Die Woche nach dem Streik: Ein Zeichen gegen Schiedsrichter-Gewalt
Vor einer Woche streikten Berliner Fußball-Schiedsrichter wegen der Gewalt gegen Unparteiische. Wie wirkt sich das auf die Stimmung bei Amateurspielen aus? Ein Ortstermin in Kreuzberg.
In der 17. Minute erhält Ibrahim Abo El Oulla lautstark Flankenschutz, aus 40 Metern Entfernung. Ein Mann mit schwarzem Bart, mächtigen Oberschenkeln und funkelndem Blick steht vor El Oulla, Körper angespannt, Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, die Arme ausgebreitet, er brüllt El Oulla an. Er war gerade durchgebrochen, er hatte den Ball, er hätte jetzt gleich ins Tor schießen können, aber ein Pfiff hatte ihn jäh gestoppt. Ein Pfiff von El Oulla, dem Schiedsrichter. Abseits.
Eine ausgezeichnete Torchance für Eintracht Südring, zwangsweise abgehakt. Ins Gebrüll des Eintracht-Feldspieler dröhnt ein Ruf des Eintracht-Torhüters. „Ruhe“, schreit er über den Platz, nochmal Mal „Ruhe“. Dann herrscht wirklich Ruhe, Freistoß für Blau-Weiß Mahlsdorf/Waldesruhe, das Spiel geht weiter. Der Schiedsrichter kann weitermachen, die Aggression wurde früh gestoppt.
Willi-Boos-Sportanlage, Kreuzberg, Sonntag, früher Nachmittag, auf dem Kunstrasen, der von hohen Zäunen umgeben ist, steigt das Kreisliga-A-Fußballspiel Eintracht Südring II gegen Mahlsdorf/Waldesruhe. Hunderte Fußballspiele finden an diesem Wochenende statt, Südring gegen Mahlsdorf ist nur eines davon, aber etwas ist jetzt anders, gefühlt jedenfalls. Nicht bloß hier an der Gneisenaustraße. Auf allen Plätzen.
Es ist die Woche nach dem Schiedsrichterstreik. 1600 Unparteiische des Berliner Fußballverbands haben vergangene Woche gestreikt, ihr Protest gegen die teilweise brutale Gewalt auf den Plätzen gegen Schiedsrichter. Sie haben ein Zeichen gesetzt. Es war dringend nötig, sogar die Bundesliga bietet abschreckende Beispiele. Beim Derby Union gegen Hertha flogen Leuchtraketen auf den Platz, vermummte Union-Fans wollten den Platz stürmen.
Die Frage ist nur: Kommt es auch an, dieses Zeichen? Bei Fans, bei Spielern? Auf der Willi-Boos-Anlage schon. Am Spielfeldrand lehnt Deeptha Pereira gegen die Metallstange der Zuschauerabsperrung. Eine schwarze Mütze klebt an seinem Kopf, der Vollbart ist schon mit weißen Haaren durchzogen, Pereira ist 47, er hat gerade mit der Ü 40 von Eintracht gespielt, jetzt sagt er: „Ich kann den Streik nachvollziehen, wenn die Schiedsrichter sogar Morddrohungen erhalten, hört’s wirklich auf.“
Kurzzeitige Sperren für Gewaltausbrüche zu gering
Die Sperren für Gewaltausbrüche sind zu gering, sagt er. „Drei, vier Spiele Sperre, das ist einfach zu wenig.“ Neben ihm steht Heiko Zemmrich, ebenfalls Teil der Ü 40 von Eintracht Südring. „Der Spieler in Nordrhein-Westfalen, der einen Schiedsrichter niedergeschlagen hat, der gehört lebenslang gesperrt“, sagt der 48-Jährige.
Im Verein haben sie freilich nicht groß über den Streik diskutiert. Hilft er? „Tja“, sagt Zemmrich, „man kann ja nur hoffen.“ Pereira ist etwas optimistischer: „Auf lange Sicht hilft er. Die Meldung vom Streik lief ja bundesweit, in allen möglichen Medien. Der kam direkt neben dem Brexit.“
Hat der Streik etwas verändert?
Bringt er was, der Streik? Das ist eine Woche nach dem Statement natürlich schwer zu sagen. Aber vielleicht wirkt er zumindest unterschwellig. Denn bis zum späten Sonntagnachmittag ist in Berlin noch nichts von Spielabbrüchen oder brutalen Attacken bekannt geworden.
In der Schiedsrichterkabine von Eintracht ist Platz für einen schmalen Holztisch und einen Stuhl, viel mehr passt nicht rein. Noch 30 Minuten bis zum Anpfiff, der 23-Jährige El Oulla, Mitglied von BFC Preußen, sagt: „Es ist noch zu früh, um zu beurteilen, ob der Streik etwas bringt, er ist ja erst eine Woche her.“
El Oulla ist eines der Opfer, wegen denen dieser Streik überhaupt stattgefunden hat. Im vergangenen Jahr schlug ihm ein Spieler von Germania die Faust an den Kopf. El Oulla hatte ihm wegen Schiedsrichterbeleidigung in der 92. Minute die Rote Karte gezeigt.
Der Spieler wurde für ein Jahr gesperrt. Angemessen? „Tja“, sagt El Oulla, „manche haben es auch nach einem Jahr nicht kapiert.“ Zwei Drittel der Kollegen, mit denen er gesprochen hat, wollen aufhören. zu groß der Frust. Er macht weiter, er hat zu viel Spaß am Pfeifen.
Jeden Pfiff erklären
Auf dem Platz, beim Spiel von Eintracht, hat er eine leichte Aufgabe. Es gibt kaum strittige Entscheidungen, der 23-Jährige leitet souverän und ohne Theatralik, und dass ihn mal der Eintracht-Trainer brüllend auffordert, öfter Foul zu pfeifen, gehört zum Tagesgeschäft.
Wenn Spieler, Trainer oder Zuschauer durchdrehen, ist es zu spät, dann sind Fakten geschaffen. Aber es gibt weiche Faktoren, die viel im Vorfeld abschwächen können. Pereira und Zemmrich hatten bei einem Spiel in Rudow einen Schiedsrichter, der in den zehn Minuten vier Gelbe Karten verteilte. „Nie wegen Fouls“, sagt Zemmrich. „Er hat jedes Mal erklärt, weshalb er Gelb gezeigt hat.“ Damit erhielt er mächtig Respekt von den Spielern. „Der hatte klare Grenzen aufgezeigt. Auf dem Feld war er ein kleiner Gott.“
Es nieselt, unter einem Vordach sitzen Monika und Bernd Graffunde. Ehepaar, beide Betreuer bei Mahlsdorf, seit Jahren im Verein. „Unsere Spieler finden den Streik gut“, sagt Bernd Graffunde. „Wir haben keine negative Äußerung gehört.“ Mahlsdorf, so klingt es jedenfalls bei Bernd Graffunde, ist für Schiedsrichter eine Oase. „Bei uns wurde noch nie ein Schiedsrichter angegangen“, sagt er. Das muss man mal so stehen lassen.
Viel Aggressivität
Aber natürlich bekommen sie genug von den Aggressionen auf den Plätzen mit, sie müssen im Zweifelsfall ja bloß ihren Nachbarn fragen. In ihrem Haus wohnt ein Schiedsrichter, der erzählt von sehr vielen Aggressionen. Und auf dem Platz, sagt Monika Graffunde, „sind es oft Ausländer, die sehr aggressiv auftreten.“
Aber auf der Willi-Boos-Anlage, beim Spiel von Eintracht, ist von Aggressionen nichts zu spüren. Dafür ist die Partie wohl auch nicht umkämpft genug. Eintracht gewinnt 6:0.