Tattoobranche fürchtet um Qualität: EU will zwei Farbpigmente verbieten
Tattoos werden immer beliebter. Die Branche ist allerdings in Sorge: Eine neue Regulierung könnte die Qualität der Arbeiten gefährden.
Farbe unter der Haut – schwarz oder bunt, jedes Tattoo erzähle eine Geschichte, es sei wie ein Tagebucheintrag, sagt Max. Der gebürtige Franke hat eigentlich Theaterwissenschaften und Philosophie studiert, leitet aber seit fünf Jahren als Storemanager das Bläckfisk-Tattoostudio in Kreuzberg nahe dem Kottbusser Tor.
Die Wände des kleinen Studios sind fast gänzlich bedeckt von Skizzen. Totenköpfe, ein schwarzer Panther und ein großer Tintenfisch mit einem Pinsel in der Hand blicken Besucher an, die den kleinen Laden betreten. Das Bläckfisk ist noch ein klassisches „Walk-in“-Studio, man braucht nicht unbedingt einen Termin.
Jeder fünfte Deutsche ist tätowiert
Wenn einer der derzeit zehn Tattookünstler, die hier regelmäßig arbeiten, Zeit hat, kann es sofort losgehen und die Nadel fängt an zu summen. Mit der Tattooromantik könnte es bald vorbei sein. Die Szene ist in Sorge. Die EU will regulieren und große Konzerne entdecken den Markt für sich. Der Tattootrend ist seit Jahren ungebrochen. Laut einer 2017 erschienenen Studie aus Leipzig trägt jeder fünfte Deutsche den farbigen Permanentschmuck.
Gerade bei jungen Frauen steigen die Zahlen: Rund die Hälfte der 25- bis 34-Jährigen ist tätowiert, das sind 19 Prozent mehr als noch im Jahr 2009. Seit einer Weile vertreibt der Hamburger Großkonzern Beiersdorf eine Pflegeserie mit dem Namen „Skinstories“, und erst kürzlich gab der norddeutsche Schreibwarenhersteller Edding bekannt, jetzt eigene Tattoofarben produzieren und sogar ein eigenes Studio in Hamburg eröffnen zu wollen.
Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) plant derweil, die Farbpalette für Tattoos erheblich einzuschränken. Verboten werden sollen zwar nur zwei konkrete Pigmente – Blue 15 und Green 7 –, jedoch insgesamt 4000 verschiedene Stoffe sollen in ihrer Konzentration in der Tätowierfarbe extrem reduziert werden.
[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]
„Tatöwierungen würden stark an Qualität verlieren. Die Farben wären dann wieder auf Steinzeitniveau, sie werden nicht mehr gut unter der Haut halten und schnell verschwimmen“, sagt Gordon Lickefett, Vorsitzender des Bundesverbands Tattoo e.V.
Seine Hauptbefürchtung sei, dass die ECHA-Verordnung keineswegs Verbraucher schützend sei, wie sie es vorgebe. Wenn die zulässigen Farben aufgrund der Reduzierung schlechter werden, würden viele Tätowierer sich gezwungen sehen auf ausländische Produkte zurückzugreifen, warnt Lickefett „Der Markt wird wahrscheinlich in den Untergrund gehen, denn die Nachfrage an Farbvielfalt wird nicht automatisch zurückgehen.“
Die Tattoo- und Kosmetikbranche soll gleich behandelt werden
Aktuell gebe es eine lückenlose Rückverfolgbarkeit, falls es Probleme mit einer Farbe geben sollte. Auf einem Schwarzmarkt gehe die verloren. Das Problem an den EU-Plänen sei, dass man die Tattoo- und Kosmetikbranche in einen Topf werfe und für beide gemeinsame Verordnungen erlasse. Nach Ansicht der ECHA dürften Stoffe die auf der Haut nicht erlaubt sind, erst recht nicht unter die Haut gelangen. Das greife zu kurz, meint Lickefett: „Die Kosmetikmittelindustrie hat ganz andere Anforderungen an Pigmente.“
Das Blau, um das es geht, sei für die Kosmetikindustrie einfach nicht brauchbar und daher nicht wissenschaftlich erforscht und zugelassen. Das Verfahren sei kostspielig. Der Bundesverband Tattoo e.V. fordert deshalb, dass die EU „einen Schritt zurückgeht“ und vor einem generellen Verbot die Tätowiermittel erst einmal untersuchen solle.
Die Tattoobranche ist kaum reguliert
Dabei sei eine gesetzliche Regulierung der Branche durchaus wünschenswert, sagt Lickefett. Seit 2009 gibt es in Deutschland eine Tätowiermittelverordnung, die eine Negativliste verbotener Substanzen führt. „Noch kann aber jeder mit einem Gewerbeschein ein Tattoostudio eröffnen“, erklärt er. „Wir wünschen uns eigene Gesetze für die Tattoobranche. Andere verbrauchernahe Branchen wie die Gastronomie oder das Friseurhandwerk sind komplett durchreguliert, die Tattooszene dagegen gar nicht.“
Die Gespräche, die es bisher zwischen den Verbänden und der Politik gab, seien zwar ein guter Ansatz, bisher habe das Interesse einzelner Akteure aber nur bis zum Ende einer Legislaturperiode gedauert, sagt Lickefett. Noch fühle sich leider auch keines der Berliner Ministerien für die Regulierungsvorschläge der Verbände zuständig.
„Ernährung Wirtschaft, Arbeit, keiner wollte unsere Vorschläge hören. Ich denke, weil die Relevanz einfach noch nicht groß genug ist.“ Immerhin gestalte sich die Zusammenarbeit mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Gitta Connemann, sehr gut und positiv. Connemann hatte im September 2018 Vertreter der Branche und der zuständigen Behörden eingeladen, um über Hygienestandards, Zusammensetzung der Farben und Ausbildung der Tätowierer zu sprechen.
Dass viele Tätowierer nichts von staatlicher Regulierung hielten, ist dem Bundesverband bewusst. Sich gegen Regulierungen zu wehren, läge „in der Natur des Tätowierers“, sagt Vorstand Lickefett, der neben seiner Verbandstätigkeit auch Geschäftsführer des in Berlin ansässigen Großhändlers „Tattoosafe Tattoo Supply“ ist.
Die Szene möchte am liebsten unreguliert bleiben, das Tätowiererdasein werde oft romantisiert, sei aber heute längst ein Dienstleistungsberuf. Wer da nicht mitziehe, werde hinten runterfallen. Max und seine Bläckfisk-Kollegen sagen, von einer Regulierung der Szene halten sie nichts. „Es läuft leider immer darauf hinaus, dass Leute etwas regulieren, die davon keine Ahnung haben“, meint der 31-Jährige. Die Szene reguliere sich am besten selbst.
Woran erkennt man ein seriöses Tattoostudio?
Woran erkennen die Verbraucher ein seriöses Tattoostudio? Unter anderem an den dort ausgestellten Arbeiten, sagen sie. Ein seriöser Tätowierer könne außerdem Arbeitsproben vorweisen und trete damit meist in den sozialen Netzwerken in Erscheinung. Außerdem sei es grundsätzlich ratsam auf Empfehlung zu einem Tätowierer zu gehen.
Immer mehr Leute wollen das Handwerk lernen. Allein das kleine Bläckfisk-Studio erreichten jeden Monat zirka 20 Ausbildungsplatz-Anfragen aus ganz Europa. Dabei sei es alles andere als einfach, einen Ausbilder zu finden, erklärt Max. „Nicht jeder bekommt eine Ausbildung. Es ist wie bei jedem traditionellen Handwerk. Man muss als Lehrling einen Meister finden, der bereit ist, einen auszubilden. Dafür brauche man viele Zeichnungen, viel Übungen und Vertrauen.
Zwei Jahre dauert die Ausbildung in der Regel
Bei einem guten Lehrer bekomme man erst nach einem Jahr die Maschine in die Hand, vorher sei Zugucken angesagt. Zwei Jahre dauere die Ausbildung insgesamt. Ähnlich viele Anfragen bekomme man in Kreuzberg von Vertretern neuer Produkte – zumeist Pflegemittel.
Die meisten davon seien aber eher schlecht als recht. Die Firmen drängten aus Profitinteresse in die Branche, ohne auf die Zusammenarbeit mit Tätowierern zu setzen, sagt Max. Die Tatsache, dass Konzerne wie Edding jetzt die Tattooszene als Absatzmarkt entdecken, amüsiert ihn.
„Die Sache ist eine Lachnummer“, sagt Max. „Da geht es nur um die Kohle. Kein ernst zu nehmender Tätowierer würde sich da bewerben. Jeder hat sofort das Bild vom als Teenie mit Edding auf die Haut gemaltem Tattoo vor Augen.“
Am Kotti zumindest wird die Romantik noch hochgehalten. Hier summt die Nadel und immer neue Flashes drängen an die letzten weißen Flecken im Studio. Das wird sich so schnell nicht ändern.
Magdalena Thiele
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität