Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Falkenhagener Feld: Wo die Reime härter klingen
96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 18: Falkenhagener Feld.
Sie wissen nicht, wo das Falkenhagener Feld liegt? Ist ganz einfach zu finden auf dem Stadtplan. Wenn Sie Ihren Zeigefinger die Startbahn des Flughafen Tegel entlanggleiten lassen und dann in direkter Verlängerung weiter Richtung Westen bewegen, wird er sich auf der Spandauer Seite der Havel einmal der Länge nach durch das Falkenhagener Feld schieben. Gefunden? Dann kennen Sie jetzt auch schon ein Problem dieses Ortsteils: Alle paar Minuten fliegt ziemlich tief und ziemlich laut ein Flugzeug drüber weg.
Falls Sie die Fingerübung online durchgeführt haben, tippen Sie nun bei Google „Falkenhagener Feld“ ein. Die erste vorgeschlagene Suchwortergänzung ist „Kriminalität“. Das ist das nächste Problem.
Problem Nummer drei: Der Ortsteil besteht zu weiten Teilen aus vier- bis 16-stöckigen West-Plattenbauten.
Der Trainingsanzug groß in Mode
Nimmt man das alles zusammen, ist es eigentlich ein kleines Wunder, dass Falkenhagener Feld noch keinen überregional bekannten Gangsta-Rapper hervorgebracht hat. Falls sich jemand der Sache annehmen möchte, hier schon mal ein Textvorschlag: „Yo, hier spricht Feldheld MC, lautere Reime gab’s nie, ich dreh am Pegel, übertön die Flieger aus Tegel, hey Sido, streich die Segel, dein Block ist kleiner als meiner, Märkisches Viertel braucht keiner, mein Teil der Welt heißt Falkenhagener Feld ...“
Obwohl ich an einem grauen Regentag zwischen den Hochhäusern unterwegs war, fand ich den Ortsteil mit seinen Kampfhundehaltern und Bierdosentrinkern und Trainingsanzugträgern nicht unsympathisch. Vor allem lag das wohl an der charmanten älteren Dame, die ich im Café Zeppelin kennenlernte, gelegen in einem der expressionistischen Eckhäuser an der Kreuzung Falkenseer Chaussee/Zeppelinstraße, die hier mehr oder weniger die einzigen Altbauten sind.
Gespräch mit einer Wanderin
Die Frau kam von der niederländischen Karibikinsel Aruba, lebte aber schon ewig in Spandau und sprach ein zauberhaft irrlichterndes Deutsch. „Früher es gab im Wald eine dolle Nervenklinik, mit sehr Bekloppten, das waren die beste Menschen hier! Wenn jemand im Bus zu dir Hallo gesagt hat, du wusstest, das ist ein netter Bekloppter aus der Klinik, weil sonst in Deutschland schweigen ja alle im Bus!“
Wir kamen ins Gespräch, als ich die Kellnerin fragte, ob es im Falkenhagener Feld etwas Interessantes zu sehen gebe. Der Kellnerin fiel nichts ein, stattdessen meldete sich die Arubanerin zu Wort. „Ich bin eine Wanderin!“, sagte sie. „Ich weiß das!“ Sie erzählte mir von der Mauer, die früher am Westrand des Ortsteils gestanden hatte. Die britischen Soldaten, die dort stationiert waren, hatte sie damals oft in ihren Wachhäuschen besucht, wenn sie als „Wanderin“ unterwegs am Mauerstreifen war. Sie trank Tee mit ihnen und winkte hinüber zu den Türmen auf der anderen Seite, wo die DDR-Grenzer mit ihren Ferngläsern standen, und manchmal, aber nur selten, winkte einer zurück.
Am Ende der Falkenseer Chaussee, wo früher die Mauer stand, steht heute ein großes Schild. „Hier waren Deutschland und Europa bis zum 13. November 1989 um 18 Uhr geteilt“, las ich. Unwillkürlich fragte ich mich, ob das Falkenhagener Feld damals wohl auf der deutschen oder auf der europäischen Seite der Mauer gelegen hatte.
Fläche: 6,88 (Platz 54 von 96)
Einwohner: 37 381 (Platz 37 von 96)
Durchschnittsalter: 44,3 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Thomas Dörflein (Knut-Pfleger, † Friedhof in den Kisseln)
Gefühlte Mitte: Café Zeppelin
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Diese Kolumne erschien am 08. Juli 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.
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