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Das regelmäßige Training an den Schießständen der Polizei war mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden.
© Rainer Jensen/dpa

Gutachten zur Schießstandsaffäre: "Es war klar, es kann nichts rauskommen“

Personalvertreter kritisieren die Charité-Studie, die keinen direkten Zusammenhang zwischen der giftigen Munition und den Erkrankungen der Beamten feststellt.

In der unbestritten größten Affäre der vergangenen Jahre in der Berliner Polizei wird es keine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung geben – vor allem nicht für die Beamten, die jahrelang mit Wissen der Polizeiführung giftigen Dämpfen in maroden Schießständen ausgesetzt waren. Das wurde am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses deutlich. Dort legte die von Innensenator Andreas Geisel (SPD) einberufene Entschädigungskommission ihre Ergebnisse vor, Vertreter der Charité stellten ihre vom Senat in Auftrag gegebene Studie zu den gesundheitlichen Folgen vor. Am Ende herrschte Ratlosigkeit – aber auch Verwirrung. Vor allem darum, wie viele Beamte nun eine Entschädigung bekommen.

Geisel: Beamte sollen sich auch in Folgejahren noch melden können

Monika Paulat, frühere Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, trug als Vorsitzender der Kommission andere Zahlen vor, als die Innenverwaltung dem Abgeordnetenhaus genannt hatte. Nach der Ausschusssitzung musste die Verwaltung noch einmal prüfen. Demnach sind 786 Anträge bearbeitet und zwei zurückgezogen worden. 487 erkrankte Berliner Polizisten – meist Schieß- und Einsatztrainer sowie Spezialkräfte – erhalten nach der 2015 publik gewordenen Affäre eine finanzielle Entschädigung. 299 Anträge wurden abgelehnt. Die meisten Beamten, genau 326, bekommen 3000 Euro, 25 Polizisten erhalten 7500 Euro, bei 114 sind es 10 000 Euro. In den Stufen von 30 000 Euro (8) bis 80 000 Euro (1) ist die Zahl der Empfänger nur noch einstellig.

Geisel erklärte, die Gesamtsumme für die Entschädigung werde nicht gedeckelt. Beamten sollen sich auch in den Folgejahren noch melden können, um eine Entschädigung zu erhalten. „Wir stehen zu unserer Verantwortung“, sagte Geisel. Weil Beamte jahrelang Gefahren ausgesetzt gewesen seien, wolle der Senat ihnen aus Fürsorgepflicht langwierige Klageverfahren für eine Entschädigung ersparen. Damit beschreite Berlin einen bundesweit einmaligen Weg.

Die zentrale Frage für die Beamten ist die Anerkennung von Dienstunfällen

Nach dem Gutachten der Charité sei ein Zusammenhang zwischen den Zuständen der Schießstände und Erkrankungen der Beamten nicht kausal nachzuweisen. Dies sei auch strafrechtlich relevant. Damit spielte Geisel auf die laufenden Ermittlungsverfahren gegen Ex-Polizeipräsident Klaus Kandt und die damalige Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers an, die heute Generalstaatsanwältin ist. „Wir können Wissen nicht durch Glauben ersetzen“, sagte Geisel. „Im Rechtsstaat ist der Beweis erforderlich.“

Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl erklärte, es könne kein kausaler Zusammenhang zwischen häufigem Schießtraining und langfristigen Erkrankungen festgestellt werden. Das sei aber auch kein Beweis dafür, dass Giftdämpfe keine Störungen verursacht haben. Dass die Beamten vergiftet wurden, sei jedoch klar, wie die von vielen Beamten geschilderten akuten Symptome zeigten: schwarzer Auswurf, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit. „Die körperlichen Belastungen sind unstrittig“, sagte Einhäupl. Es seien zwar erhöhte Bleiwerte im Blut von Vielschießern festgestellt worden, diese bewegten sich jedoch im Rahmen des Üblichen. Bei der Lungenfunktion könnten schwache Signale für Spätfolgen vorliegen.

Die zentrale Frage für die Beamten ist die Anerkennung von Dienstunfällen – die Charité-Studie spricht nicht dafür. Selbst Vertreter der rot-rot-grünen Koalition hatten im Vorfeld erklärt, die Studie sei schon bei der Fragestellung und vom Design her völlig ungeeignet, die Vorgänge und Zusammenhänge wirklich aufzuklären. SPD-Innenexperte Frank Zimmermann sagte, die Ergebnisse der Studie führten zu einem Dilemma, mit dem alle nun leben müssten.

Nicht alle Krankheitsbilder wurden untersucht

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hat die Entscheidungen zur Entschädigung kritisiert. Trotz eines klaren Kriterienkatalogs für die von Innensenator Andreas Geisel (SPD) einberufene Bewertungskommission seien unterschiedliche belastete Beamte gleich behandelt worden, erklärte der BDK. Karsten Loest, Sprecher der Betroffenen vom Verein „Berliner Interessengemeinschaft Solidarischer Staatsbedienstete“ sagte: „Wir sind nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Es war klar, es kann nichts rauskommen.“ Es seien nicht alle Krankheitsbilder untersucht worden, was Einhäupl zugab. Zudem sei die Belastung mit Asbest und Schimmelpilz in den Schießständen nicht berücksichtigt worden. Spätestens seit 2005 habe die Polizeiführung das Abgeordnetenhaus über die gefährlichen Zustände und die hohe Schadstoffbelastung informiert, erst 2013 sei die schlimmste Anlage in der Bernauer Straße geschlossen worden.

Obendrein seien Vielschießer untersucht worden, die neuere, schadstoffarme Munition nutzten, sagte Löst. Gerade SEK-Beamte und Personenschützer hätten jedoch über Jahrzehnte mit schadstoffreicher Munition geübt. Auch sei nicht verständlich, warum ein Beamter mit 20 Jahren beim SEK genauso viel Entschädigung bekomme wie ein Kollege mit drei Jahren SEK-Dienst. In einem Fall sei bei einem SEK-Beamten nach 18 Jahren Dienst nachgewiesen, dass ein Nierenschaden und eine Hauterkrankung Folge der Schießstände seien. Dieser Beamte sei aber leer ausgegangen, sagte Loest.

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