Urheberrechte auf der Haut: Wem gehört mein Tattoo?
Alles im Tintenfluss: Das Bild auf der Haut ist Kunst und Mainstream. Tätowierer und Tätowierte verändern das Recht zu ihren Gunsten.
Der Mensch ist mit Ornamenten und Bildern bedeckt. Stolz präsentiert er seine Tattoos im Internet, lässt sein Lieblingsmotiv auf T-Shirts drucken, die er verkauft - und bekommt Ärger. Denn auch an Tattoos besteht Urheberrecht. Das war nicht immer so. Ist das nun Kunst oder Handwerk? Der Bundesfinanzhof entschied schon vor 20 Jahren: Kunst ist das nicht. Geklagt hatte ein Tätowierer, der vom Finanzamt mit dem Regelsatz besteuert worden war, selbst aber die Auffassung vertrat, es handele sich bei seinen Tätowierungen um Kunstwerke, so dass er nur den ermäßigten Steuersatz zahlen müsse. Rechtlich hätte das Tätowieren dann aber als Lieferung eines Kunstgegenstands durchgehen müssen. Dazu das Gericht trocken: „Die Übertragung der Farbstoffe durch den Tätowierer ist umsatzsteuerrechtlich nicht als Lieferung eines Gegenstands zu beurteilen.“ Heute würde das wahrscheinlich anders gesehen.
Tätowierer heißen jetzt „Tattoo Artists“, und die Frage, ob es sich um Kunst handelt, wird von Juristen eindeutig mit Ja beantwortet. In den vergangenen Jahren ist das Tattoo gesellschaftsfähig geworden. Nicht nur dass die ehemalige First Lady Bettina Wulff eins hatte, auch die Zahl der tätowierten Stars scheint explodiert zu sein.
Der Soldat: Kurze Haare, Bart nur gestutzt, Fingernägel kurz und sauber
Tätowierungen seien bei jungen Menschen weit verbreitet und „in der Mitte der Bevölkerung angekommen“, stellte auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erst vor zwei Wochen fest und gab damit einem Bewerber Recht, der zur Polizei wollte und den diese wegen der großflächigen Tattoos auf seinen Unterarmen abgelehnt hatte, weil sie beim Tragen der Sommeruniform zu sehen wären. Nicht die Behörde könne das regeln, sondern nur der Berliner Gesetzgeber, so das Gericht. Die parlamentarische Debatte dürfe von der Polizeibehörde nicht vorweggenommen werden. Behördliche Ablehnungen seien nur erlaubt, wenn aufgrund der Tätowierungen Zweifel bestünden, ob die Bewerberinnen oder Bewerber jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung mitsamt den dort geregelten Menschenrechten einträten oder wenn mit den Tätowierungen gegen Strafgesetze verstoßen werde.
Jahrzehntelang waren bei Polizei und Bundeswehr Tätowierungen verboten, wenn man sie sehen konnte, also etwa an den Unterarmen unterhalb der „T-Shirt-Grenze“. Das ist in vielen Bundesländern mittlerweile passé. Die Bundeswehr regelte 2014, dass jeder seine Tattoos bedecken muss, der eine Uniform trägt. Das Erscheinungsbild des deutschen Soldaten ist generell stark geregelt: kurze Haare, die nicht über den Kragen reichen, Bärte nur gestutzt, Fingernägel kurz und sauber.
Tattoos können viel bedeuten, heute sind sie meist Selbstdarstellung
Tätowierungen können die verschiedensten Bedeutungen haben, und ihre Geschichte reicht weit zurück - die ältesten Funde sind mehr als 5000 Jahre alt, zum Beispiel die Gletschermumie, die als Ötzi bekannt wurde. Tattoos können Zeichen der Mitgliedschaft in einem Stamm sein, der Zugehörigkeit zu einer Religion, der Vergangenheit in einem Gefängnis, Besitzanzeige eines Zuhälters oder Markierungen eines Unrechtsregimes wie die auf den Unterarm tätowierten Ziffern von Auschwitz-Inhaftierten. Sie können aber, und das ist heute die Regel, einfach Ausdruck eines Lebensgefühls sein, der eigenen Individualität, Merkmal der Geltungssucht und Selbstdarstellung. Es gab auch Schockwerbung mit einem Tattoo, die aber 2001 in letzter Instanz vom Bundesgerichtshof verboten wurde. Damals hatte die Modemarke Benetton mit einem nackten Gesäß geworben, das einen Stempel „H.I.V. Positive“ trug. Diese Anzeige, erschienen im „Stern“, wurde als sittenwidrig verboten.
Kunstwerke zerstören ist erlaubt, sie zu verändern nicht
Zur Frage, wem die Kunst auf der eigenen Haut gehört, meldete sich jetzt der Medienrechtler Karl-Nikolaus Peifer zu Wort, Lehrstuhlinhaber in Köln. „Allgemeinbekannte Motive, wie Schnörkel, Herzmotive oder ähnliches sind gemeinfrei, dürfen also von jedem gestochen werden, individuelle Motive sind dagegen regelmäßig geschützt“, so Peifer. In einem solchen Fall „gehöre“ das Motiv zunächst demjenigen, der es stechen soll. Die Anforderungen an den Schutz von Zeichnungen, Grafiken oder auch Tattoos sind nicht allzu hoch.
Will der Kunde sein Tattoo im Internet zeigen und verbreiten, braucht er dazu eine Lizenz des Künstlers und muss deren Vorliegen beweisen. Peifer geht davon aus, dass die Anforderungen an diese Lizenz nicht hoch sind, „denn ohne Vereinbarung mit dem Studiobetreiber wäre das Tattoo ja nicht auf dem Körper des Kunden“, so der Urheberrechtler. Dass ein gestochenes Tattoo üblicherweise diejenigen Nutzungen erlaube, mit denen der Künstler (heute) rechnen muss, also auch Fotos in Sozialen Medien, sei nicht allzu schwer zu begründen. Wer aber sein Tattoo vermarkte, indem er T-Shirts davon drucken lasse, der verlasse den Inhalt der üblichen Lizenz und benötige hierfür eine besondere Gestattung.
Wer als Tattoo-Künstler die Motive seines Konkurrenten übernehme, könne ohnehin nicht auf eine Erlaubnis bauen. Er begehe also eine Urheberrechtsverletzung, die auch verfolgbar sei. Interessant ist auch, was passiert, wenn ein Tattoo verändert werden soll, wenn etwa aus der verflossenen Helene die neue Helena werden soll. Denn der Eigentümer eines Kunstwerks darf es jederzeit zerstören. Aber verändern darf er es nicht. Das wäre eine Entstellung des Kunstwerks.
Fatina Keilani
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