Nach Mobbing, Drill und Body Shaming: Ein Ingenieur leitet vorerst Berlins Staatliche Ballettschule
Ein Skandal um Kindeswohlgefährdung hat die Künstler erschüttert. Nun wird ein Berufsschullehrer aus der Pension geholt, um das Führungsvakuum zu überbrücken.
Der pensionierte Leiter der Reinickendorfer Georg-Schlesinger-Berufsschule, Dietrich Kruse, übernimmt die Leitung der Staatlichen Ballettschule Berlin und Schule für Artistik. Dies erfuhr der Tagesspiegel am Donnerstagabend. Am selben Abend wurde er den Schulgremien vorgestellt.
Kruse, 64, studierter Maschinenbauingenieur, hatte vor seiner Pensionierung in der Schulaufsicht und Schulinspektion gewirkt und war Mentor für neue Schulleiter. Wie berichtet, hatte der bisherige Schulleiter Ralf Stabel zuerst seine Freistellung und dann seine Kündigung bekommen. Der Fall liegt beim Arbeitsgericht.
Kruse werde „zunächst für ein Jahr Schulleiter bleiben“, bestätigte ein Sprecher auf Anfrage. Stabels Stelle ist neu ausgeschrieben.
„Die Ballettschule und Schule für Artistik hat zuletzt schwierige Zeiten durchgemacht. Mir ist nun an einer systematischen Schulentwicklung gelegen“, sagte Kruse. Die Schule habe "großes Potenzial" und brauche jetzt "neue Impulse". Das Kollegium müsse zu einem neuen Miteinander finden.
Die kommissarische Leiterin verlässt die Schule
Nach der Freistellung des bisherigen Schulleiters waren als „Schulleiter vor Ort“ die Berufsschulleiter Volker Dahms und Jürgen Dietrich eingesetzt. Die kommissarische Leitung lag zuletzt bei der bisherigen Stellvertreterin, die schon lange an der Schule gearbeitet hat und die Schule dem Vernehmen nach verlassen wird.
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Bei seiner neuen Tätigkeit werde sich Dietrich Kruse "selbstverständlich auch auf den Zwischenbericht der Expertenkommission beziehen", hieß es. Adressiert an das Kollegium sagte Kruse, er werde diese Aufgabe "gerne übernehmen und zwar mit der nötigen Demut, dem Respekt vor Ihren bisherigen Leistungen aber auch mit sehr viel Optimismus und Zuversicht, die derzeitige Situation zu überwinden, um diese Schule zu dem Ansehen zu verhelfen, die sie verdient“.
Mitarbeiter sprachen von einer "Kultur der Angst"
Wie mehrfach berichtet, hatten Schüler und Schülervertreter über Mobbing, überzogenen Drill und "Body Shaming" an ihrer Schule geklagt. Rund 60 Mitarbeiter diagnostizierten im November 2019 in einem "Antrag auf Gewährleistung der Fürsorgepflicht" eine "Kultur der Angst".
Dokumente in chronologischer Reihenfolge
- Den "Antrag auf Gewährleistung der Fürsorgepflicht" von 2019 kann man HIER als PDF-Datei herunterladen. Aus Gründen des Datenschutzes wurden die 63 Unterschriften entfernt.
- Den Zwischenbericht der Expertenkommission vom April 2020 kann man HIER als PDF-Datei herunterladen.
- Die Petition der Initiative "Save the Dance" vom Mai 2020 kann man HIER als PDF-Datei herunterladen.
Der erwähnte Bericht der Expertenkommission und eine eigens von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eingesetzte Clearingstelle bestätigten nach Dutzenden Gesprächen, dass es an der Schule Kindeswohlgefährdung gebe.
Stabel hatte nach seiner Freistellung im Februar geäußert, diese sei nicht wegen Verletzung von Dienstpflichten oder anderer von ihnen zu vertretenden Gründen erfolgt: „Es kursieren Verleumdungen, Falschbehauptungen und Anschuldigungen in der Öffentlichkeit, für die kein einziger Beleg beigebracht wurde.“ Die Forderung nach seiner Wiedereinsetzung findet sich in einer Petition, die Ende Mai an das Abgeordnetenhaus geschickt worden war.