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Selbst Regie führen. Manche Therapien zielen darauf ab, wiederkehrenden Albträumen bewusst ein Happy End zu geben.
©  dpa

Träume und Alpträume: Die Macht der Nacht

Jeder hat sie, manchmal werden sie sehr belastend: Wie man mit Träumen und Albträumen umgeht – und das nächtliche Kopfkino sogar positiv für sich nutzen kann.

Franz Kafka, E.T.A. Hoffmann, Lewis Carroll – viele Künstler ließen sich von Träumen inspirieren. Der expressionistische Maler Emil Nolde schrieb: „Träume können Empfindungen, Szenen und Bilder so eindringlich und schön gestalten, wie der wache Künstler es nicht kann.“ Aber warum träumen wir eigentlich? Darüber streiten Traumforscher noch heute. Für Freud, der mit „Die Traumdeutung“ (1899) als Pionier gilt, sind Träume Ausdruck des Kampfes zwischen Es, dem triebgesteuerten Teil der Psyche, und Über-Ich, der moralischen Kontrollinstanz. Das Über- Ich ist eine knallharte Zensurbehörde. Wünsche und Fantasien des Es müssen den moralischen Ansprüchen des „inneren Zensors“ genügen – und Träume deshalb dechiffriert werden. Freud etwa interpretierte Türme als phallische Symbole. Eine Theorie, die heute kaum noch ernst genommen wird.

Die wissenschaftliche Traumforschung führte lange ein Schattendasein – nicht zuletzt wegen Allan Hobson. Der amerikanische Schlafforscher und Psychiater degradierte 1977 das nächtliche Kopfkino zu sinnlosem Synapsengeflimmer. Träume seien nichts weiter als wirre elektrische Impulse des schlafenden Hirns. Doch im Alter von 68 Jahren dachte Hobson, der als Koryphäe der Schlafforschung gilt, noch einmal radikal um – nachdem er einen Schlaganfall überlebt hatte. Zehn Tage lang litt er unter Schlaflosigkeit und Halluzinationen. Erst als seine Träume wiederkamen – 38 Tage, nachdem in seinem Hirnstamm eine Arterie geplatzt war –, lernte der bis dahin gelähmte Mann wieder zu laufen. Seitdem ist er überzeugt, dass Träume eine Funktion haben. In Anlehnung an den französischen Schlaf- und Traumforscher Michel Jouvet geht Hobson davon aus, dass sie eine eigene virtuelle Realität simulieren, in der wir für das Wachleben trainieren, frei von moralischen Geboten und physischen Grenzen. Denn der präfrontale Cortex – jenes Hirnareal, das für kritisches Denken, Logik, Sinn und Moral zuständig ist – gönne sich beim Träumen eine Auszeit, während andere Gehirnteile hellwach sind.

Wer sich mit seinen Träumen beschäftigt, profitiert davon im Alltag

„Für diese Theorie spricht, dass Neugeborene sehr viel REM-Schlaf haben, also die Phase, in der am intensivsten geträumt wird“, sagt Michael Schredl, Traumforscher und Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. „Also liegt die Vermutung nahe, dass hier wichtige Entwicklungen passieren.“ Aber träumen ist nicht nur für Heranwachsende wichtig. „Wer sich mit seinen Träumen beschäftigt, kann davon im Alltag profitieren“, sagt Schredl. Die nächtlichen Filme können uns viel über unsere Persönlichkeit, Stärken und Schwächen verraten. Nur bedarf es dazu keiner Traumdeutungsbücher. „Es geht nicht um einzelne Symbole oder Bilder, sondern um die Grundmuster eines Traumes“, so der Forscher. Im Traum durchleben wir Situationen oder Gefühle, die uns im Wachleben beschäftigen, oft Ängste. Die Klassiker: ins Bodenlose stürzen, verfolgt werden, gelähmt sein, zu spät kommen. „Verfolgungsträume signalisieren häufig, dass ich mich einer Angst nicht stelle.“ Solche Albträume – Namensgeber sind die Alben, kleine, oft bösartige Elfen der germanischen Mythologie – können sehr belastend sein. Besonders Kinder werden heimgesucht. 70 bis 90 Prozent aller jungen Erwachsenen berichten von Albträumen aus der Kinder- und Jugendzeit. Belastende Träume sind nichts Ungewöhnliches. „Treten sie allerdings einmal pro Woche oder häufiger auf, sollte man über eine Behandlung nachdenken.“ Fünf Prozent der Kinder und Erwachsenen sei von wiederkehrenden Nachtschrecken betroffen, schätzt Schredl.

Albträume haben meist eine Ursache in der Wachwelt. Manche Erlebnisse wie Vergewaltigung, Unfälle oder Kriegserlebnisse sind so traumatisch, dass sie die Bewältigungsfähigkeit eines Menschen übersteigen und sich in die Psyche einbrennen. Mediziner nennen das posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Doch Betroffene können lernen, sich gegen die nächtlichen Schrecken zu wehren. „Dazu muss man sich aber mit dem Albtraum auseinandersetzen“, sagt Schredl. Der US-Schlaf- forscher Barry Krakow entwickelte in den 1990er Jahren die Imagery Rehearsal Therapy (IRT). „Grundprinzip ist, sich die Traumgeschichte vor Augen zu führen und neu zu schreiben.“ Das klappt in drei Schritten: Der Traum wird aufgeschrieben oder auch gezeichnet, dann mit einem neuen Ende versehen. So soll der oder die Träumende die Regie des nächtlichen Films übernehmen und selbst für ein Happy End sorgen. Im dritten Schritt muss die neue Bewältigungsstrategie eingeübt werden. Dabei stellt sich der Albtraumgeplagte die neue Fassung möglichst bildhaft täglich fünf bis zehn Minuten lang vor. So wird der Albtraum in eine harmlose Geschichte verwandelt. Das kann sich auch positiv auf das Verhalten am Tage auswirken. Denn wenn man sich im Traum den eigenen Ängsten stellt, schöpft man daraus auch Kraft für den Tag. „Das Wach-Ich stärkt das Traum-Ich und umgekehrt.“

Manchen Träumenden ist bewusst, dass sie träumen. Das kann man steuern.

Selbst Regie führen. Manche Therapien zielen darauf ab, wiederkehrenden Albträumen bewusst ein Happy End zu geben.
Selbst Regie führen. Manche Therapien zielen darauf ab, wiederkehrenden Albträumen bewusst ein Happy End zu geben.
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Träume können aber auch richtig Spaß machen – wenn man Regie führt. Denn es gibt Träume, in denen sich der Schlafende bewusst wird, dass er träumt. Wissenschaftler nennen das einen Klartraum oder luziden Traum. Lange Zeit galten solche Träume als Hirngespinst und Esoterik. Klarträumer und Klartraumforscher konnten dem Zweifel keine wissenschaftlichen Beweise entgegensetzen. Denn wie sollten sie belegen, dass die Probanden während des Träumens wirklich im Besitz ihres vollen Bewusstseins waren und sich die Geschichte nicht nach dem Aufwachen ausdachten? Zwar können Traum- und Schlafforscher heute mithilfe des Elektroenzephalografen (EEG), der Gehirnströme aufzeichnet, erkennen, ob jemand träumt. „Aber keine Messtechnik der Welt kann aufzeichnen, was ein Mensch träumt.“ Trotzdem gelang der Durchbruch Ende der 1970er Jahre gleich zwei Wissenschaftlern unabhängig voneinander: dem Briten Keith Hearne und dem Amerikaner Stephen LaBerge. Beide machten sich eine Besonderheit des Traumschlafes zunutze. Die Rapid-Eye-Movement-Schlafphase (REM-Schlaf) verdankt ihren Namen schnellen Augenbewegungen unter den geschlossen Augenlidern. Die Augenbewegungen folgen den Traumerlebnissen. Blickt der Träumende nach rechts, folgen auch die Augäpfel. Was lag also näher, als den Klarträumer eine Botschaft aus dem Schlaf senden zu lassen, in dem er seine Augen mehrere Male stark von links nach rechts bewegte? Hearne und LaBerge zeichneten die Augenbewegung mit einem Elektrookulografen (EOG) auf – und konnten so tatsächlich das vereinbarte Signal messen. Der Nachweis war erbracht.

Klarträume sind eine eigenartige Mischung aus schlafen und wachen. Während der präfrontale Kortex normalerweise nachts heruntergeregelt ist, erwacht er, wenn wir luzide träumen. Dem Träumenden fallen Unstimmigkeiten auf: merkwürdig proportionierte Gegenstände, absurde Traumhandlungen oder – ein Klassiker – dass man fliegen kann. Er erkennt: Das muss ein Traum sein! Das Positive: Klarträumen kann man trainieren. Schredl und LaBerge stellen in ihren Büchern Methoden dazu vor. Eine Übung besteht darin, das kritische Denken im Wachzustand zu schulen, damit es auch im Traum zur Verfügung steht. Dazu stellt sich der Übende mehrmals am Tag die Frage: Träume ich oder bin ich wach? Wichtig ist, diesen Realitätscheck ernsthaft zu prüfen: Was habe ich in den letzten zehn Minuten getan? Ist meine Umgebung, wie sie in der Wachrealität sein sollte, oder enthält sie bizarre Elemente? Wenn diese Übung oft trainiert wird, hinterfragt der Träumende früher oder später auch die Traumrealität kritisch – und erlangt klares Bewusstsein im Traum. Der Heidelberger Sportwissenschaftler Daniel Erlacher hat in einer kleinen Pilotstudie gezeigt, dass sich Klartraumtraining möglicherweise auch auf sportliche Erfolge auswirken könnte.

Auch in der Psychotherapie könnten luzide Träume eingesetzt werden. Für eine Albtraumtherapie sind sie laut Schredl jedoch nur zweite Wahl. Es kann Monate dauern, diese Technik zu beherrschen, manche lernen sie nie. Die Imagery Rehearsal Therapy lasse sich hingegen leicht und schnell erlernen. Die meisten luziden Träumer nutzen die nächtlichen Abenteuer aber „just for fun“. „Obwohl es keine systematischen Untersuchungen dazu gibt, wäre es durchaus plausibel, dass positive Träume auch den Tag versüßen.“

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