Geheimes FU-Gutachten zur Promotion: Giffey täuschte an 27 Stellen - durfte aber Titel behalten
Das bislang geheime Gutachten zur Plagiatsprüfung von Franziska Giffeys Promotion zeigt: Die Prüfer fanden eindeutige Plagiate an 27 Stellen. Der Asta fordert neues Verfahren.
Das Prüfungsgremium der Freien Universität fand in der Doktorarbeit von Franziska Giffey 27 Textstellen, an denen die Ministerin ohne Quellenangabe fremde Autoren übernahm – beließ es aber im vergangenen Jahr dennoch bei einer Rüge und verzichtete auf den Entzug des Doktortitels.
Das geht aus dem bislang geheimen Schlussbericht des Gremiums hervor, den der Asta der FU am Montag veröffentlicht hat. Die Studierendenvertretung hat den Bericht von der FU auf Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten und machte den Vorgang samt Prüfungsbericht auch auf der Seite „Frag den Staat“ öffentlich.
An fünf Stellen fanden die Gutachter demnach ein „klassisches Plagiat“. Darunter verstehen sie Stellen, bei denen ganze Sätze oder noch größere Textpassagen wörtlich aus einer nicht genannten Quelle übernommen wurden.
"Objektive Täuschung" an 27 Textstellen
An 22 weiteren Stellen wurden deutliche Textübernahmen oder Paraphrasen ohne einschlägige Quellenangabe ausgemacht. Sprich: Hier übernahm Franziska Giffey Textteile zwar nicht wortwörtlich, aber sinngemäß aus anderen Texten, ohne das explizit kenntlich zu machen. „Im Gremium bestand Konsens darüber, dass diese 27 Textstellen den Tatbestand der 'objektiven Täuschung' erfüllen“, heißt es hierzu im Gutachten. Auch habe in dem Gremium „Konsens“ bestanden, „dass die in der Arbeit festgestellten Mängel auch einen systematischen Charakter haben“.
Verzicht auf den Entzug von Giffeys Titel
Die FU entschied über die Plagiatsvorwürfe im Oktober vergangenen Jahres, diese waren Anfang 2019 durch die Plattform „VroniPlag Wiki“ bekannt geworden. Laut „VroniPlag Wiki“ gab es 119 Stellen in Franziska Giffeys Doktorarbeit, die auf wissenschaftliches Fehlverhalten hinweisen – und das auf 76 von insgesamt 205 untersuchten Seiten. Das Prüfungsgremium guckte sich laut des Gutachtens auch die anderen Stellen an, kam aber hier zu keinem eindeutigen Schluss.
So hatte die FU in ihrem Urteil zwar „missbilligt“, dass Giffey in ihrer Dissertation die Standards wissenschaftlichen Arbeitens „nicht durchgängig beachtet hat“ – auf einen Entzug des Doktortitels aber verzichtet, weil der Kern der Arbeit und ihre wissenschaftliche Leistung von den Mängeln nicht infrage gestellt würden. Auch würden die beanstandeten Stellen insgesamt nicht „überhandnehmen“. Wie viele Plagiate das Prüfungsgremium überhaupt erkannte, ließ die FU damals offen.
Schon damals kritisierten Experten das Urteil
Das Urteil der FU war seinerzeit von Plagiatsexperten kritisiert worden: Eine Doktorarbeit lasse sich nicht einfach in einen „guten“ und einen „schlechten“ Teil aufspalten. Gerichte hätten auch immer wieder klar gemacht, dass es irrelevant ist, in welchem Teil der Arbeit Plagiate auftauchten - schon wenige Stellen reichten aus, damit der Titel entzogen werden könne.
Nach Rechtsauffassung der Studierendenvertretung steht das FU-Präsidium nun in der Pflicht, Giffey ihren Doktortitel zu entziehen. Die Bundesfamilienministerin habe erwiesenermaßen ein „sanktionswürdiges wissenschaftliches Fehlverhalten“ mit bedingtem Vorsatz begangen. Da eine Rüge im Hochschulgesetz gar nicht vorgesehen sei, komme als Sanktionsmittel der Wahl nurmehr die Entziehung infrage, betonte der Asta am Montag.
Asta fordert jetzt den Titelentzug
„Sollte Giffey nicht nur das Amt der Bürgermeister*in von Michael Müller übernehmen, sondern auch das der Wissenschaftssenator*in, wäre das eine Bankrotterklärung für den Wissenschaftsstandort Berlin", erklärten die Studierendenvertreter.
Der Asta hatte wiederholt eine Veröffentlichung des vom Prüfungsgremium erstellten Berichts gefordert. Das FU-Präsidium stand den entsprechenden Anfragen im Akademischen Senat zunächst ablehnend gegenüber. „Es handelt sich um politisches Kalkül der FU-Führung“, so Anna Müller vom Asta der FU. Mit Blick auf ähnliche Fälle sei es schlicht nicht verhältnismäßig, wenn Giffey allen Plagiierens zum Trotz, den Titel unbeschadet weiter führen dürfe. Die FU bestätigte am Montagabend, dass sie dem Asta den Bericht zukommen ließ.
Giffey wurde 2010 promoviert
Giffey wurde 2010 am Otto-Suhr-Institut der FU mit einer Arbeit zum Thema „Europas Weg zum Bürger“ promoviert, die Arbeit wurde mit mit magna cum laude (sehr gut) bewertet. Das Gremium, das nun die Plagiatsvorwürfe prüfte, bestand aus fünf Mitgliedern: Drei Professorinnen und Professoren der FU-Politikwissenschaften, ein Vertreter des akademischen Mittelbaus sowie ein externer Professor.
Wie sich aus dem Gutachten schließen lässt, arbeitete das Gremium keineswegs die gesamte Arbeit durch, sondern prüfte vor allem die Stellen nach, die die Dokumentation von „Vroniplag Wiki“ aufführte – diese jedoch „einzeln auf der Grundlage eigener Kriterien“. Die Rechtsanwälte von Giffey reichten vier Stellungnahmen ein.
Was ist mit den Stellen jenseits der 27 eindeutig als Plagiat Identifizierten? 39 der 119 von Vroniplag Wiki monierten Stellen konnten die Gutachter nicht eindeutig zuordnen, sie fielen aus der Bewertung raus. Den Rest ordneten die Gutachter in unterschiedliche Kategorien ein. Bei einem Teil etwa wurde die Quelle „im Kontext genannt“, eine „eindeutige Zuordnung“ war aber nicht möglich, bei anderen sei die im Kontext genannte Quelle letztlich auch eindeutig zuordbar gewesen.
Amerikanische Zitierweise? Kein stichhaltiges Argument
Die Gutachter beschäftigten sich auch mit dem von Giffeys Anwälten vorgebrachten Einwand, die Probleme würden vor allem an der „amerikanischen Zitierweise“ liegen, die Giffey auf Wunsch ihrer Betreuerin verwandt habe. Dabei werden keine Fußnoten gesetzt, sondern der Verweise auf eine Quelle erfolgt am Ende eines Satzes im Klammern.
Diese Argumentation hielten die Gutachter für nicht stichhaltig: Schließlich müsse auch dabei die genaue Seitenangabe genannt werden. Es handele sich also bei den identifizierten Fällen einer objektiven Täuschung um „problematisches Fehlverhalten“. Zumindest in diesen Fällen könne „aufgrund der Systematik des Vorgehens auch von einem bedingten Vorsatz ausgegangen werden“.
Bekanntlich beließ es die FU dennoch bei einer Rüge – was das Gremium dem Präsidium so vorschlug. Die Mängel würden sich schließlich auf einen begrenzten Teil der Arbeit konzentrieren (nämlich den Teil, in dem Giffey hauptsächlich Begriffsklärungen betrieb), die Bedeutung der eigenständigen wissenschaftlichen Leistung nicht grundsätzlich in Frage stehen.
Ein neues FU-Gutachten zur Rüge
Die FU hat zudem bei dem Verfassungsrechtler Ulrich Battis ein Gutachten zum Instrument der Rüge in Auftrag gegeben. Anlass seien die „teilweise divergierenden juristischen Einschätzungen“ dazu, teilte die FU mit. Das Gutachten soll bis spätestens November vorliegen, sobald das der Fall ist, will sich das FU-Präsidium damit befassen. Zuerst hatte die "FAZ" darüber berichtet.
Sollte Battis zu dem Urteil kommen, eine Rüge sei gar nicht statthaft, dürfte sich Franziska Giffey kurz nach ihrer Wahl zur Berliner SPD-Landesvorsitzenden mit einer erneuten Debatte um ihren Doktortitel auseinandersetzen müssen.