bilder sind eine Katastrophe. Sie zerstören alles."

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