Spekulation contra Wohnungsbau: Die Wurzeln des Übels liegen im Boden
In Berlin gibt es neben leer stehenden Häusern auch zahllose Brachen. Das eigentliche Problem der Wohnungsnot heißt Bodenspekulation. Ein Kommentar.
Vorweg ein Kuriosum. Das allererste je veröffentlichte Gespräch mit dem Schriftsteller Max Frisch war ein erfundenes Interview im Jahr 1934. Ein Fake des damals einflussreichen Feuilletonchefs der ehrwürdigen „Neuen Zürcher Zeitung“, der eine Begegnung mit dem noch völlig unbekannten 23-jährigen Max Frisch nach dessen Debütroman „Jürg Reinhardt“ fingierte (und ihn wohlwollend „befragte“).
Das wirkt so originell wie aktuell, doch noch viel treffender ist ein reales Gespräch, das 40 Jahre später die Zeitschrift „Evangelische Kommentare“ (heute: „Zeitzeichen“) publiziert hat. Frisch, der ursprünglich Architekt war, spricht da von seinem Verständnis der Demokratie, die er einst als „Vernunft der Mehrheit“ begreifen wollte. Aber sogleich fügt er an: „Nach all dem, was wir heute wissen von der Manipulierbarkeit der Mehrheit, könnte ich das heute so nicht mehr sagen.“
Damals, 1974, fiel das Wort Populismus nicht. In der nächsten Antwort, die sich in dem bei Suhrkamp erschienenen Interview-Buch „Wie Sie mir auf den Leib rücken!“ findet, wird es freilich noch aktueller. Frisch erklärt, dass er ab 1945 „im eigentlichen Sinne politisch wurde“, als er sich „als Architekt mit Städtebau“ beschäftigt habe. Ihm sei dabei klar geworden, „solange es Bodenspekulation gibt“, werde es keine Städte als „Lebensorte“ geben: „Mit dem vorhandenen Bodenrecht geht es nicht.“
Enteignungen würden fast 60 Milliarden Euro kosten
Atempause. Vielleicht denkt auch die Berliner Politik einmal darüber nach. Statt sich etwa aus hilflosem Opportunismus aufseiten der Linken und Grünen der am 6. April mit der Unterschriftensammlung beginnenden Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ weiter anzudienen. Würde man ernsthaft mehrere Hunderttausend Wohnungen von einem halben Dutzend Immobilienkonzernen entschädigungspflichtig enteignen, wäre das mit fast 60 Milliarden Euro verschuldete Berlin zwar um weitere 20 bis 40 Milliarden Schulden, aber um keine einzige neu gebaute Wohnung reicher.
Im Gegenteil: Neubauten, Investitionen in die marode Verwaltung, in Schulen, Kitas, Nahverkehr, Sozialinstitutionen würden auf Jahrzehnte hin praktisch unmöglich. Das Irre dabei ist, dass die Berliner Regierungspolitik trotzdem eiert und den Wahnsinn nicht klar und ehrlich als solchen bezeichnet.
Ohne die Sache zu erwähnen, klingt auch das von der zuständigen Senatorin Katrin Lompscher im Tagesspiegel veröffentlichte „Manifest“ nur eigenlobend vage (Konzepte „bis 2030 sind fast fertig“) und setzt vor allem auf vermehrte Bürgerbeteiligung: genannt „partizipative Stadtentwicklung“.
Alle beklagen, dass in Städten wie Berlin, Hamburg oder München jahrelang kommunaler Grund ohne politische Vorgaben an private Investoren verkauft worden sei. Dass man anders als etwa in Wien die eigenen Wohnungsbaugenossenschaften vernachlässigt und den jetzigen Mangel an bezahlbarem oder überhaupt vorhandenem Wohnraum so erst ermöglicht habe. Kaum greift die wohlmeinende Mietpreisbremse. Zu wenig reguliert und kontrollierbar sind die Umlagen von Modernisierungskosten oder Zweckentfremdungsverbote bei privaten Ferienwohnungen.
In Berlin gibt es zahlreiche Brachen
Tatsächlich beginnt alles mit dem nicht beliebig vermehrbaren Grund und Boden, bei dem „die Interessen der Allgemeinheit“ weit stärker „als bei anderen Vermögensgütern“ zur „Geltung zu bringen“ seien, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor einem halben Jahrhundert geurteilt hat.
Hans-Jochen Vogel, Ex-Bundesminister und Münchens Ex-Bürgermeister, kämpft mit jetzt 93 Jahren für eine stärkere Besteuerung der sich in den letzten Jahrzehnten teilweise auf zehntausend Prozent belaufenden Bodenwertsteigerungen. Wer ein Grundstück kauft, kann es in vielen deutschen Städten leer stehen oder verfallen lassen. Bei einem Weiterverkauf erzielt er fabelhafte Renditen, die nach der „Spekulationsfrist“ von zehn Jahren sogar steuerfrei sind.
Im Boden liegen viele Wurzeln des Übels. Und in Berlin, das sowieso weniger verdichtet ist als andere Großstädte, gibt es neben leer stehenden Häusern auch zahllose Brachen, auf denen bisweilen eingezäunte Kleinwälder wachsen. Für untätige Eigentümer oder bei nicht ermittelbaren Erben infolge von Krieg und NS-Diktatur könnten längst öffentliche (Nachlass-) Verwalter bestellt werden, die im Sinne der Sozialbindung eine gute Sanierung oder Neubebauung betreiben. Ebenso sollte die Vergabe von Erbbaurechten bei staatlichen Grundstücken häufiger geprüft werden, um neue Investitionen zu ermöglichen, ohne gleich Grund und Boden zu verlieren.