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Dreimal Zukunft für Berlin.
© imago/CommonLens

Flüchtlinge in Berlin: Integration: Was hilft und wo es hakt

Hunderttausend Flüchtlinge hat Berlin seit 2015 aufgenommen. Über eine Milliarde Euro kostet die Integration. Jährlich.

1.270.000.000 Euro haben Senat und Bezirke ausgegeben im vergangenen Jahr, um die vor Krieg und Krisen nach Deutschland Geflüchteten zu ernähren und zu kleiden, ihnen eine Unterkunft zu bieten, Verletzungen zu behandeln, die deutsche Sprache zu lehren sowie Regeln und Gesetze unseres Zusammenlebens – kurzum: um diese Neu-Berliner zu integrieren.

Fünf Jahre sind seit der Ankunft der ersten paar hundert vergangen, die den Weg über das Mittelmeer in die Balkan-Länder wählten und die sich von dort bis nach Berlin durchschlugen. Nur noch eine Handvoll kommen dieser Tage neu hinzu. Die Grenzen sind dicht. Ist damit aber die „Flüchtlingskrise“ bewältigt – oder fängt die Arbeit gerade erst an?

„Riesenprobleme an allen Ecken und Enden“, beklagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat. „Fehlende Arbeit, fehlende Wohnung, kein Familiennachzug und ein lange Zeit nicht geklärter Aufenthaltsstatus – das macht die Menschen fertig“. An die 40.000 Geflüchtete seien „prekär untergebracht“, in den vielen im Eiltempo geschaffenen Sammelunterkünften – von der Turnhalle über die Hangars bis zu den ersten modularen Unterkünften für Flüchtlinge (Muf).

Die schärfste Kritik übt er aber daran, dass es etwa ein Jahr dauert, bis vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anerkannte Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis erhalten von der Berliner Ausländerbehörde. Denn wer diese nicht habe, sei am Wohnungs- und Arbeitsmarkt praktisch chancenlos.

Die Turnhallen sollen bis Monatsende frei werden

Die Innenverwaltung weist die Kritik zurück: Die Ausländerbehörde stelle Bescheinigungen für die Übergangszeit bis zur Erstellung des „elektronischen Aufenthaltstitels“, einer Chipkarte, aus, und die Bescheinigung müsse von allen Einrichtungen anerkannt werden. Acht Wochen brauche es, bis ein „Kunde“ nach Vorlage aller Unterlagen einen Termin zur Beantragung der Chipkarte bekomme, danach betrage die Lieferzeit der Bundesdruckerei rund sechs Wochen.

Schon dieser Streit zeigt: Das behördeneigene Tempo und das Regelwerk der Ämter zählt wohl zwangsläufig zum Kulturerwerb der Neu-Berliner. Und wer die neue Integrationssenatorin Elke Breitenbach nach ihrer Bilanz ein Jahr nach der großen Zuwanderung fragt, hört von einer „verbesserten“ Betreuung, aber auch von „großen Aufgaben“ bei der Integration der Geflüchteten und „dazu brauchen sie Wohnraum und Beschäftigung“. Bis Ende des Monats würden alle Turnhallen geräumt. „Als nächstes machen wir die großen prekären Notunterkünfte frei“, die Hangars von Tempelhof. Viele Menschen verschiedener Ethnien, Religionen und Länder leben dort auf engstem Raum zusammen, da bleiben Konflikte und Gewalt nicht aus. Sogar über organisierte Prostitution wurde berichtet und über Diebstähle in der Umgebung von Großunterkünften etwa in Spandau. Grund zur Sorge sieht die Polizei nicht: „Im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften sind keine signifikanten Veränderungen der Kriminalitätslage vor und nach der Belegung mit Geflüchteten zu verzeichnen.“ Nicht mal eine Häufung von Einsätzen sei zu verzeichnen.

Die Geflüchteten, so scheint es, haben genug von Gewalt, und wer sich über das viele Geld ereifert, das der Staat in deren Integration investiert, übersieht dessen heilsame Wirkung für Berlins Konjunktur und Beschäftigung. Zur Krisenbewältigung wurde eine ganze Behörde, das Amt für Flüchtlingsaufgaben aufgebaut. Allein dort arbeiten 613 Menschen. Rund 45 Träger wie das Deutsche Rote Kreuz sind mit der Betreuung der Unterkünfte befasst, sie haben Hilfskräfte, Sozialarbeiter und Pädagogen eingestellt.

„Erziehung, Unterricht und vor allem der Sozialbereich wachsen“, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin – und das eben vor allem, um Flüchtlinge zu versorgen und zu betreuen. Berlin wächst dank Armut, könnte man auch sagen, und das kommt vielen zuvor Arbeitssuchenden zugute: Lehrern, Sozialarbeitern, Erziehern, Psychologen, die mit der Beschäftigung auch ein Einkommen haben, das wiederum die Wirtschaft der Stadt belebt.

90 Prozent der Neuberliner kamen 2016 aus dem Ausland

90 Prozent aller Neuberliner kamen voriges Jahr aus dem Ausland, meldete das Amt für Statistik, den überwiegenden Anteil stellten die Geflüchteten. Die Zugereisten beleben den Handel, auch jeder Flüchtling kauft ein und allein schon ihre große Zahl füllt die Kassen des Gewerbes. Berlin war zwar immer schon Hauptstadt der Erwerbslosen, nun steigt die Zahl der Beschäftigten im Sozialbereich noch einmal sprunghaft – und ist dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge inzwischen so groß wie in allen Industriebetrieben der Stadt zusammengerechnet.

Wer deutsch spricht, ist klar im Vorteil. Deshalb haben Senat und Bezirke die Sprachbildung an Volkshochschulen verstärkt, 4,5 Millionen Euro gibt es dafür, mehr als 9000 Menschen nutzten das Angebot, nicht nur Geflüchtete. Es gibt Fortbildungen auch für ehrenamtlich Tätige. Weitere zwei Millionen Euro gab der Senat für das Ausbildungsprogramm Arrivo aus; 2015 verhalf es 186 Jugendlichen zu Beschäftigung, den meisten allerdings in „Übungswerkstätten“, „Ringpraktika“ oder als Hospitanten – echte Integration ist das nicht, aber die Richtung stimmt.

Und wo sollen all die Neu-Berliner wohnen? Noch sind Flughafen-Hangars belegt, Industriehallen und Bürohäuser hat der Senat in Not- und Gemeinschaftsunterkünfte umgewandelt – und deren Zahl vervierfachte sich in vier Jahren: 112 Einrichtungen sind es mit Platz für 40 000 Menschen – Anfang 2013 hatten nur gut 5000 Menschen Platz in damals 27 Einrichtungen. Die Beispiele zeigen: Angekommen sind die Geflüchteten in Berlin, doch viele leben noch im Transit – ähnlich wie Fluggäste, die ihren Bestimmungsort noch nicht gefunden haben.

Sie kamen aus dem Bürgerkrieg in Syrien, aus dem Irak und aus Afghanistan, aus den Krisen- und Armutsregionen in Afrika: Rund 100 000 Geflüchtete sind in den Jahren 2015 und 2016 nach Berlin gekommen – und es wird wieder mit einer Zunahme der Zahlen gerechnet. Aller Anfang war schwer: für die Ankommenden ebenso wie für die Stadt. Überforderte Behörden, freiwillige Helfer, die bis an die Grenzen ihrer Kräfte gingen – und besorgte Bürger, die fürchteten, es könnten zu viele kommen.

Wie ist die Lage heute? In den kommenden Wochen wollen wir eine Zwischenbilanz ziehen – mit einer Serie, in der wir den wichtigsten Fragen nachgehen wollen: Wer hat Chancen, dauerhaft in Berlin zu bleiben? Wo werden die Geflüchteten wohnen? Besteht die Gefahr der Ghettobildung an den Rändern der Stadt? Machen die Flüchtlinge den Geringverdienern und Ärmeren Konkurrenz beim Bedarf nach Wohnraum und Beschäftigung?

Wie läuft es bei der Integration? Erwuchsen aus der spontanen Hilfsbereitschaft der vielen Freiwilligen nachhaltige Projekte? Wer profitiert von den Neuberlinern? Und wie haben die Geflüchteten die Stadt verändert? Die Beiträge veröffentlichen wir in lockerer Folge – zu erkennen am grünen Logo „Schafft Berlin das?“

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