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Qual der Wahl. Beim Europafest am Berliner Steinplatz verteilten die Parteien am Wochenende Wahlwerbung.
© DAVIDS/Sven Darmer

Europawahl am 26. Mai: Diese Berliner kandidieren für das EU-Parlament

40 Parteien treten an – die meisten mit Bundeslisten und wenig bekannten Gesichtern. Laut Umfrage könnte es eine hohe Beteiligung von 60 Prozent geben.

Die Kandidaten für die Europawahl am 26. Mai haben fast alle ein Problem – man kennt sie nicht. Da hilft auch kein freundliches Lächeln auf dem Plakat an der Straßenlaterne, und auch nicht die anstrengende Präsenz bei meistens schlecht besuchten Wahlkampfterminen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Parteien, die ihre Leute nach Straßburg und Brüssel schicken wollen, mit Ausnahme der CDU/CSU mit Bundeslisten antreten. Da haben es auch in Berlin die lokalen Wahlbewerber schwer, sich zu profilieren.

Zumal es gar nicht so einfach für die Wähler ist, den Überblick zu behalten. Auf dem Wahlzettel, den die Berliner ankreuzen dürfen, stehen 40 Parteien, darunter jeweils sehr kleingedruckt die Kandidaten aus den Bundesländern. Da kostet es Mühe herauszufinden, wer von den Berliner Parteien für das Europaparlament ausgewählt wurde. Diese Bewerber stellen wir an dieser Stelle vor, soweit ihre Parteien im Abgeordnetenhaus vertreten sind. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht also nicht.

Bei der Europawahl 2014 zählte die Landeswahlleiterin insgesamt elf gewählte Berliner Mandatsträger im amtlichen Ergebnisbericht: Vier von den Grünen, zwei von der AfD und jeweils einer von SPD, CDU, Linken, NPD und Die Partei. Das Kriterium war der Wohnsitz Berlin, nicht die Nominierung durch die Berliner Landesverbände. So wird es auch dieses Mal gehandhabt.

In Auswertung einer aktuellen Prognose der Hamburger Wahlforscher von election.de werden mit der Europawahl 2019 voraussichtlich neun Bewerber aus Berlin in das neue EU-Parlament einziehen: Wieder vier von den Grünen und jeweils einer von SPD, CDU, Linken, AfD und Die Partei. Laut einer Infratest-Umfrage im Auftrag von RBB und Berliner Morgenpost, die am Sonntag veröffentlicht wurde, können die Parteien in Berlin bei der Europawahl derzeit mit folgenden Ergebnissen rechnen: Grüne (23 Prozent), CDU (18), Linke (16), SPD (13), AfD (zehn), FDP (fünf), Die Partei (vier).

Die Wahlbeteiligung in der Hauptstadt könnte 60 Prozent erreichen. Das wäre für EU-Wahlen in Berlin ein Rekord. Jedenfalls weist die hohe Zahl der beantragten Wahlscheine, die am Wochenende die 400 000-Grenze überschreiten wird, auf großes Interesse an der Wahl hin.

Gabriele Bischoff, SPD

Mit Europa beschäftigt sich Gabriele Bischoff, 58, schon ein wenig länger. Sie leitete im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bis 2014 die Fachabteilung Europapolitik. Bis Januar dieses Jahres war sie zudem Präsidentin der Arbeitnehmergruppe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), dem sie zehn Jahre angehörte. Sie selbst bezeichnet sich als „leidenschaftliche Europäerin, Gewerkschafterin und Feministin“.

Vorher sammelte die Politologin, geboren und aufgewachsen in Hessen, berufliche Erfahrungen als Sozialreferentin in Brüssel und im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wo sie 2007 die deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Sonderberaterin mitorganisierte. Ein Jahr später trat Bischoff in die Berliner SPD ein, sie gehört dem Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf an, nahm in der Partei aber keine Funktionen wahr.

Gabriele Bischoff tritt für die SPD an.
Gabriele Bischoff tritt für die SPD an.
© promo

Den Platz 9 auf der SPD-Bundesliste, der ihr einen sicheres Mandat für Straßburg und Brüssel beschert, hat Bischoff in erster Linie dem Deutschen Gewerkschaftsbund zu verdanken. Der DGB-Chef Reiner Hoffmann, selbst SPD-Mitglied und viele Jahre in europäischen Gremien aktiv, hatte sich für die Vorstandskollegin parteiintern stark gemacht. Auf einem Landesparteitag wurde sie im Juni 2018 für die Bundesliste nominiert, mit knappem Vorsprung vor der Juso-Landesvorsitzenden Annika Klose.

Bischoffs Credo: Ein Europa mit „gerechten Löhnen, guten Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherheit für alle“. Und mit gemeinsamen Lösungen für die Probleme des Klimawandels, der Digitalisierung und globalen Migration.

Hildegard Bentele, CDU

Glaubt man Hildegard Bentele, dann fliegen der mit Abstand jüngsten aller sechs Berliner Spitzenkandidaten die Herzen ihrer Wähler nur so zu. „Ich habe mich in Sie verliebt“ habe ein bis dahin unbekannter Verehrer am Rande des Jahresempfangs der Berliner CDU-Fraktion jüngst zu ihr gesagt und das mit den großflächig in der Stadt verteilten Plakaten begründet, von denen aus Bentele die Berliner anlächelt.

„Da haben wir wohl alles richtig gemacht“, freut sich die 42-Jährige, die von einer „sehr positiven Stimmung“ im Wahlkampf spricht und sich als Spitzenkandidatin der Berliner CDU gute Chancen ausrechnen kann, im vierten Anlauf den Sprung in das EU-Parlament zu schaffen.

Hildegard Bentele tritt für die CDU an.
Hildegard Bentele tritt für die CDU an.
© Laurence Chaperon/promo

Ihrer Vita zufolge dürfte sich Bentele, die 2006 im Auswärtigen Amt (AA) zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt worden war, auf dem europäischen Parkett wohl fühlen. Zunächst im AA, dann im Botschaftsdienst in Zagreb, Teheran und den USA sowie später im Bundestag hatte sich Bentele – Mutter zweier Kinder – mit internationaler und Europapolitik befasst. Nach ihrer Bewerbungsrede für den ersten Listenplatz der Berliner CDU blieb ein Satz besonders in Erinnerung: „Man muss Europa kennen, um es zu können.“

Sollte die ehemals europapolitische Sprecherin der CDU-Fraktion Abgeordnetenhaus gegen EU-Parlament tauschen, möchte sie sich dort um die Themen Wohnungsneubau, Mobilität, Sicherheit und Strategien gegen Obdachlosigkeit und Armutsmigration kümmern. In Berlin will sie sich für die Gründung eines „Europäischen Hauses“ einsetzen, um die EU erfahrbarer zu machen.

Reinhard Bütikofer, Grüne

Auch der Kandidat der Berliner Grünen, Reinhard Bütikofer, ist in Brüssel kein Unbekannter. Der 66-jährige, gebürtige Mannheimer gehört dem EU-Parlament seit 2009 an und ist in der noch laufenden Legislaturperiode Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie und im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheit gewesen. Der frühere Parteichef der deutschen Grünen führt seit 2012 gemeinsam mit der Italienerin Monica Frassoni die Europäischen Grünen Partei (EGP). Bundesweit kandidiert er auf Platz vier der Grünen-Europaliste für ein Mandat.

Reinhard Bütikofer tritt für die Grünen an.
Reinhard Bütikofer tritt für die Grünen an.
© promo

Bütikofer bezeichnet sich selbst als „Teilzeit-Berliner“ und pendelt zwischen der deutschen Hauptstadt, wo er in Moabit wohnt, und Brüssel. Er freut sich jedes Mal, wenn er wieder in Berlin ist. „Dann treffe ich endlich meine Frau“, sagt er – und lacht. Und er geht auch lieber im Botanischen Garten in Dahlem als im Brüsseler Garten am Stadtrand spazieren. Im Wahlkampf habe er vor allem von jungen Leuten positive Resonanz zu Europa bekommen. Gründe dafür sieht er etwa in der Reisefreiheit und dem akademischen Erasmus-Programm. Auch die Bewegung „Fridays for future“ für besseren Klimaschutz habe bei vielen Bürgern das Bewusstsein geschaffen, dass man nur gemeinsam in Europa eine wirklich effektive Klimaschutzpolitik realisieren könne.

Neben Reinhard Bütikofer haben die Konfliktforscherin Hannah Neumann aus Lichtenberg auf Platz fünf sowie die Berliner Erik Marquardt auf Platz acht und Sergey Lagodinsky auf Platz zwölf der Europaliste gute Chancen, ins EU-Parlament einzuziehen.

Die Kandidaten der Linken, FDP und AfD

Qual der Wahl. Beim Europafest am Berliner Steinplatz verteilten die Parteien am Wochenende Wahlwerbung.
Qual der Wahl. Beim Europafest am Berliner Steinplatz verteilten die Parteien am Wochenende Wahlwerbung.
© DAVIDS/Sven Darmer

Martina Michels, Linke

Martina Michels von den Linken ist seit Jahren überzeugte Europäerin. Sie war seit 2001 Vorsitzende des Ausschusses für Europa- und Bundesangelegenheiten im Berliner Abgeordnetenhaus und arbeitete viele Jahre als einzige deutsche Linke im europäischen Ausschuss der Regionen, ein Gremium, das die EU-Kommission berät.

2013 zog Martina Michels als Nachfolgerin des verstorbenen Lothar Bisky ins Europäische Parlament, wurde 2014 erneut gewählt und arbeitet in dieser Legislaturperiode im Kultur- und Regionalausschuss. Michels tritt als auf Platz fünf der Linken-Bundesliste zur Europawahl an und hat damit gute Chancen, wieder ins EU-Parlament einzuziehen.

Martina Michels tritt für die Linke an.
Martina Michels tritt für die Linke an.
© Wolfgang Kumm/dpa

Im Gegensatz zu den nationalen Parlamenten arbeiten die EU-Parlamentarier fraktionsübergreifend. „Es ist ein anderes Arbeiten. In Brüssel sucht man sich für Anträge seine Mehrheiten.“ So betont Michels, dass sie mit dem Berliner CDU-Europaparlamentarier Joachim Zeller immer gut zusammengearbeitet habe. Um sich in der EU-Politik gut zurechtzufinden, brauche man „Bodenständigkeit, sonst verschwindet man in so einer EU-Blase“, sagt sie. Die 63-jährige Linkspolitikerin berichtet über die Brüsseler Politik in ihrem Newsletter „Martinas Woche“.

Wie andere Parlamentarier zieht sie nach einer Woche in Brüssel mit dem Rollkoffer via Shuttle zum Flughafen. Dann geht es zurück nach Berlin. Die studierte Philosophin ist in Prenzlauer Berg geboren, in Friedrichshain aufgewachsen, und wohnt nach mehreren Umzügen wieder in Friedrichshain.

Carl Grouwet, FDP

Carl Grouwet ist 53 Jahre alt, wurde in Belgien geboren, lebte mehrere Jahre in Österreich und bezeichnet Berlin, wohin er 1997 zog, als seine Heimat. Europäer, sogar „zweimal Europäer“, wurde er aber erst 2013. „Damals habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, bin seitdem Belgier und Deutscher. Mehr Europa geht wohl kaum“, sagt Grouwet und lacht. Am 26. Mai will der Spitzenkandidat der Berliner FDP dieser Europa-Geschichte ein Kapitel hinzufügen.

Carl Grouwet tritt für die FDP an.
Carl Grouwet tritt für die FDP an.
© Soeren Stache/dpa

Und auch wenn die Chancen dafür eher gering sind – Grouwet landete auf Rang 12 der FDP-Bundesliste – hat der Wirtschaftswissenschaftler hehre Ziele für Europa. Grouwet will „das extrem gute System von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit weiter verbessern“ und die Verbindung zwischen Bürgern und EU-Parlament stärken. Mit Blick auf die Medienlandschaft in Ländern wie Ungarn, Italien oder auch Großbritannien wirbt er dafür, den französischen Sender „Arte“ zu einem europäischen Sender auszubauen und unabhängige Nachrichtensender nach dem Beispiel des „Deutschlandfunks“ zu etablieren.

Privat ist Grouwet seit 2009 Jahren mit seinem Lebensgefährten verpartnert. Entspannung findet er beim Kochen für sich und für Freunde, beim Einkauf in der Markthalle 9 in Kreuzberg oder bei der Pflege seines Balkons. Zieht es Grouwet raus, dann meist in die Ränge vor den großen Orchestern dieser Stadt. Denn an einer Frage lässt der ehemalige Sprecher der Salzburger Festspiele keinen Zweifel: „Die Berliner Orchesterlandschaft und das Kulturangebot der Stadt ist einmalig und wunderbar.“

Nicolaus Fest, AfD

Nach seinen persönlichen Vorlieben gefragt, bezeichnet sich Nicolaus Fest selbst als Freund der sanften Töne: „Kultur, vor allen Dingen die Literatur, lässt mein Herz schneller schlagen“, erklärt der Sohn des Herausgebers Joachim Fest und zählt eine ganze Reihe deutscher Klassiker auf.

Kein Wunder, schließlich arbeitete der Jurist nach seiner Promotion unter anderem als Kulturchef der „Bild“-Zeitung, ehe er 2013 in die Chefredaktion der „Bild am Sonntag“ aufstieg. 2014 verließ er die Zeitung. Seitdem zieht er die klare Kante den seichten Zwischentönen vor und geht – wenn es sein muss – an die Grenze oder darüber hinaus.

Nicolaus Fest tritt für die AfD an.
Nicolaus Fest tritt für die AfD an.
© promo

Als die Berliner AfD am 1. Mai zum Europafest geladen hatte und die Basis bei Bier und Bratwurst vor ihm stand, beschimpfte Fest die in wenigen Metern Entfernung lärmenden Gegendemonstranten als „Dreckschweine der Antifa“. Auf dem ersten von zwei EU-Wahlparteitagen der AfD in Magdeburg hatte er von „parasitären Clowns“ gesprochen und die Zerschlagung der EU gefordert.

Davon abgesehen bezeichnet sich Fest, der seit 2016 AfD-Mitglied ist und nach der gescheiterten Kandidatur für den Bundestag im Jahr 2017 nun in das nächste Parlament drängt, als „sehr, sehr guten Europäer“. Er wolle Europa „in seiner Vielfalt erhalten“, die „Werteverhöhnung“ innerhalb der EU stoppen und die „Aushöhlung des Subsidiaritätsprinzips zulasten der Nationalstaaten“ bekämpfen.

Sollte der 56-Jährige, wie erwartet, ins Parlament einziehen, möchte sich Fest dort um die Meinungsfreiheit und konkret um die Wiederaufnahme der Debatten über Upload-Filter und die Datenschutzgrundverordnung kümmern.

Ulrich Zawatka-Gerlach, Sabine Beikler, Robert Kiesel

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