Tagesspiegel-Umlandserie (7): Durchatmen in Hohen Neuendorf
In Hohen Neuendorf lässt sich die Großstadt rasch vergessen: Villen und Einfamilienhäuser, moderne Schulen – und der Golfplatz ist nah.
Wenn es um Hohen Neuendorf geht, ist immer zuerst vom Verkehr die Rede. Mitten im Ort vor dem Kaufland-Gebäude treffen Karl-Marx-Straße von links und Schönfließer Straße von rechts auf die B96, die beiden Autobahnen A10 und A111 sind nicht weit und spülen reichlich Verkehr hinein. Und auch am Bahnhof, wo S- und Regionalbahn halten, machen Massen von abgestellten Fahrrädern deutlich, dass Berlin nicht weit ist.
Die Großstadt ist der Magnet, der auch diese florierende Randgemeinde wachsen lässt. Wer hier hinzieht, tut das in aller Regel, weil er in Berlin arbeitet und privat Abstand vom Großstadttrubel sucht – etwa ein Viertel der 27000 Bürger, so schätzt Bürgermeister Steffen Apelt, fährt täglich nach Süden und zurück. Die meisten der Zugezogenen haben auch vorher in Berlin gelebt.
Ein geografisches Unikum im Norden
Die Einwohnerzahl des Orts nördlich von Frohnau hat sich seit der Wende ungefähr verdoppelt, das ist neben Teltow und Falkensee die höchste Wachstumsrate am Berliner Rand. Eine „Schlafstadt“ ist Hohen Neuendorf allerdings nicht, weil es praktisch keine großen Mietshäuser gibt, sondern ganz überwiegend ältere Villen und kleine Mehrfamilienhäuser aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Durch die Gemeindereform 1993 ist der Ort zu einem geografischen Unikum geworden: Hohen Neuendorf selbst ist der Verwaltungssitz der Amtsgemeinde, drumherum liegen Bergfelde im Osten, Borgsdorf im Norden jenseits des Berliner Rings und Stolpe im Süden (beigetreten 2002). In der Mitte dieses Gebildes, fast völlig umschlossen, fremdelt aber das selbstständige Birkenwerder, dessen Bewohner seinerzeit den Beitritt abgelehnt hatten und lieber unter sich bleiben wollten. Das Thema ist durch, beide Bürgermeister haben freundlichen Kontakt, aber speziell bei Erschließungsthemen bringt die Trennung allerhand überflüssige Mehrarbeit.
Apelt führt die Geschäfte der Stadt seit Anfang 2016. Der 54-Jährige, der mit acht Jahren nach Hohen Neuendorf gekommen ist, handelt eigentlich mit Heizöl, engagiert sich aber schon seit 1992 in der Kommunalpolitik, seit 2002 für die CDU.
Die Stichwahl gegen den Kandidaten der Linken gewann er kämpferisch mit einem Elf-Punkte-Plan, der die aktuellen Schwachstellen des Ortes ziemlich genau beschreibt: Es ging darin um die Taktverdichtung der morgens brechend vollen S-Bahn, um bezahlbaren Wohnraum, einen Wochenmarkt mit Regionalprodukten, weiter um Lärmschutz und ein neues Gewerbegebiet an der Autobahn – die Gewerbesteuer bringt bislang nicht viel in einer Gemeinde ohne genug große Arbeitgeber.
Kaffee, Kuchen und Fernöstliches
Wenn Berliner in Hohen Neuendorf anhalten, dann tun sie das, von der Wohnungssuche abgesehen, meist aus zwei Gründen: Das Kaffeehaus Morgenrot, im Wiener Stil 2005 in einer feudalen Villa gegründet, gilt als bestes Café in ganz Brandenburg. Inhaberin Eva Tiffany Bollmann hat den einst extrem exotisch wirkenden Betrieb zu einem kulturellen Treffpunkt gemacht, den auch die Einheimischen mögen. Und zweitens – damit wären wir beim inoffiziellen Wahrzeichen der Gemeinde – steht hier die „Himmelspagode“, ein chinesisches Restaurant, dessen Dimensionen keiner glaubt, der noch nicht davorgestanden hat. Siebzig Mitarbeiter soll es haben, und wenn man Apelt nach dem bürokratischen Vorlauf des Baus fragt, sagt er nur sarkastisch: „Nach der Wende war eben vieles möglich.“
Anpassung der Kapazitäten
Stolz sind sie in Hohen Neuendorf auf die moderne Infrastruktur mit einer Grundschule, die als energetisch modernste in ganz Deutschland gilt, mit einem Gymnasium und vielen Kitaplätzen in freier Trägerschaft, mit modernen Sportanlagen für rund 90 Vereine. Die großen Discounter sind schon da oder kommen gerade, außerdem gibt es ungewöhnlich viele Alten- und Pflegeheime, eins davon in einem Gebäude, das eigentlich mal Hotel werden sollte. Die Gemeinde hat das nie gesteuert, und Apelt sagt, er wundere sich selbst über das Phänomen.
Sein zentrales Thema ist im Moment eher die Schaffung bezahlbarer Wohnungen, für die ein Entwicklungsgebiet ausgewiesen wird. Drei oder vier Stockwerke in die Höhe soll es gehen, dem Ortsbild angepasst. Auch das schlichte Rathaus in der Ortsmitte wird gerade durch einen Anbau ergänzt, der dann alle für die Bürger relevanten Ämter zusammenfassen soll – im Gegensatz zu Berlin hat man hier Behördenkapazität und Einwohnerzuwachs durchaus irgendwie synchronisieren können.
Und auch sonst hat die Hohen Neuendorfer Verwaltung mit Berlin, speziell also mit dem Nachbarn Reinickendorf, kaum etwas zu tun. „Ich wüsste nicht, wo hier der Mehrwert für Hohen Neuendorf liegen sollte“, sagt Apelt auf die Frage nach Kontakten schlicht, „da ist uns das Hemd näher als die Hose“.
Wichtiges laufe ohnehin auf Landesebene, man habe mal über die Tarifzonen der S-Bahn geredet, aber seitdem herrsche Funkstille; den Reinickendorfer Amtskollegen kennt er auch nur dem Namen nach.
Nach der Schule zurück nach Berlin?
Der Reiz Hohen Neuendorfs und seiner angeschlossenen Orte liegt nicht im pittoresken Ortsbild oder besonderen Sehenswürdigkeiten. Ein Schwimmbad gibt es nicht, und auch das Stück Havel ist nicht übermäßig attraktiv. Anziehend wirken aber die vielen ruhigen, weitgehend durchsanierten und oft noch romantisch kopfsteingepflasterten Wohnstraßen mit schönen Gärten, die ideal für junge Familien sind. Und der Golfplatz in Stolpe, der schon kurz nach der Wende angelegt wurde, zieht viele Fans an. Dennoch sorgt sich Apelt um die Altersstruktur, weil viele junge Einwohner nach der Schule nach Berlin oder weiter wegziehen und nie wiederkommen. Aber qualifizierte Arbeit ist nun einmal rar.
Volker-Alexander Tönnies allerdings hat welche gefunden: Der ehemalige Berliner Polizeisprecher, der schon zwei Jahrzehnte in Hohen Neuendorf lebt, ist seit gut einem Jahr Apelts Stellvertreter.
Berlin wächst über sich hinaus – und mit dem Umland zusammen. In unserer Serie stellen wir acht Orte und Regionen vor, die von der wachsenden Metropole profitieren. Welche Chancen eröffnen sich, und welche Herausforderungen stellen sich? Wer bietet mehr: neue Wohnungen, Kitas und Schulen, Lebensqualität, kurze Wege nach Berlin. Unsere Reise führt einmal rund um die Hauptstadt. Die letzten Folgen: Neuenhagen, Potsdam, Bernau bei Berlin, Falkensee und Königs Wusterhausen.