Totschlag-Urteil gegen Frauenärzte: „Die rote Linie wurde überschritten"
Zwei Ärzte mussten sich verantworten, weil sie beim Kaiserschnitt einen Zwilling im Mutterleib getötet hatten. Das Urteil: Bewährungsstrafen.
Sie wollten bei der Geburt das Beste für den einen Zwilling. Der andere, der an einer schweren Hirnschädigung litt, sollte nicht geboren werden. Kaliumchlorid kam im Kreißsaal zum Einsatz. Mehr als neun Jahre später wurden die beiden Frauenärzte, die dafür verantwortlich waren, verurteilt. „Es ist gemeinschaftlich begangener Totschlag“, entschied das Landgericht Berlin am Dienstag. Gegen die 58-jährige Oberärztin Babett R. ergingen ein Jahr und sechs Monate Haft auf Bewährung. Klaus V., ein 73-jähriger Chefarzt im Ruhestand, erhielt ein Jahr und neun Monate auf Bewährung.
- Überblick zum Berliner Urteil gegen Frauenärzte: Eine Oberärztin und ein Chefarzt haben während einer Geburt einen Zwilling mit Hirnschädigung getötet, nach eigener Aussage um die Chancen des Geschwisterbabys zu verbessern.
- Die Ärzte gingen davon aus, dass sie eine legale Spätabtreibung vornehmen würden. So argumentierte auch ihre Verteidigung im Prozess.
- Die Staatsanwaltschaft dagegen wertete die tödliche Injektion als Totschlag: Aus ihrer Sicht wurde aus dem Fötus in dem Moment ein Mensch, als während des Kaiserschnitts der Uterus geöffnet wurde.
- Der Argumentation folgte nun das Berliner Landgericht: Die Oberärztin wurde zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, der Chefarzt im Ruhestand zu einem Jahr und neun Monate, ebenfalls auf Bewährung.
- Es wird erwartet, dass der Rechtsweg voll ausgeschöpft wird, und dass der Fall am Ende vom Bundesgerichtshof entschieden wird.
Zwei Mediziner mit glänzenden Karrieren, die nun deutliche Worte zu hören bekamen. „Sie haben sich am 12. Juli 2010 ganz bewusst über geltendes Recht hinweggesetzt“, sagte der Vorsitzende Richter Matthias Schertz. Die Mediziner hätten den tödlichen Eingriff vorgenommen, obwohl von dem kranken Zwilling keine Gefahr für das gesunde Kind und die Mutter ausgegangen sei. Die beiden Ärzte hätten der Mutter die Zusage gemacht, nur das gesunde Kind zur Welt zu bringen. Diese Vereinbarung hätten sie umsetzen wollen – „koste es, was wolle“. Und sie hätten damit „die rote Linie überschritten“.
Auch ein „Schlag ins Gesicht behinderter Menschen"
Geradezu vernichtend ist die Einschätzung des Gerichts. Die Angeklagten hätten gewusst, dass eine Tötung des kranken Zwillings nach Eröffnung des Uterus nicht mehr zulässig war. „Auch Feld-, Wald- und Wiesenärzte wissen, dass es verboten ist, ein Kind im offenen Mutterleib totzuspritzen.“ Was die Angeklagten taten, sei keine späte Abtreibung gewesen. Heftig die Worte des Richters: „Ein Aussortieren eines kranken Kindes am offenen Mutterleib – das ist nicht hinnehmbar.“ So etwas wäre auch ein Schlag ins Gesicht behinderter Menschen.
War es ein erlaubter Spätabbruch oder ein Totschlag? Wann wird aus einem Fötus ein Mensch? Um diese Fragen ging es im Prozess. Die Angeklagten hatten erklärt, sie seien davon ausgegangen: „Solange der Fötus im Uterus ist, ist es ein Fötus – und wir sind auf der sicheren Seite.“ Eine rechtliche Beratung hätten sie nicht eingeholt. Einer der Verteidiger wies darauf hin, dass im Zivilrecht die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt beginne. Das Strafrecht aber stelle auf den Beginn der Geburt ab. Es sei eine „normative Korrektur“ erforderlich, sagte der Anwalt. Nun befand das Gericht: „Das ist nicht Sache der Ärzte, sondern des Bundestags.“
Zu dem ungewöhnlichen und tragischen Fall kam es im Juli 2010. Eine 27-jährige Frau, die zunächst in Hamburg behandelt worden war, wurde in der 29. Schwangerschaftswoche an das Klinikum Neukölln überwiesen. Eine Hochrisikoschwangerschaft war es, denn die Föten teilten sich die mütterliche Plazenta. „Diese Kinder sind auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden“, sagte ein Experte im Prozess.
Es kam zu erheblichen Komplikationen. Und bei einem der Mädchen wurde eine massive Hirnschädigung festgestellt. Nach ärztlicher Beratung entschieden sich die Eltern für eine Tötung des kranken Zwillings. Eine medizinische Indikation für einen Spätabbruch lag vor. Eine Geburt per Kaiserschnitt. So war es geplant. So wurde es durchgeführt, als in der 32. Schwangerschaftswoche Wehen einsetzten.
Gericht folgte Plädoyer der Staatsanwältin
„Ein selektiver Fetozid durch die Bauchdecke wäre möglich gewesen und danach der Kaiserschnitt“, stellte dagegen das Gericht fest. Dieses Vorgehen wäre zwar „mit einem gewissen Risiko“ für den gesunden Zwilling verbunden gewesen. „Aber so ist die Rechtslage.“ Um jegliches Risiko auszuschließen, wäre nur die Geburt beider Kinder geblieben.
Mit Eröffnung des Uterus beginne im rechtlichen Sinne „das Menschsein und das Leben“, hatte die Anklägerin argumentiert. Was die beiden Ärzte taten, sei verboten gewesen. Um kein Risiko einzugehen, wäre die Alternative gewesen: „Zwei lebende Babys – eins gesund, das andere behindert“. Die Staatsanwältin hatte auf Bewährungsstrafen und auf Totschlag in einem minderschweren Fall plädiert. Das Gericht folgte dem.
Die Angeklagten seien sich wegen ihrer herausgehobenen Stellung sicher gewesen, dass „niemand aufbegehren wird“, sagte der Richter. Doch es war im Sommer 2013 zu einer anonymen Anzeige gekommen, die den Fall ins Rollen brachte. Als Mitarbeiter einer Berliner Geburtsklinik könne er die dort praktizierten Spätabtreibungen nicht mehr hinnehmen, schrieb der Verfasser. Der Anzeige lag ein Operationsbericht vom 12. Juli 2010 bei.
Gegen den Professor als damaligen Vorgesetzten erging nun die höhere Strafe. Zudem habe sich die Oberärztin im Prozess „einsichtiger“ gezeigt, entschied das Gericht. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, drohe ihr der Verlust der Approbation. Die Verteidiger kündigten bereits Rechtsmittel an. So wird der Fall am Bundesgerichtshof (BGH) landen.
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