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Streitfall Mieten. Berlin geht mit dem Mietendeckel deutschlandweit voran.
© Frank Molter/dpa

Ist der Mietendeckel sinnvoll?: Nein, denn Schwächere schauen in die Röhre

Die Erwartung, dass nun die Mieten nicht steigen werden, kann nur enttäuscht werden. Der Mietendeckel wird jahrelang die Gerichte beschäftigen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Am Dienstag beschließt der Berliner Senat den Mietendeckel – Start für einen bundesweit einmaligen Versuch. Kann das gut gehen? Dazu unser Pro und Contra, den Pro-Kommentar von Ariane Bemmer finden Sie hier.

Der Wohnungsmarkt darf kein Casino sein. So viel ist klar. Für jeden Menschen ist es wichtig, ein sicheres Zuhause zu haben, ein bezahlbares. Damit das auch in wachsenden Großstädten funktioniert und Mietwucher eingedämmt wird, muss die Politik eingreifen. Auch daran gibt es keinen Zweifel.

Einen Ausgleich zu schaffen zwischen den privaten Interessen von Eigentümern, Investoren und Anlegern und den sozialen Interessen der Gesellschaft, ist die Kernaufgabe von Politik in einer „sozialen“ Marktwirtschaft. Wer, wenn nicht sie soll für Balance sorgen? Daraus erwächst aber für Politiker große Verantwortung. Wer den Schwachen Hilfe verspricht, mit Gesetzen reguliert und die Starken in die Schranken weist, muss sorgfältig darauf achten, dass er keine Luftschlösser baut. Sonst geht Glaubwürdigkeit verloren, und im Ergebnis blühen Populismus, Revolutionsfantasien und noch mehr Egoismus. Vertrauen ist eine besonders wertvolle Währung in der Politik. Wehe, wenn es verloren geht.

Dass auf dem Berliner Wohnungsmarkt der gesellschaftliche Ausgleich schon lange nicht mehr funktioniert und von ausgewogenen Marktbedingungen keine Rede sein kann, ist unstrittig. Weshalb richtig ist, dass eingeschritten wird. Leider hat die Politik in Berlin zur Verschärfung des Missstandes selbst beigetragen – durch den Verkauf von Tausenden Wohnungen und zu wenig Anstrengungen beim Neubau.

Man muss daran erinnern, wenn jetzt die Ausgewogenheit der Maßnahmen bewertet wird. Denn Vertrauen ist nichts, was nur die Mieter haben müssen, sondern auch die Vermieter, die Investoren von morgen. Ausgleich zwischen den Interessen aller ist der Boden, auf dem eine friedliche Gesellschaft wächst.

Müssen Mieter das Gesparte nachzahlen?

Wenn das Berliner Abgeordnetenhaus dem Mietendeckel-Gesetz zustimmt, wird ... Ja, was eigentlich? Werden Mieter sicher sein, dass ihre Miete jahrelang nicht steigt? Nein. Denn es gibt ernst zu nehmende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gesetzes.

Jahrelang werden sich Gerichte damit befassen. Nicht ausgeschlossen, dass Mieter das Gesparte nachzahlen müssen, wenn Richter das Gesetz kippen. Soll man schon Vorsorge treffen und Sonderkonten einrichten? Und die Vermieter, sollen sie jetzt die Mieten trotz des Gesetzes anheben – allein, um ihre Ansprüche zu sichern?

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Fragen über Fragen stellen sich, je näher sich beide Seiten – Mieter und Vermieter – mit dem Gesetz beschäftigen. Und die Befürchtung wächst, dass es gar keine klaren Antworten darauf geben kann, rechtssichere schon mal gar nicht. Wohnungspolitik fürs Casino: Eben war der Mietspiegel 2019 noch Recht, morgen wird seine Tabelle schon als Wucher deklariert.

Man wird sich auf Mieterberatungen und Anwälte verlassen oder durchwurschteln müssen. Die Cleveren gewinnen, Schwächere schauen einmal mehr in die Röhre. Unsichere Zeiten für Mieter und Vermieter. Kann man, soll man jetzt noch energetisch sanieren, Wohnungen bauen? Was lässt sich diese Landesregierung nächstes Jahr einfallen? Das Stichwort Enteignung ist gefallen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wohnungsmarkt in Berlin durch diesen Mietendeckel sozialer wird, ist nicht sehr hoch. Die Gefahr aber wächst, dass noch mehr Menschen von der Politik enttäuscht werden, an deren Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zweifeln und das Vertrauen in die Gesellschaft verlieren.

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