Corona-Verluste und BER-Hilfen: Drohendes Finanzdesaster in Berlin alarmiert die Bundespolitik
Berlin beantragt so viel Corona-Hilfe wie kein anderer Flughafen. Der BER braucht noch mal 1,5 Milliarden Euro. Die Grünen rufen bereits nach dem Rechnungshof.
Das drohende Finanzdesaster am BER alarmiert die Politik. Nun provoziert die von Engelbert Lütke Daldrup geführte Flughafengesellschaft Berlins, Brandenburgs und des Bundes (FBB) den Verdacht, nicht seriös und offen mit den Zahlen umzugehen – obwohl die FBB trotz des mittlerweile gesicherten BER-Starts noch Jahre auf Hilfe der drei Eigner angewiesen sein wird.
Nach Tagesspiegel-Recherchen läuft es für die durch die Coronakrise belasteten Haushalte auf Bürgschaften oder Haushaltsmittel von etwa 1,5 Milliarden Euro hinaus. Grüne-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter fordert, die FBB vom Bundesrechnungshof überprüfen zu lassen: „Wir können uns kein ewiges Milliardengrab in Schönefeld leisten.“
Kein anderer deutscher Flughafen erwartet solche Corona-Verluste
Die drei Eigner haben den Weg dafür frei gemacht, dass die FBB – Jahresumsatz 2019: 416 Millionen Euro – noch 2020 bis zu 300 Millionen Euro aus den Haushalten erhält, um Verluste nach dem Corona-Totaleinbruch im Flugverkehr seit März auszugleichen. Und zwar als Eigenkapitalerhöhung.
Wie die FBB auf diese Summe kommt, ist nicht nachvollziehbar. Und obwohl der Luftverkehr überall zum Erliegen kam, erwartet kein anderer Flughafen Verluste dieser Dimension, wie aus einer dem Tagesspiegel vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage hervorgeht.
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„Die Flughafengesellschaften der Flughäfen München und Köln/Bonn gehen jeweils von Verlusten in Folge der Corona-Krise im mittleren zweistelligen Millionenbereich aus, die auf neue Rechnung vorgetragen und gegebenenfalls mit bestehenden Gewinnvorträgen verrechnet werden sollen.“ Keiner der beiden Airports erhält eine Corona-Hilfe. Und: „Die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg GmbH geht für 2020 von Erlösausfällen von mindestens 300 Millionen Euro aus.“
Im Gegensatz zu anderen deutschen Flughäfen sei „die Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH ein Fass ohne Boden“, sagte der Bundestagsabgeordnete Bernd Reuther, Luftverkehrsexperte der FDP-Fraktion. „Sollte die Flughafengesellschaft weitere Verluste einfahren, muss der Bund seine Beteiligung auf den Prüfstand stellen.“
Der Senat versichert zwar bisher, dass nur „nachgewiesene“ Erlösausfälle kompensiert werden sollen und auch das Kurzarbeitergeld abgezogen werden soll, das die FBB von der Arbeitsagentur bezieht. Doch die Vermutung liegt nahe, dass über die "Corona-Hilfe" andere Löcher in den FBB-Finanzen gestopft werden sollen.
Die nächste Kapitalspritze
Was am BER derzeit gebraucht wird, kommt aus einem zu 100 Prozent von der öffentlichen Hand verbürgten 1,1-Milliardenkredit. Der war mal für BER-Erweiterungen von der EU genehmigt worden, wird aber nun für die Fertigstellung des Airports gebraucht, die statt 2,5 Milliarden bereits 6,7 Milliarden Euro kostet. Und das Geld reicht noch bis Frühjahr 2021.
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Damit die FBB nicht pleite geht, haben Berlin, Brandenburg und der Bund in den Haushalten nahtlos ein neues Gesellschafterdarlehen von 108 Millionen Euro bewilligt. Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses gab jetzt dafür den Berliner 40-Millionen-Anteil frei.
Wie wacklig alles ist, geht aus der vertraulichen Vorlage der Finanzverwaltung vom 14. Mai hervor: Eine Verzögerung des neuen Darlehens, hieß es darin, „würde den Abruf der sogenannten Tranche B des Konsortialdarlehens gefährden, die derzeit vollständig die Fertigstellung des BER finanziert“.
Die Vorlage ist von Finanzstaatssekretärin Vera Junker unterzeichnet, auch FBB-Aufsichtsrätin. Eine solche Verquickung wäre in Brandenburg nicht möglich. Hier hat der Rechnungshof eine klare Trennung von Gesellschafter- und Kontrollfunktionen durchgesetzt.
Sinkende Passagierzahlen in der Pandemie verschlimmern die Lage
Die 108 Millionen reichen ohnehin nicht lange. Bis 2023 braucht die FBB nach dem im März beschlossenen Businessplan weitere 792 Millionen Euro, für die die Einnahmen nicht reichen, was mit Mehr- und Nachlaufkosten am BER begründet wird.
Merkwürdig: Im vorherigen Businessplan von 2018 war der externe Finanzbedarf für diesen Zeitraum bereits mit 770 Millionen Euro kalkuliert. Es war klar, dass die FBB davon maximal 400 Millionen Euro über unverbürgte Kredite aufbringen könnte – nach BER-Start. Mehr sei „nicht darstellbar“, hieß es nach einer Sondierung bei Banken.
Voraussetzung war das damals noch rasante Passagierwachstum, für 2023 wurden 39 Millionen Passagieren prognostiziert. Wegen der Coronapandemie werden es 2020 vielleicht zehn Millionen sei. Wann und ob das frühere Niveau wieder erreicht wird, und damit auch die kalkulierten Einnahmen, weiß niemand. Und die Kreditwürdigkeit der FBB, die rote Zahlen schreibt, ist mit den Milliardenkrediten nahezu ausgereizt.
Nach einer internen Analyse ist der Verschuldungsgrad 25 Mal so hoch wie der operative Jahresgewinn, während bei anderen deutschen Flughäfen ein Faktor um fünf oder sechs üblich sei. Schon 2018 wurde einkalkuliert, dass bei schlechter Entwicklung etwa eines etwas verzögerten BER-Starts das Defizit in den nächsten Jahren auf 1,2 Milliarden Euro steigen könnte. Nun kam der Corona-Einbruch.
Rechnet Lütke Daldrup mit falschen Zahlen?
Unterm Strich hat die FBB bereits einen Bedarf von 1,2 Milliarden Euro bis 2023 angezeigt. Nachwirkungen des Corona-Einbruchs werden noch hinzukommen. Bereits eine vom Tagesspiegel und dem RBB veröffentlichte Studie hat das absehbare Defizit der FBB bis 2023 auf 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro beziffert, was Lütke Daldrup als „Milchmädchenrechnung“ zurückwies.
Es sei nicht eingerechnet, sagte er in einer Fernsehsendung, dass die Entgelte am neuen BER im Vergleich zu den Alt-Flughäfen Schönefeld und Tegel „um 70 Prozent“ steigen würden. Im Aufsichtsrat war von 42 und 45 Prozent höheren Entgelten am BER die Rede. All diese Zahlen sind nach einem aktuellen Bericht des RBB, der dies am Beispiel eines A320-Flugzeuges mit Experten nachrechnete und auf 23 Prozent kam, aus der Luft gegriffen.
Das deckt sich mit der Expertise des Bundesverbands der deutschen Airlines (BZF), der allenfalls eine Steigerung der Entgelte am BER um 25 Prozent für realistisch hält. FBB-Sprecher Hannes Hönemann reagierte auf den rbb-Bericht mit dem Hinweis, dass bei den künftigen BER-Erlösen eine Vielzahl von Einnahmepositionen zu berücksichtigen sei. Die "70 Prozent" wiederholte er nicht: "So steigen im Mittel die Erlöse aus Gesamtentgelten (pro Passagier) am BER um 40% bis 50% in Relation zu den Bestandsflughäfen." Das könne nach Annahme über Flugzeugtyp, Passagierzahl, Gepäckmenge, Standzeit und Parkposition im Einzelfall deutlich variieren. Zudem verwies Hönemann auf steigende Non-Aviation-Erlöse und nannte hierfür Zahlen:
"Am BER wird es mehr und attraktivere Gastronomie und Shoppingangebote geben. Auch das Parkplatzangebot ist stark ausgeweitet. Auf dieser Grundlage werden die Erlöse pro Passagier am BER im Non-Aviation-Bereich zwischen 60% und 80 % über denen in Tegel und Schönefeld liegen." Die Grünen im Bundestag wollten von der Bundesregierung jetzt präzise wissen, wie sich die FBB-Finanzlage in den nächsten Jahren entwickeln wird. Das Bundesfinanzministeriums antwortete nun, dass die FBB hierzu „unter Berufung auf die Wahrung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse keine Auskunft erteilt“ habe. Der Kommentar dazu von Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, lautet so: "Geld geben, ohne dass wir wissen, wie schlimm es konkret aussieht. Wo leben wir denn?"