Integration im Klassenzimmer: Warum wir Ausländer-Quoten an unseren Schulen brauchen
Parallelgesellschaften? Nein danke! Schulen in einer Demokratie müssen die Mischung der Gesellschaft spiegeln – das geht nur mit Quoten. Ein Kommentar.
An den Tag werden sie noch lange denken – und ihre Lehrer auch. An einem Gymnasium in Berlin haben sie ein klassisches Theaterstück inszeniert, ein Dutzend Schülerinnen und Schüler. Sie haben lange geprobt, nachgedacht, viel gelacht, sich manchmal gezankt, eine Menge Text gelernt – und schließlich das Stück klar, klug und spielfreudig auf die karge Bühne ihrer kahlen Aula gestemmt. Grandios! Dann das Wunder: Als alles vorüber war, wollten sie gar nicht mehr weg. Am liebsten wären die jungen Schauspieler über die Osterferien in der Schule geblieben, staunt strahlend einer der Lehrer. So etwas passiert selten, schon gar nicht hier. Und hier auch nur, weil sich Pädagogen, oft in ihrer freien Zeit, enorm engagieren für Kinder und Jugendliche, die Mustafa oder Fatima heißen.
Es ist nämlich eine der Schulen im Land, wie es sie gar nicht geben dürfte. Kaum drei Prozent der Schüler sprechen in ihren Familien die Landessprache. Die übrigen 97 Prozent sind „nicht deutscher Herkunft“, was Ämter gern mit „ndh“ abkürzen. Längst hätte eine Quotenregelung für „ndh-Kinder“ solchen Missständen vorbeugen müssen: maximal 50 Prozent, minimal 10 Prozent Kinder, die nicht Muttersprachler sind, das wäre ein Anfang, das groteske Ungleichgewicht zu verändern.
Doch mehr und mehr dieser Orte entstehen im Bildungssystem, nun auch durch die minderjährigen Flüchtlinge. Schulen als Mikroghettos, meist mitten in den Maxighettos, die ihre Stadtteile ohnehin darstellen. Parallelgesellschaft pur, sozialpolitisch absurd, bildungspolitisch ein Irrsinn. Wie passiert das? Na ja, heißt es bei den Verantwortlichen, das kam einfach so, mit der Zeit. Wie sollen wir das ändern, wissen Sie, die Eltern, der Stadtteil, der Zuzug, der Wegzug, die Verhältnisse … na ja.
Anders verlief die Biografie von Belabbes Benkredda
Naja ist nicht genug. Naja ist ein Armutszeugnis. Nicht für die Armen, deren Kinder solche Schulen besuchen, sondern für die fatale Denkarmut der Funktionseliten, die nicht verstehen wollen, was Teilhabe an einer aufgeklärten, dialogfähigen Öffentlichkeit bedeutet – und dass sie durch Schulen zur Welt kommen muss. Wo Lehrende die einzigen Muttersprachler sind, wie sollen da Schüler ohne enorme, zusätzliche Kraftanstrengung in der Landessprache heimisch werden? Wie soll das gehen? Höchstens in Glücks- und Einzelfällen, wenn so ein seltener Funke überspringt von der Probebühne ins Leben.
Wenn die Schulen mit ausreichend Personal ausgestattet wären und es vor allem angemessene individuelle Förderung für die unterschiedlich leistungsstarken Schüler gäbe, dann dürfte sich die Herkunft eigentlich kaum noch auswirken.
schreibt NutzerIn Sokratis
Anders verlief die Biografie von Belabbes Benkredda. Radikal anders. Aufgewachsen als Sohn algerischer Eltern in Frankfurt am Main, Abitur 1999, hat er an der Goethe-Universität und in England Rechtsphilosophie und Internationale Beziehungen studiert und ist heute ein international aktiver Aktivist für den Dialog. Sieben Sprachen spricht er und bewegt sich zwischen drei Kontinenten. Nach dem Arabischen Frühling gründete Benkredda die Demokratie-Initiative Munathara, eine atemberaubend freie Plattform für Debatten auf arabischen und türkischen Fernsehkanälen, die er am Wochenende auf dem Sender „Phoenix“ vorstellte. Unterstützt wird Munathara unter anderem vom Auswärtigen Amt.
Maximal 50 Prozent, minimal 10 Prozent Kinder, die nicht Muttersprachler sind
In seiner Schulklasse am Gymnasium im Frankfurter Nordend war Belabbes Benkredda, wie er sagt, „das einzige Kind aus Nordafrika“. So, erklärt er, werden Parallelgesellschaften verhindert, und sagt deshalb über die Flüchtlinge in Deutschland dezidiert: „Es geht darum, wo die Leute wohnen werden.“ Damit geht es auch darum, was ihre Kinder mit wem in welchen Gruppen lernen, wie sie vorbereitet werden auf die exponentiell wachsende Zahl der Optionen, ihre Zukunft zu gestalten, wie sie üben, Sinn von Unsinn, etwa im Internet, zu unterscheiden. Maximal 50 Prozent, minimal 10 Prozent Kinder, die nicht Muttersprachler sind: So müssen Schulen dafür aussehen.
Im Zeitalter der Digitalisierung und Medialisierung multiplizieren sich die Teilöffentlichkeiten mit ihren je konkurrierenden Partikularinteressen. Satellitenschüsseln in den Städten liefern dafür ein Symbolbild; ganze Haushalte können sich virtuell fast ununterbrochen in einer anderen Sprache aufhalten. Leute wie Banker oder Sportler können pausenlos nur Kurse oder Tabellen verfolgen. Parallelgesellschaften, wo man hinblickt.
Umso mehr avancieren Schulen zum elementar wichtigsten Ort, um in der aufnahmefähigsten Phase der Entwicklung Gemeinsamkeit zu erfahren. In der Schule als Mikrokosmos der Gesellschaft wird deren demokratisches Fundament kontinuierlich erneuert. Dabei entsteht die Öffentlichkeit von morgen. Vor allem darum darf kein einziger solcher Mikrokosmos ein Mikroghetto sein.
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