Umstrittene Verkehrsberuhigung: Findlinge provozieren Diskussion in Kreuzberg
Die Kreuzberger Bergmannstraße ist Versuchsort für Verkehrsberuhigung. Viele Anwohner sind damit unzufrieden. Oder ist das alles doch genial?
Steine statt Autos – das klingt für Sophie Lindenau grundsätzlich nach keiner so schlechten Idee. Die junge Mutter schiebt ihren Kinderwagen auf dem Bürgersteig der Bergmannstraße neben der Marheineke-Markthalle entlang. Auch wenn sie die Steine schön und lustig findet, ist ihr nicht klar, was die am Mittwoch aufgestellten Findlinge in der Bergmannstraße bezwecken sollen: „Wenn sie als Schutz der Fahrradstrecke gedacht sind, dann wäre es allerdings gut.“
Ihr liegt am Herzen, dass der Kiez zum Fahrradfahren sicher ist, denn sie möchte auch mit ihren Kindern hier radeln können. Die bisherigen Maßnahmen, die Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) testweise für eine verkehrsberuhigte Begegnungszone in der Bergmannstraße veranlasst hat, überzeugen sie aber nicht.
Durch die mit Sitzmobiliar versehenen Holz-Metallinseln namens Parklets sei alles noch enger und voller geworden, die Situation für Fahrradfahrer und Fußgänger katastrophal, noch schlimmer als vorher. Und die grünen Punkte auf der Straße? „Auf die Straße gepinseltes Geld!“, meint Lindenau.
Seit 2005 wohnt sie in der Nostitzstraße. Dadurch, dass die Parkplätze in der Bergmannstraße vielfach durch die Parklets ersetzt wurden, stellen die Autofahrer ihre Wagen nun vermehrt in den Seitenstraßen, also auch in ihrer Straße, ab. Der Platz werde aber nicht nur den Autos genommen, auch die Fahrradfahrer würden nun häufig auf die Bürgersteige gedrängt. Mit dem Ergebnis, dass auch dort der Platz knapp werde. Zwischen Fahrrädern und Cafétischen - wie soll sie da noch mit einem Kinderwagen durchpassen?
Viele engagieren sich, werden aber nicht gehört
Lindenau schlägt vor, die Bergmannstraße für privaten Autoverkehr ganz zu sperren. Das müsse doch auch für die vielen kleinen Geschäfte besser sein: „Aktuell macht es hier doch gar keinen Spaß zu flanieren!“ Der Durchgangsverkehr könne schließlich auch auf Gneisenaustraße und Columbiadamm ausweichen.
Sie erzählt von einer „Langen Tafel“ auf der Bergmannstraße, die kürzlich stattgefunden habe: Ein langer Tisch, der mehrere Häuserblöcke entlang aufgestellt wird und an dem man bei einem Teller Spaghetti mit den anderen Kiezbewohnern ins Gespräch kommen kann. Sie habe den Eindruck gewonnen, dass viele sich engagierten was die Gestaltung des Stadtteils anginge, „aber es wird gar nicht gehört“.
Immerhin habe sie inzwischen auch einen Fragebogen vom Bezirksamt im Briefkasten gefunden, mit dem von einem repräsentativen Anteil der Bevölkerung die Meinung zu den Begegnungszonen erhoben werden soll. „Eine schöne Geste“, meint Lindenau. Sie freut sich, wenn sie ihre Meinung einbringen kann.
Teresa Kallwass hätte lieber eine Fußgängerzone
Eine andere Passantin, die 33-jährige Psychiaterin Teresa Kallwass, erzählt, dass sie sich nicht auf die Bänke der Parklets setzt: Dort sei es viel zu laut. Die Autos führen ja direkt an den Straßenmöbeln vorbei. Überhaupt meide sie die Bergmannstraße schon lange, obwohl sie direkt um die Ecke in der Gneisenaustraße wohnt. Das habe sich auch nicht durch die verkehrsberuhigenden Experimente im Rahmen der Begegnungszone geändert. Die Maßnahmen seien schließlich auch alle nicht zielführend: „Die Idee der Verkehrsberuhigung ist gut, aber ich hätte lieber eine Fußgängerzone“, sagt sie.
Ein paar Meter weiter sitzt Joachim Radünz, 56, auf einer Bank und raucht mit Blick auf die Findlinge eine Zigarette. „Alle sind dagegen, aber ich kann die Aufregung nicht verstehen“, sagt er. Auch die Punkte seien doch eigentlich okay. Er selbst wohnt zwar in Friedenau, kommt aber jeden Tag in den Bergmannkiez, weil er hier arbeitet. Ein Problem habe allerdings auch er beobachtet: Durch die Straßenverengung nähmen der morgendliche Lieferverkehr und die Busse jetzt viel mehr Platz ein.
Von Stau berichtet auch Jesko Neugebauer. Er betreibt einen Tortenladen in der Bergmannstraße nahe dem Mehringdamm. Vor Kurzem habe ein Rettungswagen von der Ecke Mehringdamm bis zum Ärztehaus für rund 150 Meter in der Bergmannstraße ganze zehn Minuten gebraucht.
Händler klagen über Umsatzeinbußen
Noch hat Neugebauers Tortenladen nicht geöffnet. Neugebauer sitzt mit zwei Nachbarn an einem Tisch auf dem Bürgersteig, trinkt Kaffee und plaudert. „Es ist klar, dass man die Bergmannstraße beruhigen sollte, aber nicht so!“, sagt er. Ihn stört vor allem, dass es keine Möglichkeiten mehr für die Autos gibt anzuhalten, denn: „Eine Hochzeitstorte kann man nicht mal eben auf dem Fahrrad transportieren.“
Viele Inhaber der umliegenden Einzelhandelsbetriebe würden über Umsatzeinbußen klagen. Das könne er für sich zwar nicht sagen. Sein Tortenladen habe erst vor drei Jahren geöffnet und die Vergleichsbasis sei zu gering. Klar sei aber: „Der Einzelhandel hat sowieso mit der Internetkonkurrenz zu kämpfen. Da ist es wichtig, dass man an der Straße kurz parken kann, um schnell etwas zu besorgen. Sonst nimmt man den Leuten die Kundschaft.“ Und das führe bei den Ladenbetreibern zu durchaus existentiellen Sorgen.
Große Unzufriedenheit im Kiez
Dazu komme, dass die Parklets vorwiegend abends genutzt würden, von Jugendlichen, die ihren Müll dort liegen ließen: „Und den müssen wir dann wegmachen.“ Er wünscht sich eine andere Form der Verkehrsberuhigung: eine Einbahnstraße, mit Fahrradparkplätzen auf der einen Seite, und vor allem: Autoparkplätzen auf der anderen.
Die Unzufriedenheit sei allgemein groß im Kiez. Zumal ja auch niemand wisse, wie es weitergeht: Ob die Parklets nun wieder entfernt würden oder nicht, sei der Bevölkerung doch völlig unklar. Es fehle die ehrliche Kommunikation von Seiten der Politiker. Er habe durchaus schon Stimmen gehört, die sagen, dass in der nächsten Wahl abgerechnet werde. Persönlich sähe er es allerdings lieber, wenn Menschen auf die Straße gingen, um zu demonstrieren.
Demonstrationen gegen die Begegnungszone? Die würden jedenfalls auch zu mehr Begegnungen im Bergmannkiez führen. Und zu vorübergehender Verkehrsberuhigung obendrein.