Anwohner klagen in Straßburg: Europäischer Gerichtshof entscheidet über BER-Nachtflugverbot
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hat jetzt überraschend eine Klage für ein strikteres Nachtflugverbot zugelassen. Anrainer schöpfen neue Hoffnung.
Am BER droht neuer Ärger. Der kürzlich eröffnete Berliner Hauptstadtflughafen wird nun zum Fall für die EU-Gerichtsbarkeit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat jetzt überraschend eine Klage von BER-Anwohnern gegen das bisher geltende, aber nach wie vor umstrittene Nachtflugverbot zugelassen.
Sollte die Klage in Straßburg Erfolg haben, müsste der BER-Planfeststellungsbeschluss beim von allen deutschen Gerichten bestätigten Nachtflugverbot womöglich doch noch nachgebessert werden. "Ich sehe die Chancen bei Fünfzig zu Fünfzig", sagte der Berliner Anwalt Stefan von Raumer, der die drei Kläger vertritt, dem Tagesspiegel. Sie werden vom Bürgerverein Berlin-Brandenburg (BVBB) unterstützt, der größten Bürgerinitiative um den neuen Airport. "Wir hoffen, dass es sich für die Anwohner nun doch noch zum Besseren wendet", sagte Manfred Kurz vom BVBB. Er sei froh, dass sich das Europagericht mit dem Lärmschutz am BER befasse.
Viele Beschwerden beim Menschenrechtsgerichtshof werden gar nicht erst zugelassen. Das geschehe nur, so Raumer, wenn die Straßburger Richter eine Verletzung der europäischen Menschenrechtskonvention tatsächlich für möglich halten. Deren Unterzeichnerstaaten, auch Deutschland, haben sich zur Bindung an seine Urteile verpflichtet. In einem Schreiben vom 11. Dezember haben die Richter inzwischen Fragen an die Streitparteien geschickt, an die Bundesrepublik Deutschland und die Anwohner.
Am BER darf nach dem geltenden Planfeststellungsbeschluss zwischen Mitternacht und 5 Uhr nicht geflogen werden, in den Randzeiten sind die Flüge limitiert. In Deutschland waren alle Klagen für ein strikteres Nachtflugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr um den neuen Airport für Berlin und Brandenburg bislang gescheitert, für das sich bislang Anwohner, aber auch Regierung und Landtag Brandenburgs bislang vergeblich einsetzen.
Nachdem sich in Brandenburg 103.000 Menschen in einem erfolgreichen Volksbegehren für ein Flugverbot zwischen 22 Uhr und 6 Uhr stark machten, hatte der Landtag die Forderung übernommen. Brandenburgs Regierung konnte sich damit aber bisher nicht beim Land Berlin und dem Bund, den Miteignern der Flughafengesellschaft, durchsetzen. Es ist auch ein propagiertes Ziel der aktuellen von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geführten Kenia-Koalition.
Bundesverfassungsgericht hatte Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen
Vorher hatten die drei BER-Anrainer beim Bundesverfassungsgericht vergeblich Beschwerde gegen das BER-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eingelegt. Das höchste deutsche Gericht hatte dies 2018 nicht zur Entscheidung angenommen. Erst damit war juristisch der Weg nach Straßburg frei.
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In der Sache rügen die Lärmbetroffenen, dass das Bundesverwaltungsgericht es im damaligen Verfahren abgelehnt hatte, neue medizinische Gutachten über schädliche Auswirkungen von Fluglärm zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht stützte sich auf das 2007 – und damit während der Verfahren um den BER-Planfeststellungsbeschluss – geänderten Fluglärmschutzgesetz, nachdem dies auch nicht nötig war. Die Frage ist, ob das auch der Menschenrechtskonvention entspricht.
Laut Raumer wird mit der Beschwerde in Straßburg insbesondere gerügt, dass die Lärmbetroffenen keine Möglichkeit mehr hatten, neuste lärmmedizinische Erkenntnisse im Planfeststellungsverfahren zum Nachtflug am BER vorzutragen, nach denen sie unzumutbarem nächtlichen Fluglärm ausgesetzt werden.
„Die Vorschriften der europäischen Menschenrechtskonvention gebieten auch eine individuelle und aktuelle Berücksichtigung aller lärmmedizinisch relevanten Umstände in einem fairen und effizienten Rechtsschutzverfahren gegen einen Planfeststellungsbeschluss zu einem lärmintensiven Vorhaben“, argumentiert von Raumer.
Wann Straßburg entscheidet, ist offen. Zunächst läuft wie in solchen Verfahren üblich eine dreimonatige Frist, in der die Kläger und die Bundesrepublik eine gütliche Einigung ausloten können.