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Kinder sind oft Opfer von Missbrauch.
© DPA

Untersuchung ergibt erschreckendes Ergebnis: Die meisten Schulen haben kein umfassendes Konzept gegen Missbrauch

Jedes dritte Heim in Deutschland hat ein Schutzkonzept gegen Missbrauch. Bei den Schulen dagegen sind es nur 13 Prozent, zeigt ein Monitoring.

Die Statistik ist erschreckend: Im Schnitt sitzen in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die Opfer von sexuellem Missbrauch oder sexueller Gewalt geworden sind. Und der Kampf gegen diese Gewalt ist noch längst nicht effektiv.

In Kitas, Schulen, Sportvereinen, religiösen Einrichtungen oder auch Arztpraxen gibt es noch viel zu wenig Möglichkeiten, präventiv zu agieren oder Opfern angemessen zu helfen. Das hat jetzt eine aktuelle Untersuchung ergeben, die das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in Zusammenarbeit mit Johannes-Wilhelm Rörig, dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs erstellt hat.

Die Ergebnisse sind ernüchternd: Unter den untersuchten Heimen haben, nach eigener Einschätzung, nur 33 Prozent ein umfassendes Schutzkonzept, bei den Kitas sind es nur 22 Prozent, und ganz am Ende rangieren die Schulen mit gerade mal 13 Prozent. Die Daten wurden zwischen 2015 und 2018 in rund 5000 Einrichtungen erhoben.

Immerhin: Die Zahlen sind besser als bei einer gleichlautenden Untersuchung 2013. Zu einem umfassenden Schutzkonzept gehören Präventionsangebote, Fortbildungen, die Dokumentation von Verhaltensregeln bei einem Verdacht oder bei einem erwiesenen Missbrauch oder auch die Möglichkeit, dass sich Kinder und Jugendliche in effektiver Weise beschweren können.

Kleine Fortschritte, aber es ist noch viel zu tun

Sabine Walper, die Forschungsdirektorin des DJI, die mit Rörig die Studienergebnisse vorstellte, sagte: „Wir verzeichnen zwar Fortschritte, aber wir haben noch einiges zu tun. Da müssen noch viel mehr umfassende Schutzkonzepte entwickelt werden.“

Johannes-Wilhelm Rörig war vor allem frustriert, „dass die Schulen das Schlusslicht bei den Schutzkonzepten sind“. Bei keiner anderen Einrichtung habe man so viele Abwehrkräfte festgestellt wie gerade hier. Eltern wehrten sich gegen Schutzkonzepte, weil sie Angst hätten, mit diesem Schritt würde eine Schule stigmatisiert und als gefährdet dargestellt. „Da werden Ängste geschürt“, sagte Rörig. Und Verantwortliche im Schulbereich zeigten keine großen Aktivitäten, weil sie sich von der Vielzahl von Schulreformen ohnehin überfordert fühlten.

Rörig sagte mit Blick auf die Kultusminister der Länder: „Schulen dürfen mit der Herausforderung, Schutzkonzepte zu entwickeln, nicht allein gelassen werden.“ Er forderte, Schulgesetzte zu reformieren und verpflichtend Schutzkonzepte einzuführen. Die jeweiligen Länder müssten den Schulen dafür die finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung stellen.

Soziale Medien sind ein neues Problemfeld

Ein neues Problem beim Thema sexueller Missbrauch und sexuelle Gewalt, sagte Rörig, sei die Nutzung der sozialen Medien. Der Austausch sexuelle Missbrauchsabbildungen habe enorm zugenommen. Auch Jugendliche würden sexualisierte Bilder von sich an jemand weiterleiten, und oft genug landeten diese Bilder dann in der Schul-Community.

Rörig nützte die Vorstellung eines solcher Studie erneut auch für Appelle und Forderungen an die Politik. So sollte seiner Ansicht nach in jedem Land ein Missbrauchsbeauftragter installiert werden. Diese Forderung hatte er auch schon bei Treffen mit allen Kultusministern der Länder gestellt, war dabei aber auf wenig Verständnis gestoßen.

„Die Politik darf es nicht bei politischem Aktionismus belassen und sich von Skandal zu Skandal hangeln und darauf hoffen, dass das Thema irgendwann nicht mehr auf dem Tisch der Politik landet.“ Er sprach dabei explizit die Missbrauchsfälle in Staufen und Lügde an, die angesichts ihrer Dramatik bundesweit für Entsetzen gesorgt hatten.

Beim Kampf gegen den sexuellen Missbrauch habe sich „die Tür einen Spalt geöffnet“, sagte Rörig, „aber das „Engagement muss drastisch erhöht werden“. Und zum Nulltarif ist so ein Engagement auch nicht zu stemmen. „Wenn wir in allen Einrichtungen Schutzkonzepte einführen und die personellen Voraussetzungen dafür schaffen wollen, dass sowohl Prävention als auch Opferschutz gut funktionieren, reden wir von einer dreistelligen Millionensumme“, sagte Rörig.

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