zum Hauptinhalt
Die Liste der Systemrelevanten Berufe ist 28 Seiten lang.
© Petra Schneider/imago

„Monströses Regelwerk“: Eltern kritisieren Liste systemrelevanter Berufe bei Kita-Notbetreuung

Der Senat beschränkt den Zugang zur Kinderbetreuung in der Coronakrise. Wie das geschieht, wird als unfair und zu kompliziert bemängelt.

Die Entscheidung des Berliner Senats zur Begrenzung der Kita-Betreuung auf Kinder von Eltern bestimmter Berufsgruppen stößt auf viel Kritik.

Landeselternvertretung, Bildungsgewerkschaft GEW und Wohlfahrtsverbände stuften die neue Regelung am Donnerstag unter anderem als ungerecht, kompliziert und kaum praktikabel ein, teils auch als fragwürdig im Hinblick auf den Schutz vor dem Coronavirus. Dies führe zu neuer Verunsicherung bei Eltern sowie Erzieherinnen und Erziehern.

Der Senat hatte am Mittwoch im Zuge der Lockdown-Verlängerung bis 14. Februar Bedingungen für Eltern beschlossen, die ihre Kinder partout nicht zu Hause betreuen können. In eine Kita dürfen Kinder ab Montag nur, wenn mindestens ein Elternteil in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Hinzu kommt der Nachwuchs von Alleinerziehenden oder aus Familien in einer sozial schwierigen Situation.

Mit der Regelung will der Senat erreichen, die „Notversorgung“ in Kitas auf maximal 50 Prozent der normalen Kapazitäten zu begrenzen. Zuletzt waren die Kindertagesstätten trotz Lockdown deutlich voller, als ursprünglich angenommen.

„Die Begrenzung auf eine Liste der systemrelevanten Berufe war nicht unsere bevorzugte Option“, sagte die Vorsitzende des Landeselternausschusses für die Kitas, Corinna Balkow, der Deutschen Presse-Agentur. „Man hat Glück und steht auf der Liste oder eben nicht.“

Gewerkschaft: Regelung wird keine Besserung bringen

Viele Eltern hätten sich eine andere Lösung gewünscht, zum Beispiel einen Anspruch auf einen eingeschränkten Kita-Betrieb mit kleineren Gruppen für alle und die Möglichkeit, die Betreuungsstunden unter den Eltern aufzuteilen.

Die Liste bedeute, dass ein Teil der Kinder ab Montag nicht mehr kommen dürfe. „Das schränkt die Bildungschancen von Kindern auf die Berufe ihrer Eltern ein“, kritisierte Balkow.

Die 28 Seiten lange Liste, die die Bildungsverwaltung veröffentlicht hat, führt nach Balkows Einschätzung aber nicht dazu, dass tatsächlich weniger Kinder in den Kitas sein werden. Es sei nun davon auszugehen, dass jeder, der sich auf der Liste wiederfinde, seinen Anspruch geltend machen werde.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Unklar sei, wie mit der Liste umgegangen werden solle, sagte Berlins GEW-Vorsitzender Tom Erdmann. „Denn die ist so überbordend groß, dass es an der Situation der Kitas nichts ändert.“ Allein anhand dieser Liste vorzugehen, sei nicht praktikabel.

Der Dachverband Der Paritätische erklärte, die neue Notbetreuung in den Kitas verfehle nicht nur das Ziel, das pandemische Geschehen konsequent einzudämmen. „Sie schafft auch noch mehr Verunsicherung. Wer eine Notbetreuung für seine Kinder braucht und in Anspruch nehmen will, muss sich jetzt durch ein monströses Regelwerk kämpfen.“

Die Liste der Berufe ist lang. Sie umfasst etwa Ärzte, Pfleger, Verkäuferinnen und Verkäufer im Lebensmittelhandel, Polizisten, Lehrkräfte, die für das schulisch angeleitete Lernen zu Hause zuständig sind, oder Erzieherinnen, die Notbetrieb in Kita und Hort aufrechterhalten.

Die Kita-Notbetreuungen sind zu voll

Auf der Liste finden sich zudem Beschäftigte in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe, Busfahrer, Beschäftigte im Strafvollzug, Journalisten, Richter oder Steuerberater, die derzeit Unternehmen wegen Corona-Hilfsleistungen beraten. Mitarbeiter der Strom- und Gasversorgung, von Tankstellen, Banken oder aus der Forschung sind ebenfalls dabei.

Die Bildungsverwaltung berichtete, dass aktuell (Stand Mittwoch) 38 Prozent der Berliner Kita-Kinder in den Einrichtungen betreut werden. Für weitere 11,6 Prozent sei ein Betreuungsbedarf angemeldet. Die Zahlen seien in den beiden vergangenen Wochen langsam, aber stetig gestiegen. Laut GEW sind die Kitas zum Teil bis zu 80 Prozent ausgelastet.

„Man muss jetzt sehen, wie die Inanspruchnahme ist“, sagte eine Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) zu der neuen Regel. Die Zahlen würden wie bisher laufend ausgewertet.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

„Zunächst einmal ist es aber entscheidend, das deutlich wird, dass es sich um eine Notbetreuung handelt, die nur bei einem außerordentlich dringlichen Bedarf in Anspruch genommen werden kann“, so die Sprecherin.

„Das gilt für alle Eltern, auch für die systemrelevanten Berufe. Auch hier kann der Bedarf zum Beispiel nicht bei fünf Tagen die Woche, sondern nur bei einzelnen Tagen liegen - je nachdem, wie die jeweiligen Beschäftigungszeiten sind.“

Die GEW-Chef Erdmann forderte statt der Liste erneut konstante Gruppen in den Kitas, zusätzliche Räume für die Kita-Betreuung, FFP2-Masken für alle Erzieherinnen und Erzieher sowie eine möglichst schnelle Impfung.

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte den Senat. Eltern müssten sich nun durch ein "monströses Regelwerk kämpfen." Die 28 Seiten lange Liste sei "unpraktikabel und verwirrend", heißt es vom Verband.

"Statt über Bedarfe von Kindern zusprechen, werden sich Kita‐Leitungen und Eltern über die Auslegung dieser Notbetreuungsregeln streiten", sagte Dorothee Thiele, Referentin für Kinder und Kitas. (dpa)

Zur Startseite