Notunterkünfte in Berlin: Flüchtlinge verlassen die letzten Turnhallen
Am Freitag sind die Geflüchteten aus den Notunterkünften ausgezogen. Doch der Weg zur eigenen Bleibe ist weit: Viele Vermieter haben Vorurteile.
Am Freitag wurde ein Meilenstein erreicht: Flüchtlinge verlassen die letzten Turnhallen, die zu Notunterkünften umfunktioniert worden waren. Damit wird ein Kapitel geschlossen, das die Politik in erhebliche Erklärungsnöte brachte. Viele Schüler und Sportler müssen seit Monaten auf ihre angestammten Trainingsstätten verzichten. Die Terminversprechen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD), bis wann die Hallen wieder freigezogen werden, ließen sich nicht halten. Das Diktum der Kanzlerin zur Flüchtlingskrise, „Wir schaffen das“, klang in Berlin deutlich hohler als im Rest der Republik.
Bis zu 900 Flüchtlinge kamen an einem einzigen Tag im Herbst 2015 in Berlin an. Die Verwaltung war komplett überfordert. Kasernen, Bürogebäude, Fabrikhallen, das ICC, die Flughafen-Hangars und mehr als 60 Turnhallen wurden in Notunterkünfte verwandelt. Man könnte dazu auch Flüchtlingslager sagen. Die Wohnsituation für Flüchtlinge in Berlin ist auch im Februar 2017 noch deutlich schlechter als im Rest der Republik. Bundesweit wohnten nach Angaben des Senats 20 000 Flüchtlinge in Notunterkünften, 15 900 davon in Berlin.
Containersiedlungen für drei Jahre
Inzwischen sind es nach Angaben des Landesamtes für Flüchtlinge (LAF) 2000 weniger. 15 200 Flüchtlinge leben derzeit in städtischen Gemeinschaftsunterkünften, dazu zählen auch die Containerdörfer und die Modulbauten (MUFs). Seit Ende Oktober 2016 sind damit 7000 Menschen weniger in Notunterkünften untergebracht. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) will alle Flüchtlinge möglichst bis zum Jahresende aus Hangars und Bürogebäuden herausholen. Alle paar Wochen wird ein neues Tempohome oder MUF fertig, in das die Flüchtlinge umziehen können, derzeit sind acht in Betrieb. Weitere 30 sind in Bau oder Planung.
Während die MUFs als dauerhafte Unterkünfte geplant sind, sollen die Containersiedlungen maximal drei Jahre stehen bleiben – mit der Option auf Verlängerung. In drei Jahren, so die Hoffnung des Senats, sollten ausreichend neue Sozialwohnungen und MUFs bereitstehen, um auf die Container verzichten zu können. Ob das klappen wird, hängt von mehreren Unbekannten ab: Zahl der Flüchtlinge, wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, Zuzüge aus dem Bundesgebiet und dem Ausland inklusive der sogenannten Armutsmigration aus Osteuropa.
Täglich 30 bis 40 neue Geflüchtete in Berlin
Täglich kommen derzeit 30 bis 40 Flüchtlinge in Berlin an, die meisten aus Syrien, Irak und Afghanistan. Pro Monat sind das immer noch rund 1000 Neuankömmlinge. Der Druck auf den Wohnungsmarkt bleibt hoch. Letztlich können nur die städtischen Wohnungsbaugesellschaften günstigen Wohnraum bieten, der Senat will den Bestand von derzeit 300 000 Wohnungen auf 400 000 erhöhen, innerhalb von zehn Jahren.
Wenn sich Flüchtlinge integrieren sollen, dürfen sie nicht in „Lagern“ leben. Gemischte Quartiere sind das Ziel von Rot-Rot-Grün. Alle Gemeinschaftsunterkünfte, vor allem die MUFs, sollen langfristig von Flüchtlingen und Berlinern zusammen bewohnt werden: Studenten, Geringverdiener, Alleinerziehende und Geflüchtete unter einem Dach. Gemeinsame Aufenthaltsräume und Spielflächen sollen soziale Kontakte fördern.
Geflüchtete werden auf die Bezirke verteilt
Der Königsweg der Integration ist eine normale Wohnung in einem Mietshaus. Wie viele Flüchtlinge bislang in reguläre Wohnungen umziehen konnten, ist unklar. Das LAF hat nach eigenen Angaben im Januar und Februar 923 Menschen in Wohnungen vermittelt. Im gesamten Jahr 2016 konnten 4979 Flüchtlinge in 2451 Wohnungen ziehen. Das LAF prüft, ob Wohnung und Miethöhe angemessen sind. Eine Wohnung für eine vierköpfige Familie darf maximal 704,83 Euro (Kaltmiete) kosten. Ehrenamtliche Helfer und das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk unterstützen bei der Vermittlung.
Anerkannte Flüchtlinge werden von den Sozialämtern der Bezirke und den Jobcentern betreut. Nach Geburtsmonat werden sie auf die zwölf Bezirke verteilt. Mitte hat den Januar bekommen und muss rund ein Drittel der Flüchtlinge versorgen, weil bei unbekannten Geburtsdaten automatisch der 1. Januar eingetragen wird. Der Bezirk hat ein „Willkommensbüro“ eingerichtet, um die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer zu koordinieren. In Tempelhof-Schöneberg sollen im April zwei Projekte zur Wohnungsvermittlung starten. In der Regel geht es dabei um städtische Sozialwohnungen.
Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt
Voraussetzung für eine Sozialwohnung ist ein Wohnberechtigungsschein. Den WBS erhalten anerkannte Flüchtlinge mit Aufenthaltstitel. Zwischen Anerkennung und Aufenthaltstitel vergeht laut Flüchtlingsrat viel Zeit, bis zu einem Jahr. Die Senatsverwaltung für Wohnen will die Bezirke anweisen, den WBS auch ohne Aufenthaltstitel auszugeben. Dann bekämen zwar mehr Flüchtlinge den WBS, aber solange es nicht genügend Wohnungsangebote gibt, hilft ihnen das nicht weiter. Allein in Tempelhof-Schöneberg sind derzeit 650 Flüchtlinge als WBS-Inhaber registriert, die keine Wohnung finden und weiterhin in Heimen leben.
Flüchtlinge würden auf dem privaten Wohnungsmarkt diskriminiert, beklagen Unterstützer. Das belegt eine Studie des Berliner Instituts für Integrationsforschung. Danach befürchten Vermieter Probleme durch „unterschiedliche Wohnkulturen“. „Andere gaben offen zu, dass sie keine Flüchtlinge als Mieter haben wollen.“ Viele Geflüchtete in Berlin wüssten gar nicht, dass sie in eine eigene Wohnung ziehen dürfen, und begeben sich daher oft gar nicht erst auf die Suche.