Europawahl in Brandenburg: Die Mark driftet auseinander
Nach der Europa- und Kommunalwahl: Wie die AfD drei Monate vor der Landtagswahl Brandenburgs politische Landkarte verändert.
Nur noch drei Monate. Und Brandenburg steuert am 1. September auf die wohl dramatischste Landtagswahl seit 1990 zu, nachdem die AfD aus der Europawahl am Sonntag hier als Sieger hervorging und die Rechtsaußenpartei auch bei der Kommunalwahl am stärksten zulegen konnte.
Dagegen hält der Sinkflug der von Regierungschef Dietmar Woidke geführten Sozialdemokraten, die in Brandenburg bislang immer den Ministerpräsidenten stellten, weiter an. Und die Union, die mit Herausforderer Ingo Senftleben die frühere rote Hochburg nach dem Bremer Vorbild im Herbst erobern will, lag bei der Kommunalwahl zwar vorn – aber schwächer als erhofft. Wie geht es in Brandenburg jetzt weiter?
Neue Ausgangslage für Brandenburg-Wahl
Die Broschüren, die Landeswahlleiter Bruno Küpper am Montag verteilte, waren druckfrisch. Ausgezählt wurde in Brandenburg bis morgens um vier, am längsten in Stahnsdorf. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis hat die CDU die Kommunalwahl in Brandenburg gewonnen, genauer: die Wahl der vierzehn Kreistage und der vier Parlamente der großen kreisfreien Städte – wie bereits 2014, diesmal mit 18,3 Prozent.
Dabei musste die Union aber Verluste von 6,5 Prozent hinnehmen, SPD und Linke auch. Auf die SPD mit 17,7 Prozent folgt die AfD – 2014 noch bei 2,9 Prozent – mit 15,9 Prozent, die Linken mit 14,1 Prozent. Die Grünen fuhren mit 11,1 Prozent ihr bestes Ergebnis in den Rathäusern überhaupt ein. Der Ausgang zeigt, dass die AfD inzwischen in der Mark kommunal verankert, der Wahlsieg bei der Europawahl in Brandenburg kein Ausreißer ist.
Dort lag die AfD nach dem Endergebnis mit 19,9 Prozent vor Union (18,0), SPD (17,2) sowie Grünen und Linken (je 12,3). Der Vormarsch der Blauen korrespondiert mit ersten Ergebnissen aus Dörfern, in denen Gemeindevertretungen gewählt wurden: Laut Küpper sieht es nach Auszählung von zwei Dritteln der Wahlbezirke auf Gemeindeebene so aus, dass auch dort die CDU (16,9 Prozent) gewann, vor SPD (15,4), Linken (13,3) und der AfD mit 11,3 Prozent. Zum Vergleich: 2014 holte die AfD noch zwei Prozent. Die Grünen, die vor zehn Jahren in der Mark vor der Fünf-Prozent-Marke zitterten, legten auf allen Ebenen stark zu.
Der AfD-Süden
Trotz des Sieges bei der Europawahl schickt Brandenburgs AfD keinen Abgeordneten nach Brüssel – wegen der schlechten Platzierung auf der Bundesliste. Deutschlandweit holte die AfD 11 Prozent – ohne die Ergebnisse aus Brandenburg und Sachsen wäre es ein einstelliges Ergebnis gewesen. Der Süden und Osten Brandenburgs, die Kohle-Regionen an der Grenze zu Sachsen, sind AfD-Land. Die Landkarte ist dort tiefblau.
In Spree-Neiße, wo sie für Europa 31 Prozent holte, ist die AfD im Kreistag mit 26,5 Prozent stärkste Kraft. In Cottbus, wo die AfD die flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen des Vereins „Zukunft Heimat“ unterstützte, ist die AfD mit 24,6 Prozent stärkste Kraft im Stadtparlament – mit fast mit zehn Prozent Vorsprung vor CDU und SPD. In Oberspreewald Lausitz hat die AfD bei der Europawahl mit 26,5 Prozent gewonnen, im Kreistag stellt sie mit 19,6 Prozent hinter nach der SPD die zweitstärkste Fraktion.
Es sind jene Regionen, die vom beschlossenen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2038 – bislang wirtschaftliches Standbein der Lausitz – betroffen sind. In Forst, der Heimatstadt von Ministerpräsident Dietmar Woidke, wurde die AfD mit 30 Prozent stärkste Kraft im Stadtparlament. Fraktions- und Parteichef Andreas Kalbitz gab am Montag für die AfD daher das Ziel aus, auch bei der Landtagswahl stärkste Partei zu werden.
Vize-Parteichef Daniel Freiherr von Lützow, der Schulungen für Mandatsträger und Kandidaten organisiert, wertete das Ergebnis als Scheitern der Ausgrenzung der AfD durch Medien und Parteien. Die Menschen würden erkennen, dass die AfD nicht aus rechtsradikalen Skinheads bestehe, sondern eine Partei aus der Mitte der Bevölkerung sei.
Insel Potsdam
Die Landeshauptstadt wählt erneut anders als Brandenburg: Die Europawahl gewannen wie in Berlin die Grünen. Wie bei der Oberbürgermeisterwahl, die SPD-Hoffnungsträger Mike Schubert gegen den Landes- und Bundestrend gewann, lag bei der Kommunalwahl die SPD vorn. Die politischen Koordinaten haben sich verschoben. Die Linken, die nach 1990 viele Jahre stärkste Kraft waren, fielen auf Platz Drei.
In Potsdam sind jetzt die Grünen zweitstärkste Kraft. In den vier großen Leuchtturm-Städten zeigt sich, wie das Land politisch auseinanderdriftet: Potsdam bleibt SPD-Bastion, in Brandenburg/Havel wurde die CDU erneut stärkste Kraft, in Frankfurt (Oder), wo Linke-Oberbürgermeister Rene Wilke regiert, gewannen die Linken – und Cottbus fiel an die AfD. Das ist genau der politische Vierkampf von SPD, CDU, AfD und Linken im Landesmaßstab.
Wie Verlierer mit der Niederlage umgehen
Bei den Kommunal- und Europawahlen haben im Vergleich zu 2014 SPD, CDU und Linke an Zustimmung verloren. SPD-Generalsekretär Erik Stohn erklärte, das Ergebnis mache nachdenklich, Konsequenz müsse sein, „raus, raus, raus zu den Leuten.“ Fehler von SPD und Regierung, die zu dem Debakel beitrugen, sah er nicht.
Linke-Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg dagegen räumte Versäumnisse ein. Die Regierung habe sich nicht genügend um Themen wie Wohnen, Pflege, Gesundheit gekümmert. „Wir haben einen Denkzettel bekommen“, sagte CDU-Generalsekretär Steven Bretz: Er rede nicht über andere, sondern über Fehler der Union. Dazu gehöre das Erscheinungsbild der Groko, der Bundespartei, etwa der Umgang mit den Klimaprotesten „Fridays for Future“ oder dem Video des Youtubers Rezo. Gleichwohl habe die Union alle Chancen, „die Landtagswahl zu gewinnen“, sagte er.
Unterschätzte Freie Wähler
Bayern lässt grüßen. Man sollte die Freien Wähler auf dem Zettel behalten. Bei der Kommunalwahl holten die Freien Wähler, unter deren Dach im Land mehr als 80 Bürgerinitiativen – gegen Windkraft, den BER oder Abwassergebühren – antraten, 6,2 Prozent. Nur auf 4,9 Prozent kam die FDP, die den Wiedereinzug in den Landtag schaffen will.
Regierungsbildung wird schwierig
In Brandenburg zeigt sich die Erosion der traditionellen Volksparteien. Die politische Stimmungslage hat sich fundamental verändert und ist labil. Bei den Kommunalwahlen kommen SPD, CDU und Linke – die drei Großen von einst – zusammen gerade auf 50,1 Prozent. Setzt sich der Trend fort, könnte es nach der Landtagswahl womöglich nicht einmal mehr für eine Dreier-Koalition reichen.
Dann müsste die Landesregierung aus vier Partnern gebildet werden, mit Konstellationen, die es im Land noch nie gab – bunte Republik Brandenburg. Grünen-Landeschefin Petra Budke gab als Ziel aus, dass „ohne uns keine Regierung gebildet werden kann“. Derart knappe Konstellationen könnten dazu führen, dass ein Wahlsieger nicht zwangsläufig den Ministerpräsidenten stellen muss.
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