Eintracht statt Zwietracht: Ein Jahr Kenia in Brandenburg – eine Bilanz
Als das Kenia-Bündnis in Brandenburg 2019 antrat, war die Welt noch eine andere. Wie schlägt sich die Regierung aus SPD, CDU und Grünen im Ausnahmezustand?
Ein Fünftel des Weges ist zurückgelegt: Seit einem Jahr arbeitet in Brandenburg die Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen unter Führung von Ministerpräsident Dietmar Woidke, der nach einer Covid-19-Erkrankung am Mittwoch wieder seinen Dienst antritt.
Das auch im bundesweiten Vergleich immer noch seltene Bündnis regiert – seit Monaten zudem im Corona-Krisenmodus – ohne große Pannen, Erschütterungen oder gar Dauerkrach wie zuletzt im rot-rot-grün regierten Berlin. Im Potsdamer Kabinett herrscht große Eintracht. Wie schlägt sich diese Regierung, in der Frauen die Mehrheit stellen? Ein Überblick.
Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident
Er ist derzeit so anerkannt wie nie zuvor. Dietmar Woidke regiert Brandenburg seit 2013. Aber er hat nicht vergessen, wie knapp alles vor der Landtagswahl 2019 war, wie er einst die Kreisreform vergeigte: Woidke führt unaufgeregt, verbindlich, mit langen Linien, ohne hektische Ausschläge, was gerade in der allgemeinen Verunsicherung Verlässlichkeit ausstrahlen soll.
Der 59-jährige hat einen Lauf, konnte Ansiedlungserfolge verbuchen, Tesla, BASF, das Bahnwerk in Cottbus, was er persönlich mit Bahn-Vorstand Ronald Pofalla und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) einfädelte.
Fast schon vergessen ist sein früheres Image als Braunkohle-Dinosaurier. Über seine heutigen Plädoyers, Brandenburg zum Klimaschutz-Industrie-Vorreiter in Deutschland zu machen, staunen manchmal selbst die Grünen.
Was auffällt: Er lässt seinen, wie er es mal nannte, „Co-Ministerpräsidenten“ Ursula Nonnemacher (Grüne) und Michael Stübgen (CDU) erstaunliche Freiräume. Die zaghaft aufkommende Nachfolgedebatte in der SPD hat Woidke erst einmal mit einer Ankündigung erstickt: Er will 2024 erneut als Spitzenkandidat antreten.
Ursula Nonnemacher (Grüne), Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz
Sie ist derzeit Brandenburgs wichtigste Krisenmanagerin: Ursula Nonnemacher. Es wurde schon gescherzt, dass die frühere Grünen-Landtagsfraktionschefin ihr Ressort, das MSGIV, umbenennen könnte in Ministerium für Seuchen, Grippen, Infektionen und Viren. Schweinepest, Vogelgrippe und vor allem Corona: Die 63 Jahre alte Medizinerin aus Falkensee – als Klinikärztin mit Notfalleinsätzen vertraut– zeigt Nervenstärke.
Ihre Erfahrung als Ärztin kommt ihr beim Management der Corona-Krise zugute. Sie tariert – für Grüne ein Spagat – das Maß zwischen Gesundheitsschutz und Beschränkung von Freiheitsrechten gut aus, verkauft ihre Politik überzeugend und ist lernbereit, revidiert ihre Meinung, sobald neue wissenschaftliche Erkenntnisse sie überzeugen, etwa bei der Maskenpflicht, die sie anfangs skeptisch sah.
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Kritik gab es aber von Landwirten und der Opposition am Umgang mit der Schweinepest. Zu wenig strukturiert sei das Vorgehen. Just am Dienstag allerdings bestätigten Experten des EU-Veterinärnotfallteams das Vorgehen Brandenburgs.
Michael Stübgen (CDU), Minister für Inneres und Kommunales
Er ist der Mann für markige Zitate im Kabinett. „In der Brandenburger AfD ist der Flügel längst der ganze Vogel“, sagte Innenminister Stübgen im Juni als der märkische AfD-Verband vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wurde. Der 61 Jahre alte frühere Bundestagsabgeordnete und Pfarrer aus der Lausitz, der nach dem Rücktritt des gescheiterten Woidke-Herausforderers Ingo Senftleben, auch CDU-Landesvorsitzender wurde, hat sich dem Kampf gegen Extremismus, vor allem von Rechts, verschrieben, der in Brandenburg neue Höchstzahlen erreicht hat.
Auch beim Corona-Management spielt er eine wichtige Rolle: Mitarbeiter seines Ministeriums sitzen im Krisenstab. Ein weniger glückliches Händchen bewies er beim Personal. Nach juristischen Querelen um die Besetzung des Polizei-Abteilungsleiterpostens hat sein Staatssekretär, der frühere Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt, nach nicht einmal einem Jahr schon wieder das Weite gesucht.
Kathrin Schneider (SPD), Staatskanzlei
Die Regierungszentrale galt wegen mehrfacher Wechsel als Baustelle: Dass Woidke die frühere Infrastrukturministerin Kathrin Schneider an dieses Schaltstelle der Macht setzte, hatte viele überrascht. Die 58-Jährige lenkt effizient und geräuschlos, was sich im Corona-Management auszählt. Abstimmungspannen dringen fast nie nach außen.
Sie gilt als pragmatische Problemlöserin, legt Wert auf Einbindung der Grünen und der CDU. Die für Kenia typischen Dreier-Auftritte von Woidke, Nonnemacher und Stübgen gehen auch auf Schneider zurück. Unter Matthias Platzeck und Manfred Stolpe wären die so nicht möglich gewesen.
Guido Beermann (CDU), Minister für Infrastruktur und Landesplanung
Ihn zog es nach Brandenburg, ehe sein damaliger Chef Andreas Scheuer noch mehr in die Schusslinie geriet. Der frühere Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Guido Beermann führt in Brandenburg ein komplexes Gestaltungsressort – mit vielen kleinen und großen Baustellen. Schnelle Erfolge sind hier schwierig zu holen.
Beermann gilt als solider Fachminister, der sich -– zum Leidwesen mancher Parteifreunde – nicht in den Vordergrund drängelt, ja vorsichtig agiert. Vollmundige Ankündigungen, überzogene Eigen-PR, widersprechen eher seinem Naturell.
In seiner Ein-Jahres-Bilanz muss einiges erwähnt werden: Erste Schritte gegen das Pendlerchaos, S-Bahn-Vertrag mit Berlin geklärt, bald erster Spatenstich für die Heidekrautbahn. Die Novelle der Bauordnung, um Bauen im Lande einfacher zu machen, etwa mehr Holzhäuser errichten zu können, wird bald im Landtag beschlossen. Im Hintergrund mischt Beermann bei der Entwicklung des Tesla-Umfelds mit.
Axel Vogel (Grüne), Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz
Axel Vogel macht vor, wie beides gehen kann: Regierungshandwerk und Profilierung als erster Agrar- und Umweltminister mit Grünen-Parteibuch: So sind anfängliche Skeptiker ruhiger geworden. Konflikte brechen bisweilen trotzdem auf, so stiegen jüngst der Landesbauernverband und andere Verbände aus dem Runden Tisch zum Umgang mit dem Wölfen aus.
Vogel setzt Akzente, bereitet den „Klimaschutzplan“ und ein Gesetz gegen Spekulationen mit Äckern vor. Politisch spricht er Klartext, wenn er bei seinem Polenbesuch vor einem Oderausbau oder ein Umdenken mit der knapperen Ressource Wasser im Land anmahnt.
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Vogel untersteht das Landesumweltamt, das für das brisante Tesla-Genehmigungsverfahren zuständig ist: Die Mega-Anhörung ging ordentlich über die Bühne. Er vermeidet jedwede politische Einflussnahme auf das Verfahren.
Katrin Lange (SPD), Ministerin für Finanzen und Europa
Diese Frau wird unterschätzt, in Brandenburg aber immer einflussreicher: Katrin Lange, Woidkes engste Vertraute, lenkt das Finanzministerium. Auffällig ist, wie rasch die 48-Jährige nun auf Pump finanzierte Milliarden-Rettungsschirme gegen die Corona-Krise auflegt, obwohl diese die Haushalte an die Grenze bringen.
Dass es nicht noch mehr Kredite sind, hat mit dem Veto der resoluten Prignitzerin im Hintergrund zu tun. Sie weiß: Wer jetzt den Rotstift auspackt, verschlimmert die Lage und kann selbst nur verlieren: „Wo soll man denn jetzt sparen? Etwa bei der Justiz, der Polizei, den Lehrern oder bei Investitionen?“ Lange ist auch Vize-Parteichefin der SPD und gilt als mögliche Nachfolgerin Woidkes.
Jörg Steinbach (SPD), Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie
Typen wie dieser Seiteneinsteiger sind in der Politik selten geworden: Jörg Steinbach, Brandenburgs „Mister Tesla“, macht seinen Job ziemlich gut – egal, ob er mit Elon Musk beim Döner Probleme um die Gigafactory klärt, mit Managern über Ansiedlungen verhandelt oder sich für Belegschaften vom Aus bedrohter Unternehmen kümmert.
Er pflegt bei Auftritten oder in Ausschüssen eine unkonventionelle Ansprache, was ihn bisweilen einholen kann. Aus einem politischen Fehler hat Steinbach gelernt: Er hatte den Soloselbstständigen Landeshilfen versprochen, konnte es aber nicht einlösen, weil ihn die Regierung hängen ließ. Seitdem bemüht er sich, keine voreiligen Versprechungen mehr zu machen.
Britta Ernst (SPD), Ministerin für Bildung, Jugend und Sport
Es ist eine der schwierigsten Aufgaben auch in Brandenburg: Sie ist für die Schulen und Kitas zuständig – schon vor Corona war das keine einfache Aufgabe. Britta Ernst ist seit gut drei Jahren Bildungsministerin in Brandenburg.
Ernst hat sich ihre nordisch-zurückhaltende Art bewahrt (ähnlich wie ihr Ehemann, der bekanntlich auch in der Politik tätig ist): Mit Ruhe, ohne Aktionismus oder Ideologie versucht die 59-Jährige auch die Corona-Krise zu managen, die ihren Bereich besonders trifft – und für den es egal ob von Eltern, Verbänden, Lehrern unterschiedlichste Vorstellungen gibt.
Ihre Prämisse: Schulen so lange wie möglich offenhalten. Kritiker meinen das liege wohl auch daran, dass bei der Digitalisierung an Brandenburgs Schulen in der Vergangenheit zu wenig passiert sei – etwa was die Fortbildungen der – oft älteren – Lehrer angehe.
Manja Schüle (SPD), Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur
Die mit 44 Jahren jüngste im Kabinett steht für einen modernen, nahbaren Politikstil. Immer präsent, ob vor Ort im Land oder in sozialen Medien, holt sie das Ressort, das zuvor kaum im Fokus stand, selbstbewusst in die Öffentlichkeit.
Die aus Frankfurt (Oder) stammende Schüle, die bei der Bundestagswahl 2017 in Potsdam das einzige Direktmandat für die SPD im Osten holte, mache „als Ministerin richtig was los“, wie es eine Parteikollegin formulierte.
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Neben dem Aufbau einer Universitätsmedizin in der Lausitz ist sie derzeit vor allem damit befasst, Kunst und Kultur durch die Corona-Krise zu bringen. Manche halten die Höhe der monetären Unterstützung für Künstler zu gering. Aber dass sie nicht voll Energie für ihr Ressort kämpfen würde, kann ihr niemand vorwerfen.
Susanne Hoffmann (CDU), Justizministerin
Der große Auftritt vor Kameras ist ihre Sache nicht. Was daran liegen mag, dass Susanne Hoffmann keine Berufspolitikerin ist, sondern eine erfahrene Juristin, zuletzt Generalstaatsanwältin des Landes.
Der Abbau der Altverfahren und die Digitalisierung der Justiz seien die Projekte, die sie für sich zur Chefsache gemacht habe „und an denen ich am Ende den Erfolg meiner Amtszeit messen lassen will“, sagte die 60-Jährige.
Beides geht sie trotz Corona an. Stellen bei der Justiz wurden aufgestockt und: Seit sie das Ressort führt, scheint die Justiz weiblicher zu werden. Zwei Landgericht werden inzwischen von Frauen geleitet, erstmals hat auch eine Staatsanwaltschaft im Land eine Frau an der Spitze. Noch ein Novum, sogar bundesweit: Die CDU-Politikerin hat eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft Umweltkriminalität eingerichtet.