Kindeswohl: 3000 Schulen sollen Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt erhalten
Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, fordert erheblich mehr Engagement im Kampf um Kindeswohl.
Johannes-Wilhelm Rörig erklärt mal kurz den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Die Theorie: „Kindeswohl ist eine staatliche Pflichtaufgabe.“ Die Praxis aber, stellt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung frustriert fest, lautet: „Sexuelle Gewalt wird noch immer nicht umfassend bekämpft.“ In Zahlen ausgedrückt: Mehr als 13 000 Straf- und Ermittlungsverfahren wegen sexueller Gewalt gibt es in Deutschland pro Jahr. Die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen.
Und damit Missbrauch intensiver bekämpft wird, hat Rörig jetzt ein umfassendes Programm vorgestellt, so rechtzeitig, dass die Punkte vor der Bildung einer neuen Regierung von den betroffenen Parteien behandelt werden können. Mit CDU, CSU, Grünen und FDP hat es bereits Gespräche gegeben.
Einer der Punkte des Programms ist die Prävention. Der Missbrauchsbeauftragte fordert Schutzkonzepte in bundesweit 3000 Schulen, als Pilotprojekt. Jede Schule soll 5000 Euro als Anschubfinanzierung erhalten. Sollten die Konzepte greifen, sollen sie in allen Schulen in Deutschland eingerichtet werden. Die gleichen Konzepte sollen in 2000 Kitas sowie in 1000 Kliniken und Praxen gelten.
Rörig fordert auch eine Reform des Opferentschädigungsgesetzes. Betroffene seien mit zu hohen bürokratischen Hürden konfrontiert. Sie müssten nicht nur detailliert einen Nachweis der Tat erbringen, sondern auch eine Kausalität zwischen Missbrauch und späteren gesundheitlichen Problemen nachweisen. Das aber sei für viele Opfer „unzumutbar und retraumatisierend“.
Die Hürden müssten erheblich gesenkt werden. „Es ist für Betroffene von sexueller Gewalt besonders schwer nachzuweisen, dass sie Opfer in der Kindheit wurden“, sagt Rörig. „Die Tat liegt oft Jahre oder Jahrzehnte zurück, meist gibt es keine unmittelbaren Zeugen.“ Rörig denkt an eine Stiftung, die allen Betroffenen schnell und unbürokratisch Hilfe gewährt. „Betroffene sollten frühzeitig eine kostenlose rechtliche Beratung erhalten, ob ihr Antrag Aussicht auf Erfolg hat.“
Ein Problem stellt für Rörig auch die aus seiner Sicht bislang mangelhafte Zusammenarbeit zwischen Forschung, Fachpraxis und Politik dar. Nun soll es ein Bündnis aller Beteiligten geben, das Forschungserkenntnisse zusammenträgt und Konsequenzen zieht.
Rörig hat auch die digitalen Medien im Blick. Dort lauerten die Gefahren im Cybergrooming, Exhibitionismus oder der unfreiwilligen Konfrontation mit pornografischen Bildern, sagt er. 25 Millionen Euro möchte Rörig in den digitalen Kinder- und Jugendschutz im schulischen Alltag investieren. Weitere zehn Millionen Euro sollen für eine wirksame Prävention aufgewendet werden.
Rörig fordert seit Jahren neue Maßnahmen, aber die Umsetzung verläuft nur schleppend. Er sagt dazu: „Es gibt einen Verdrängungsmechanismus. Vielen ist das Thema unangenehm. Und andere erkennen nicht, wie schrecklich die Zahlen sind.“ 2016 gab es in Deutschland 5687 Ermittlungsverfahren zu Kinderpornografie und 12 019 zum Missbrauch von Kindern. 1161-mal wurde wegen des Missbrauchs von Jugendlichen ermittelt. Noch eine andere Zahl: Als sich ein Polizist in einem einschlägigen Chat als Kind ausgab, registrierte er innerhalb von acht Tagen 400 strafbare Handlungen von Nutzern.
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