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Selbsttests in Schulen - wie hier zu sehen in Sachsen-Anhalt – beginnen an diesem Montag auch in Berlin.
© Holger John/dpa-Zentralbild/dpa

Berliner Schüler müssen sich zweimal pro Woche testen: „Eine Schule ist kein Testzentrum“

Die Kritik an der neuen Testpflicht im Klassenzimmer, die seit Montag gilt, reißt nicht ab. Der Steglitzer Schulleiter Matthias Meyer erklärt die Vorbehalte.

Ab Montag sollen alle Schüler:innen zweimal pro Woche an den Schulen auf Corona getestet werden. Zunächst sollte das zu Hause stattfinden, dann entschied der Senat anders. Dahinter steckt die Sorge, dass zu Hause nicht konsequent getestet wird: Das legen Erfahrungen in anderen Ländern nahe.

Alle zwölf Bezirkselternausschüsse haben dennoch an die Bildungssenatorin appelliert, die Entscheidung über den Ort der Testung den jeweiligen Schulkonferenzen zu überlassen. Unterstützung bekamen sie am Sonntag vom Verband der Schulpsycholog:innen, der massiv vor den Folgen einer Testung unter den Augen der Mitschüler:innen warnte.

Auch etliche Kollegien haben in den vergangenen Tagen gegen die Tests an ihren Schulen protestiert, darunter die Grundschule am Stadtpark Steglitz. Schulleiter Matthias Meyer nennt die Gründe.

Herr Meyer, Sie möchten das Testen den Familien überlassen. Warum?
Es gibt mehrere Gründe. Der wichtigste ist, dass man die Situation vor allem aus Sicht der Kinder betrachten muss. Viele fühlen schlichtweg Unbehagen, sorgen sich, etwas falsch zu machen. Was macht es mit den Kindern, wenn sie in Gegenwart der anderen Kinder erfahren, dass sie gerade positiv getestet wurden? Die Angst davor, bloßgestellt zu werden, ist real. Ich finde das außerordentlich schwierig. Um es ganz klar auszusprechen: Die Begleitung und einfühlsame Unterstützung der Kinder beim Testen gehört in die Hände der Eltern und sollte darum vor Betreten der Schule erfolgen.

Und was sind die anderen Gründe?
Die Testung ist mit einem sehr großen organisatorischen Aufwand verbunden und wird mit allem Drum und Dran eine Unterrichtsstunde in Anspruch nehmen. Das gilt vor allem für unsere Grundschulkinder, denn es ist für sie – wir haben es mit Schüler:innen ab fünf Jahren zu tun – nicht einfach, mit den Bestandteilen des Tests sachgerecht zu hantieren. Dafür werden sie in vielen Fällen die Unterstützung eines Erwachsenen benötigen.

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Es ist abzusehen, dass die Kinder zweimal wöchentlich eine Unterrichtsstunde verlieren werden – und zwar ausgerechnet jetzt, da es bei reduzierter Unterrichtszeit so viel aufzuarbeiten gilt. Eine eventuell notwendige Wiederholung der Testung ist dabei noch nicht mitgerechnet. Zudem finde ich, dass das Testen und die damit verbundene Beaufsichtigungs- und Dokumentationspflicht mittels einer sogenannten „Befundmitteilung“ für die Pädagog:innen den üblichen Rahmen des Tätigkeits- und Verantwortungsbereiches unverhältnismäßig überschreitet.

Wie meinen Sie das?
Es gehört meines Erachtens nicht zur Aufgabe von Pädagog:innen. Wir haben andere wichtige Aufgaben als Teil des Hilfesystems in dieser Jahrhundertpandemie. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst und werden ihr seit über einem Jahr gerecht. Das wollen und müssen wir weiterhin. Tests, die Kinder selbstständig durchführen, müssen aktiv beaufsichtigt, einfühlsam körpernah begleitet und angeleitet werden – idealerweise von Eltern.

Und wenn ein Kind Hilfe benötigt, weil Testflüssigkeit verschüttet wurde, die Verpackung nicht allein geöffnet werden kann, keine Anzeige auf dem Teststreifen erscheint, dann kann Mama oder Papa am besten helfen. Ich bin ganz sicher, die meisten Eltern in unserem Umfeld können und wollen das. Allen anderen bieten wir selbstverständlich unsere Hilfe an. Die Welt ist schon so aus den Fugen geraten, ich möchte, dass die Institution Schule Schule bleiben darf – zuallererst ein pädagogischer Wohlfühlort für unsere Kinder, nicht ein kleines Testzentrum.

Matthias Meyer (48) ist Sonderpädagoge und leitet die Grundschule am Stadtpark Steglitz.
Matthias Meyer (48) ist Sonderpädagoge und leitet die Grundschule am Stadtpark Steglitz.
© privat

Wie sieht Ihr Kollegium das?
99 Prozent der Kolleg:innen haben durch Unterschrift ihren Protest erklärt, die Schulaufsicht ist darüber informiert. Die Bedenken und die Sorgen sind sehr groß. Aus meiner Sicht nachvollziehbar.

Was folgt daraus? Werden Sie nicht testen?
Doch, nichts darf auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Wir bereiten uns auf die Testung vor: Um noch offene Fragen zu klären, letzte Dinge zu organisieren und unsere Schüler:innen auf den Testablauf einstimmen zu können, starten wir am Dienstag. Aber wir wollen, dass die Schulaufsicht unsere Bedenken kennt und von dem Protest erfährt. Im besten Fall wird die Vorgabe erneut geprüft, das ist mit Blick auf unsere Grundschulkinder unser Wunsch.

Was hören Sie aus anderen Schulen? Wie denkt man dort über die Testung vor Ort?
Ich kenne viele Menschen, die in Berliner Schulen tätig sind, niemand von denen sagt: Gut, dass wir in der Schule testen müssen. Ich schließe allerdings nicht aus, dass in bestimmten Kiezen die Sorge vorherrscht, dass die Testvorgaben durch Eltern nicht zuverlässig erfüllt werden. Die Kolleg:innen dort betrachten die ab 19. April 2021 umzusetzende Verordnung naturgemäß mit anderen Augen.

Testen Sie in den Klassenzimmern oder können Sie auf andere, größere Räumlichkeiten ausweiten?
Wir haben weder eine Aula noch einen Mehrzweckraum, noch eine Sporthalle oder Mensa und der halbe Schulhof ist eine Baustelle. Daher bleiben nur die Klassenzimmer zum Testen.

Warum haben Sie keine großen Räume?
Die Aula ging im Krieg verloren, als das Dach abbrannte. Ich habe einen Dachausbau beantragt, aber die Umsetzung kann noch viele Jahre dauern – wenn sie überhaupt kommt. Eine Mensa gab es in unserem Altbau nie: Wir essen in zwei Klassenräumen, Ausbauflächen gibt es nicht. Unsere alte Turnhalle wurde abgerissen, weil sie marode war: Sie wird jetzt neu gebaut.

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