Viele Kinder in der Notbetreuung: Berlin sucht Lösungen zur Kita-Entlastung
Die Betreuungsplätze sind bereits zu einem Drittel belegt. Tendenz steigend. Zur Einschränkung auf „systemrelevante“ Berufe will man aber nicht zurück.
Es wird wieder voller in Berlins Kitas. Das merken nicht nur Eltern, die morgens ihre Kinder abliefern, sondern es schlägt sich auch in Zahlen nieder: Aus anfänglich zehn oder 20 Prozent Auslastung sind inzwischen im Schnitt mehr als 30 Prozent geworden. Dies teilte die Senatsverwaltung für Jugend am Mittwoch auf Anfrage mit.
Weitere zehn Prozent seien für kommende Woche angekündigt. Bei den Kita-Eigenbetrieben könne die Auslastung sogar noch um bis zu 20 Prozent höher liegen, mahnte überdies die Gewerkschaft Verdi am gleichen Tag. Um zu verhindern, dass es noch voller wird, wird der Ruf nach Wechselmodellen lauter.
Denn in einem sind sich der Landeselternausschuss, die Verbände und die Senatsverwaltung einig: Sie wollen nicht zurück zur Regelung vom letzten Frühjahr, als Kinder nur dann betreut wurden, wenn ihre Eltern „systemrelevanten Berufen“ wie Krankenschwester oder Pfleger nachgingen.
Denn dieses Vorgehen hatte dazu geführt, dass zehntausende Kinder völlig ohne Kita-Förderung blieben – eine „Komplettausgrenzung“, wie Erzieherkräfte damals bedauerten. Entsprechend waren die beobachteten Folgen für die Sprechfertigkeit und die Motorik der Kinder. Zwar gibt es noch keine wissenschaftliche Auswertung dieser schwerwiegenden Folgen, aber am Problembewusstsein mangelt es nicht.
Denn die Fakten sind klar: Jahr für Jahr zeigen die Einschulungsuntersuchungen, welche Folgen fehlender Kitabesuch – auch ohne Pandemie – hat: Rund einem Drittel der Berliner Kinder fehlt es ohnehin an grundlegenden Fähigkeiten, um für die Schule gewappnet zu sein: Ohne Kitabesuch klettert der Anteil der Problemkinder je nach Testthema und Herkunft auf bis zu 50 Prozent.
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Daher ist im aktuellen Lockdown die Regelung, wer seine Kinder in die Kita bringen darf, wesentlich lockerer als vor einem Jahr. Zwar sollen Kinder formal eigentlich nur in Einzelfällen in die Notbetreuung gebracht werden. Aber eine Handhabe, mit der Familien, die vermeintlich keinen Bedarf haben, abgewiesen werden können, gibt es nicht.
Gewerkschaft warnt vor Gesundheitsrisiken
Daher warnt die Gewerkschaft Verdi nach Angaben der Deutschen Presseagentur, dass das Risiko für Berliner Erzieherinnen, an Corona zu erkranken, „dramatisch“ steige. Die stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin Andrea Kühnemann erwartet demnach, „dass der Senat endlich Klarheit schafft, welche Regelung in Berlin gültig ist: Notversorgung für außerordentlich dringliche Fälle, systemrelevante Berufe oder Zwei-Drittel-Auslastung“, sagte Kühnemann. Der Senat müsse sich entscheiden.
"Wechselmodelle sind schon jetzt möglich"
Die Sprecherin der Senatsverwaltung für Jugend, Mirjam Kaplow, bekräftigte am Mittwoch das Ziel des Senats, dass im Lockdown möglichst wenig Kinder in den Kitas seien. Die Einrichtungen könnten das bisher individuell mit den Eltern regeln; dieses Verfahren sei auch „mit den Kitas abgestimmt“ gewesen. Man sei aber permanent im Gespräch mit den Kita-Trägern, ob die Situation gegebenenfalls neu bewertet werden müsse.
Die Möglichkeit für die Kitas, „einrichtungsbezogen und gemäß der jeweils konkreten Situation vor Ort“ entscheiden zu können, habe dem mehrheitlichen Wunsch der Verbände entsprochen. Zudem seien auch jetzt schon Wechselmodelle mit geringeren individuellen Betreuungszeiten möglich. Darauf sei im jüngsten Brief an die Kitaträger hingewiesen worden
„Wir beobachten sowohl das Infektionsgeschehen als auch die Inanspruchnahme sehr genau“, betonte Sprecherin Kaplow. Im Lichte dieser Entwicklung werde geprüft werden, ob weitergehende Maßnahmen zur Kontaktreduzierung und damit der Eindämmung der Pandemie erforderlich seien. Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) habe ja bereits angekündigt, dass je nach Infektionslage ein anderes Vorgehen erwogen wird.
"Man muss mit den Eltern reden"
Die Vorsitzende des Landeselternausschusses für die Kitas, Corinna Balkow, bestätigte auf Nachfrage, dass ihr Gremium die Systemrelevanz der elterlichen Berufe als Kriterium als „unfair“ ablehne. Man müsse mit den Eltern reden – diesen Appell richtet sie besonders an die Eigenbetriebe, deren Kitas besonders voll sind.
Wie berichtet, wurde bundesweit der Anspruch auf Kinderkrankengeld von zehn auf 20 Tage erhöht. Die inzwischen unter Eltern vielfach geäußerte Sorge, dass die flexible Berliner Regelung keinen Anspruch auf das Krankengeld auslöse, teilt Balkow nicht. Es reiche, dass das Kitaangebot „eingeschränkt“ sei. Und das sei es ohne Frage auch in Berlin.