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Ein zweijähriges Kind malt ein Bild, während seine Mutter Zuhause im Homeoffice an einem Laptop arbeitet.
© Julian Stratenschulte/dpa

Kita-Notbetreuung in Berlin: Die 28-seitige Liste systemrelevanter Berufe – gehören Sie dazu?

Ein Anspruch auf Betreuung besteht nur noch für systemrelevante Berufe, Alleinerziehende und Härtefälle. Hier gibt es die Liste, die Eltern und Träger kritisieren.

Der Senat hat es erst auf die sanfte Art versucht: Vor Weihnachten beschränkte er den Betrieb in den Berliner Kitas und Tagespflegestellen auf eine "Notversorgung". Allerdings beließ er es weitgehend bei dem Appell, "nur in unbedingt notwendigen Fällen" eine Betreuung in Anspruch zu nehmen. Das ermöglichte zwar viel Flexibilität, doch der gewünschte Effekt zur Pandemiebekämpfung blieb aus: Nach den Ferien stieg die Auslastung wieder auf mehr als ein Drittel, zuletzt wurde sogar Bedarf für fast die Hälfte aller Kitakinder angemeldet.

Deshalb gelten künftig genauere Regeln: Ab Montag bieten alle Kitas und die Kindertagespflege nur noch eine Notbetreuung an. Der Anspruch ist nun klarer bestimmt: Es gibt wieder eine Liste mit systemrelevanten Berufen, außerdem dürfen Alleinerziehende ihre Kinder betreuen lassen und ist eine Härtefallregelung vorgesehen.

„Ich hätte den Berliner Familien die weiteren Einschränkungen gerne erspart“, ließ sich Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) in einer Mitteilung ihrer Verwaltung vom Mittwochabend zitieren. „Aber angesichts des noch immer hohen Infektionsgeschehens und der möglichen Ausbreitung neuer Virusmutationen müssen soziale Kontakte in allen Bereichen weiter reduziert werden.“

Die neuen Vorgaben sollen auch langwierige Verhandlungen zwischen Eltern und Kitas vermeiden. Außerdem wolle man auf die Sorgen von Erzieherinnen und Erziehern um ihre eigene Gesundheit reagieren, erklärte Scheeres. Allerdings ist unklar, ob die Regeln geeignet sind, diese Ziele auch zu erreichen. Kitaträger meldeten bereits Zweifel an. Was Betroffene über die neuen Kita-Regeln sagen, lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: "Sie bringt ihr Kind, obwohl sie nicht arbeitet."

Das sind die Regeln

Vom 25. Januar bis zum 14. Februar gelten folgende Regeln: Die Notbetreuung steht Eltern nur noch offen, wenn sie einen außerordentlich dringlichen Betreuungsbedarf für ihre Kinder haben, wie die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mitteilt.

Dieser kann auch nur an einzelnen Tagen oder stundenweise bestehen. In jeder Kita soll mindestens eine Gruppe mit Ganztagsbetreuung angeboten werden. Nach Auskunft der Senatsverwaltung soll die Betreuung aber auf die Arbeitszeit beschränkt bleiben.

Zusätzlich muss eines der folgenden drei Kriterien erfüllt sein:

  • Ein Elternteil übt einen systemrelevanten Beruf aus, wobei auch im Homeoffice ein Anspruch bestehen kann. Diese Liste der systemrelevanten Berufe können Sie hier als PDF herunterladen.
  • Jemand ist alleinerziehend.
  • Die Familie befindet sich in einer sozial schwierigen Situation oder es besteht ein besonderer pädagogischer Bedarf (Entscheidungen im Einzelfall).

Hier gibt es weitere Informationen

Für Fragen von Eltern, die nicht vor Ort in den Kitas geklärt werden können, bietet die Senatsverwaltung weiterhin eine Kita-Hotline an. Sie ist werktags zwischen 9 und 13 Uhr unter Tel. 030/90227-6600 erreichbar.

Per Mail können auch schriftliche Fragen geschickt werden. Zahlreiche weitere Informationen zu Detailfragen hat die Senatsverwaltung auch auf ihrer Internetseite zusammengestellt.

[Mehr zum Thema: Das sagen Betroffene über die neuen Kita-Regeln in Berlin (T+)]

Was sich noch ändern könnte

Ob mit den neuen Regeln die Zahl der Kinder in der Betreuung tatsächlich gesenkt werden kann, wie es im Sinne der Pandemiebekämpfung sinnvoll wäre, wird sich erst noch erweisen müssen. Die Liste der systemrelevanten Berufe umfasst immerhin 28 Seiten. Sie stammt aus der Innenverwaltung und ist anders strukturiert als im Frühjahr 2020 noch, als genaue Berufe aufgeführt waren. Nun sind es Sektoren, Branchen und Bereiche - da muss man erst einmal schauen, ob der eigene Job dort hineinpasst.

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Den kritischen Wert setzte die Senatsverwaltung jedenfalls so hoch an, dass die Kitas noch voller werden dürfen. "Die durchschnittliche wöchentliche Auslastung soll in Kitas den Wert von 50 Prozent nicht überschreiten, in der Kindertagespflege 60 Prozent", heißt es in ihrer Mitteilung.

Wie die Senatsverwaltung auf Anfrage mitteilte, lag die Auslastung der Kitas am Mittwoch bei 38 Prozent, zudem sei für weitere 11,6 Prozent schon ein Betreuungsbedarf angemeldet gewesen. Tendenz: langsam, aber stetig steigend. Die 50 Prozent waren nach dem bisherigen Modell also schon beinahe erreicht.

Ob die umfangreiche Liste eine Ausweitung im Vergleich zur Liste aus dem vergangenen Jahr bedeutet oder nicht, vermochte die Senatsverwaltung wegen der unterschiedlichen Systematik nicht zu beurteilen. Dass es genügt, wenn ein Elternteil einem systemrelevanten Beruf nachgeht, entspricht jedenfalls der großzügigen Regelung zum Ende der ersten Kita-Schließungen. Zu Beginn mussten beide Eltern systemrelevant sein.

Sollte die Auslastung über den Grenzwerten liegen, will die Senatsverwaltung notfalls bestimmte Berufe bevorzugen. Auch in einzelnen Einrichtungen könnte es Einschränkungen geben, die über die genannten Regeln hinausgehen. Kitas, die überdurchschnittlich viele Kinder von Eltern systemrelevanter Berufe betreuen, können mit der Kita-Aufsicht nämlich abweichende Regelungen vereinbaren. Dies gilt auch für Einrichtungen, die nicht genug Personal haben.

Allerdings will die Senatsverwaltung auch weiteren Eltern eine Betreuungsmöglichkeit anbieten, wenn Kitas beinahe leer sind. "Bei sehr geringen Auslastungen können auch Bedarfe außerhalb der Systemrelevanz berücksichtigt werden", teilte sie mit.

Die Reaktionen: Kritik von Eltern und Trägern

Der Paritätische Wohlfahrtsverband, zu dem in Berlin 120 freie Kitaträger mit 45.200 Plätzen gehören, ging hart mit der Neuregelung ins Gericht. Sie verfehle nicht nur das Ziel, die Pandemie einzudämmen, sondern schaffe auch "noch mehr Verunsicherung". Eltern müssten sich nun "durch ein monströses Regelwerk kämpfen", die 28-seitige Liste sei "unpraktikabel und verwirrend".

Auf der schiefen Bahn: Geht es mit der Kita-Auslastung abwärts, bleibt sie gleich oder steigt sie sogar?
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© Uwe Anspach/dpa

Dorothee Thielen, Referentin für Kinder und Kindertagesstätten beim Paritätischen, beklagte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, dass von der Verkündung am Mittwochabend bis zum Beginn der Notbetreuung am Montag kaum Zeit für die Umstellung bleibe. Das führe nur zu neuen Konflikten, nachdem gerade erst gemeinsame Lösungen gefunden worden seien. Eltern und Kitas hätten sich "ganz gut zurecht geruckelt", sagte Thielen. "Das nun vorgelegte Konzept schafft weder Klarheit noch Verlässlichkeit oder Gerechtigkeit."

Das Vorgehen des Senats findet sie widersprüchlich. Es passe nicht zusammen, wenn einerseits die grundsätzliche Schließung der Kitas verkündet werde, aber dann die Notbetreuung so weit gefasst werde, dass ein Anspruch von "deutlich über 50 Prozent" erzeugt werde, wie Thielen schätzt. "Wie soll das gehen?"

Verärgert zeigte sie sich darüber, dass der Senat kein gemeinsames Konzept mit den Trägerverbänden erarbeitet hat. Die Erwartung der Kita-Expertin: Bald würden die Einrichtungen so voll sein, dass doch wieder über Einschränkungen verhandelt werden müsse - oder die Kita-Aufsicht es einfach laufen lasse. Den Gesundheitsschutz der Beschäftigten sieht sie dadurch auch nicht gewährleistet. Anders als von der Senatorin verkündet.

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Auch der Landeselternausschuss Kita erwartet eher steigende Zahlen. Es sei nun davon auszugehen, dass jeder, der sich auf der Liste wiederfinde, seinen Anspruch geltend machen werde, sagte die Vorsitzende Corinna Balkow der Deutschen Presse-Agentur. "Die Begrenzung auf eine Liste der systemrelevanten Berufe war nicht unsere bevorzugte Option. Man hat Glück und steht auf der Liste oder eben nicht."

Viele Eltern hätten sich eine andere Lösung gewünscht, zum Beispiel einen Anspruch auf einen eingeschränkten Kita-Betrieb mit kleineren Gruppen für alle und die Möglichkeit, die Betreuungsstunden unter den Eltern aufzuteilen, erklärte Balkow - und auch der Paritätische Wohlfahrtsverband sprach sich für ein solches Wechselmodell aus. Ob dadurch allerdings eine Reduzierung der Kontakte erreicht würde, ist ebenso fraglich.

Die Elternvertreterin befürchtet negative Auswirkungen durch die Orientierung an bestimmten Berufen: Die Liste bedeute, dass ein Teil der Kinder ab Montag nicht mehr kommen dürfe. "Das schränkt die Bildungschancen von Kindern auf die Berufe ihrer Eltern ein", kritisierte Balkow.

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