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Bärenmarke. Burkhard Kieker will „gemeinsam mit der Politik verhindern, dass Berlin zu einer Art Disneyland wird“.
© Maurizio Gambarini / dpa

„Visit Berlin“-Chef im Interview: „Eine Großstadt kann nicht unter sich bleiben“

Burkhard Kieker mahnt mehr Offenheit für Touristen an: „Manche Leute würden Berlin gerne einfrieren wie einen Fisch.“ Ein Interview.

Burkhard Kieker ist seit 2009 Geschäftsführer des Berlin Tourismus „Visit Berlin“. Er ist verantwortlich für das weltweite Marketing der deutschen Hauptstadt im Bereich Tourismus und Kongresse sowie die Pflege der Marke Berlin.

Herr Kieker, was macht Berlin weltweit so attraktiv?

Berlin ist eine Comeback-Story, eine Stadt, die sich nach schlimmster Disruption neu erfunden hat – deshalb liebt uns die Welt.

Aber muss alle Welt deshalb auch herkommen?

Berlin ist kein Kuhdorf mit Schlagbaum, sondern entwickelt sich zu einer Weltstadt, ob uns das nun passt oder nicht. Das ist unsere DNA als Hauptstadt, diese Rolle müssen wir annehmen. Ich empfinde die ganze Diskussion als erstaunlich provinziell. Und übrigens: Mit dem BER wird Berlin noch internationaler.

Dennoch sind viele Berlinerinnen und Berliner genervt vom Tourismus.

Zunächst: Die Zahlen zeigen das Gegenteil, nämlich eine große Akzeptanz für unsere Gäste bei den Berlinern. Es ist eine kleine, aber artikulierte Minderheit, die gerne unter sich bleiben möchte. Trotzdem: Berlin gehört zuerst den Locals. Aber wir sollten nicht so wahnsinnig sein zu meinen, alles, was hier zu sehen und zu erleben ist, sei nur für uns Berliner entstanden. Eine Großstadt kann nicht unter sich bleiben, eine Großstadt muss teilen – mit Deutschland und der Welt.

Wer ist eigentlich ein „Local“?

54 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, die heute hier gemeldet sind, waren beim Mauerfall vor 30 Jahren noch nicht in der Stadt oder noch nicht auf der Welt. Ich beobachte, dass besonders die Zugezogenen darauf pochen, dass alles so bleibt, wie es ist.

Es gibt Veränderungen, die zu Verdrängung führen.

Ja, da muss man gegenhalten, und das wird ja auch getan. Aber der Tourismus ist nicht für steigende Mieten verantwortlich, sondern zunächst mal für rund 250.000 Jobs von Menschen, die damit ihr Geld verdienen und Miete zahlen können. Manche Leute würden Berlin gerne einfrieren wie einen Fisch auf dem Buffet, aber das funktioniert in einer so dynamischen Stadt einfach nicht.

Auch in der Politik gibt es Tourismus-kritische Stimmen.

Die rasante Entwicklung Berlins beunruhigt manche Leute auch verständlicherweise, und das wird im Moment gerne der Einfachheit halber beim Tourismus abgeladen – auch, weil Touristen keine Wähler sind.

„Visit Berlin“-Chef Burkard Kieker.
„Visit Berlin“-Chef Burkard Kieker.
©  T. Kierok/promo

In Amsterdam und Barcelona versuchen die Stadtverwaltungen, den Tourismus einzudämmen.

Dort wurden massive Fehler gemacht, die wollen wir hier eben nicht wiederholen. Das Grachtenviertel in Amsterdam ist nur dreimal so groß wie unsere Museumsinsel. Klar, dass die massiv überrannt werden. So etwas wollen wir mit unserem Tourismuskonzept gerade verhindern. Wir sind größer und vergleichen uns als multizentrische Stadt eher mit New York.

Die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg möchte die Berlinwerbung am liebsten beenden.

Bei der Dame geht’s, glaube ich, erst mal um Eigenwerbung. Aber dennoch: Der Tourismus lässt sich nicht abschaffen. Seit Amsterdam das Stadtmarketing eingestellt hat, ist die Zahl der Touristen dort um 15 Prozent gestiegen, und es kommen ungebremst Junggesellenabschiede.

Das heißt, eine Stadt ist dem Tourismus ausgeliefert?

Nein, das heißt, dass der Tourismus gesteuert werden muss. Wenn wir das nicht organisieren, dann kommen eben die Falschen. Wir sehen uns als Manager, die dafür arbeiten, die richtigen Leute zu inspirieren.

Was sind denn die Richtigen?

Qualitätstouristen, die sich für die Kultur und die Lebensart interessieren, im Gegensatz zu den Fast-food-Besuchern, die einmal schnell durchtoben.

Letztere sind allerdings recht auffällig in der Stadt.

Wir werden gemeinsam mit der Politik verhindern, dass Berlin zu einer Art Disney-Land wird. Es ist doch zum Verzweifeln, dass Mitte es nicht schafft, die Bierbikes zu verbannen. Auch der Zustand am Checkpoint Charlie ist uns ein Dorn im Auge. Und bei der Genehmigung neuer Kneipen sollte man vorsichtig sein.

Also ist der Tourismus offenbar doch nicht so gut steuerbar.

Berlin nimmt seit 30 Jahren gerne Geld aus dem Tourismus ein, steckte aber lange fast nichts in die Infrastruktur. Es gibt zum Beispiel noch immer kein Reisebuskonzept. Auch das Leitsystem kommt nur mit gähnender Langsamkeit voran, dabei könnten wir damit schon viel erreichen.

Was ist Ihre Strategie für mehr Qualitätstourismus?

Der größte Hebel für Qualitätstourismus sind Kongressgäste. Die lassen doppelt so viel Geld hier wie andere Besucher und verhalten sich meistens ok. Da ist noch viel Potenzial zu heben, wir können bisher nur ein Drittel der Flächen anbieten, über die London, Paris oder Wien verfügen.

Geht mit der Flugscham der Tourismus nicht ohnehin zurück?

Tourismus ist die größte Form von Kulturaustausch. Das ist keine Modeerscheinung, sondern ein Grundbedürfnis der Menschen. Ich erwarte vor allem, dass aus Asien noch mehr Besucher zu uns kommen. Unsere Aufgabe ist es, das zivilisiert zu organisieren.

Was hat Berlin eigentlich vom Tourismus?

Wir sind der größte Wirtschaftsfaktor, das wird gerne vergessen. Und ich nenne Ihnen zwei weitere Beispiele. Auf Landesebene: Berlin dreht kulturell hochtourig wie kaum eine andere Stadt der Welt. Aber ohne Besucher von außerhalb würde das nicht funktionieren, die besetzen bis zu 60 Prozent der Plätze. Und auf Bundesebene: Berlin ist der beste Knacker für Stereotype über die Deutschen. Es geht hier entspannter, toleranter und vor allem unernster zu, als die meisten erwarten.

Was würden Sie persönlich Ihrem Berlin-Besuch empfehlen?

Neben der Besichtigung unserer Geschichte würde ich sagen: In den Kurfürstendamm-Seitenstraßen ins Café setzen, auf der Friedrichsbrücke die Menschen an sich vorüberziehen lassen, und abends in den „Zig Zag Jazz Club“ oder ins „Orania“.

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