Bodenspekulation und steigende Mieten: „Berlin will sich nicht in den Dialog einbringen“
Einhundert Jahre Erbbaurecht in Deutschland – das Thema hat angesichts der Wohnungsknappheit neue Aktualität. Berlin hat den Trend jedoch verschlafen.
Die Bodenpreise in den Großstädten steigen und steigen. Viel zu wenige Flächen sind auf dem Markt, wenn man die Nachfrage bedenkt. Und weil Fachkräfte im Baugewerbe fehlen, steigen auch noch die Baupreise. Wer hohe Baupreise refinanzieren will, nimmt hohe Mieten. Es ist immer das alte Lied: Wo der Mangel die Preise diktiert, wird die Ware teurer. Ein Grundgesetz der Marktwirtschaft. Es gibt aber ein aktuell viel zu selten eingesetztes Instrument, mit dessen Hilfe immer höhere Grundstücks- und Wohnungspreise gesenkt werden könnten: das Erbbaurecht. Dessen gesetzliche Grundlage trat am 15. Januar 1919 in Kraft – vor rund einhundert Jahren also.
„Das Erbbaurecht hatte seine große Zeit in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren“, sagt Matthias Nagel, Geschäftsführer des Deutschen Erbbaurechtsverbandes. Damals drängten Kriegsrückkehrer und Flüchtlinge in die Städte. Das Erbbaurecht sollte auch Menschen mit wenig Einkommen Wohneigentum ermöglichen und Bodenspekulationen vorbeugen. „Seitdem ist es aber in vielen Regionen in Vergessenheit geraten“, sagt Nagel. In dünn besiedelten Gegenden muss nicht zwingend Bauland mit Hilfe des Erbbaurechtes geschaffen werden, zumal die Zinsen für Baugeld immer noch niedrig sind.
Berlin hinkt noch hinterher
Anders aber sieht es in den Metropolen aus. Sie haben eben erst begonnen, das Erbbaurecht neu zu entdecken. In Frankfurt am Main beispielsweise erfolgt die Grundstücksvergabe derzeit in der Regel durch die Bestellung von neuen Erbbaurechten. Das 2018 eröffnete DomRömer-Quartier, Frankfurts „Neue Mitte“, wurde vollständig im Erbbaurecht vergeben.
In Berlin hat die rot-rot-grüne Regierung die verstärkte Nutzung des Erbbaurechts schon 2016 zum Bestandteil ihres Koalitionsvertrags gemacht. Der Senat beschloss eine Absenkung der Erbbauzinsen bei Neuverträgen allerdings erst, nachdem der Tagesspiegel darauf hingewiesen hatte, dass die Erbbauzinssätze angesichts der niedrigen Preise für Baugeld viel zu hoch – und damit gänzlich unattraktiv – waren. Folglich wurden zum Beispiel 2017 gerade einmal elf Erbbaurechte vergeben, so eine Sprecherin des Berliner Finanzsenators. In Hamburg wurde der Erbbauzins für städtische Grundstücke bei Wohnnutzung bereits 2017 auf 2,1 Prozent des Bodenwertes gesenkt.
In Berlin gelten die Absenkungen zunächst für Erbbaurechte, die innerhalb der nächsten fünf Jahre bestellt werden und sind für einen Zeitraum von zwanzig Jahren befristet. Die neuen Regelungen traten mit Zustimmung des Hauptausschusses am 10. Oktober 2018 in Kraft.
Die Höhe der Zinssätze ist dabei abhängig vom jeweiligen Nutzungszweck. Handelt es sich um eine Nutzung für soziale, kulturelle und sportliche Zwecke, liegt der Zinssatz jetzt bei 1,5 Prozent. Bei einer Nutzung für Wohnen liegt er in Berlin bei 2,25 Prozent. Bei gewerblicher Nutzung werden in der Hauptstadt – je nach Zweck und Grad der baulichen Ausnutzung – 1,5 bis 3,25 Prozent verlangt.
Auch auf Bundesebene interessant
Die Stadt München legte in ihrem wohnungspolitischen Handlungsprogramm „Wohnen in München VI“ fest, dass sie bis 2021 mehr Grundstücke im Erbbaurecht vergeben möchte, um langfristig bezahlbaren Mietwohnungsbau zu sichern. Wohl jede Kommune, die mit steigenden Mieten und Kaufpreisen zu kämpfen hat, befasst sich aktuell mit dem Erbbaurecht, sagt Hans-Christian Biallas, Präsident des Deutschen Erbbaurechtsverbands.
Die üblichen Laufzeiten von Erbbaurechten bewegen sich in Deutschland zwischen 50 und 99 Jahren. Eine vorzeitige Kündigung ist für beide Seiten ausgeschlossen. Es durch einvernehmliche Aufhebung, durch Zeitablauf oder durch den so genannten Heimfall – zum Beispiel im Zuge einer Zahlungsunfähigkeit des Erbbaurechtsnehmers. Grund und Boden auf der einen und die darauf errichteten Gebäude auf der anderen Seite werden im Erbbaurecht eigentumsrechtlich getrennt. Wer ein Erbbaurecht erwirbt, spart sich also den Kaufpreis für den Grund und Boden.
Das Thema hat auch die Bundesebene erreicht. In ihrer Erklärung zum Wohnungsgipfel im September 2018 kündigte die Regierung an, für bundeseigene Grundstücke die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, um auch das Erbbaurecht nutzen zu können. Außerdem soll die Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ bis Sommer 2019 Vorschläge für eine bessere Baulandpolitik erarbeiten.
Den Dialog führt hier der Deutsche Verband für Wohnungswesen Städtebau und Raumordnung e.V. (DV). Projektleiterin Kathrin Senner sagt auf Anfrage, es gebe in vielen Städten inzwischen ein Umdenken, „aber in der Umsetzungsebene sind wir dünn aufgestellt“. Berlin sei angefragt worden, seine Vorstellungen vorzutragen. „Aber Berlin will sich nicht in den Dialog einbringen, aus welchen Gründen auch immer.“ Immerhin sei sich die „Diskussionsdynamik“ hinter den Kulissen in Berlin derzeit sehr groß, sagt Senner.
Vielleicht ventiliert und diskutiert man hier einen weiteren Vorstoß aus Hamburg, der im Dezember publik wurde: Die Fraktionen der SPD und der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft vom Senat prüfen, ob eine festgelegte Miethöhe mit einer Obergrenze von maximal zehn Euro pro Quadratmeter für eine Bindungsfrist von mindestens zehn Jahren umsetzbar ist.
Reinhart Bünger