zum Hauptinhalt
Weiße Nächte: Sich unruhig hin- und her wälzen.
© dpa

Schlafforschung: Na dann: Gute Nacht

Wer schlecht oder wenig schläft, schadet seiner Gesundheit und lebt kürzer. Das ist inzwischen auch wissenschaftlich belegt. In Berlin gibt es mehrere Institutionen, die sich dem Thema widmen. Ein Besuch an der Charité und beim Staatsballett.

Wer kennt sie nicht, die weißen Nächte, in denen wir trotz Erschöpfung nicht zur Ruhe kommen, die Gedanken kreisen, und sich der Schlaf einfach nicht einstellen will. Am nächsten Morgen stehen wir gerädert auf und gehen schon in den ersten Stunden des Tages kraftlos zu Werke.

Jeder Dritte in Deutschland schläft schlecht, leidet an Schlafmangel oder einer Schlafstörung. Und die Zahl nimmt stetig zu. Dies beobachten zumindest die Forscher am interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum der Charité. „Es sind nicht nur immer mehr Menschen, die zu uns kommen,“, sagt Ingo Fietze, Leiter am Schlafzentrum Berlin, „sondern die Patienten werden auch immer jünger“.

Die Mediziner beschäftigen sich mit der Diagnose und Therapie von Schlafstörungen, die sich in sechs Gruppen zusammenfassen lassen. Die wohl bekannteste sind die Schnarcher. Von diesen schlafbezogenen Atemstörungen sind vor allem Menschen ab dem 45. bis 50. Lebensjahr betroffen. Die meisten Patienten leiden aber – und das ist eine neuere Entwicklung – inzwischen an Insomnien: Sie können schlecht ein- oder nicht durchschlafen. Davon sind zunehmend Jüngere betroffen. Weitere Formen sind das Syndrom der unruhigen Beine (Restless Legs Syndrome, kurz: RLS), ein Phänomen, mit dem Ältere zu kämpfen haben, und zirkadianische Rhythmusstörungen, bei denen der Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinandergeraten ist, wie man es bei Schichtarbeitern beobachten kann oder bei Geschäftsreisenden, die an Jetlag leiden. Eine weitere Form, die etwas seltener vorkommt, ist das Schlafwandeln, im Fachjargon Parasomnie genannt. Die Mediziner unterscheiden zwischen Tiefschlafwandeln, was hauptsächlich bei jungen Patienten im Alter von 15 bis 30 Jahren vorkommt, und dem Traumschlafwandeln, das erst ab Mitte 50 relevant wird. Und schließlich gibt es noch die pathologische Müdigkeit. Das sind Menschen, die zu viel schlafen, woran wiederum größtenteils junge Patienten leiden.

Im Schlaf erholen sich die Nervenzellen, das Immunsystem wird gestärkt

Die Zunahme an Fällen erklärt der Humanbiologe Thomas Penzel, der die wissenschaftliche Arbeit am Schlafmedizinischen Zentrum der Charité leitet, mit den Lebensumständen in Mitteleuropa: „Wir leben heute in einer 7/24-Gesellschaft“, sagt er, „wir sind allzeit bereit und vergessen den Schlaf“. Seiner Meinung nach glauben viel zu viele Leute daran, dass man Schlaf einsparen kann. Das sei grundfalsch. „Der Schlaf ist etwas Besonderes, man muss ihm Zeit lassen, damit er kommt“, so der Somnologe weiter.

Der Schlafforscher Ingo Fietze bei der Arbeit.
Der Schlafforscher Ingo Fietze bei der Arbeit.
© Björn Kietzmann

Denn wer schlecht oder zu wenig schläft, schadet seiner Gesundheit. Das ist inzwischen wissenschaftlich belegt. Im Schlaf sinkt die Körpertemperatur, der Organismus kommt zur Ruhe, er spart Energie. „Dieses ist notwendig, damit sich die Nervenzellen erholen“, sagt Schlafmediziner Ingo Fietze. Auch das Immunsystem braucht den Schlaf, um sich zu wappnen. Bei zu wenig Schlaf besteht die Gefahr, dass Infektionskrankheiten schwerer verlaufen. Ebenfalls als wissenschaftlich gesichert gilt die Beobachtung, dass Schlafschulden die Lebenserwartung verkürzen. Kurz: „Schlechte Schläfer haben eine kürzere Lebensdauer.“

Der Schlaf altert mit, wie die Haut: Im Alter verlieren beide an Qualität

Weiße Nächte: Sich unruhig hin- und her wälzen.
Weiße Nächte: Sich unruhig hin- und her wälzen.
© dpa

Das Hirn benötigt dringend Tief- und Traumschlaf, denn kein Mensch kann rund um die Uhr Informationen aufnehmen. Diese zu verarbeiten, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, geschieht im Schlaf. Dass ausgeschlafene Menschen besser aussehen, ist bisher zwar empirisch erfasst, aber wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen. Ingo Fietze arbeitet an einer Methode, bisher ist der Nachweis des Schönheitsschlafes jedoch noch nicht erbracht. Dagegen gilt als sicher, dass der Schlaf mitaltert, genauso wie etwa die Haut. Im Alter nimmt er an Qualität ab. Um den Schlaf als Gesundheitsthema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, haben die Forscher um Ingo Fietze vor zweieinhalb Jahren die „Deutsche Stiftung Schlaf“ gegründet. Sie ist noch im Aufbau, hat sich aber zum Ziel gesetzt, präventiv und aufklärerisch zu wirken, damit die Bedeutung des gesunden Schlafes mehr Beachtung findet. Sie bietet Betroffenen Hilfe, unterstützt die angewandte Forschung und will auch Kinder und Jugendlichen dazu bringen, sich stärker Gedanken über die Bedeutung des Schlafs zu machen – auch in Form ungewöhnlicher Projekte.

Wer schläft, macht keine Karriere - so die gängige Meinung

So hat die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Staatsballett vergangenen Samstag ein Tanztheater mit 150 Kindern aus fünf Berliner Schulen auf die Bühne der Staatsoper im Schillertheater gebracht: „Traumkinder. Wenn der Schlaf mit mir tanzen will“. Was haben Schlaf und Tanz miteinander zu tun, mag man sich fragen. Eine Antwort gibt Christiane Theobald, Kulturmanagerin und Gründerin des Vereins „Freunde und Förderer des Staatsballetts Berlin e.V.“ Sie initiierte eine Gesundheitspartnerschaft mit der Charité, aus der eine Studie hervorging, die das Schlaf-Wach-Verhalten der Tänzer untersuchte. Das Ergebnis: Tänzer sind Schichtarbeiter: Sie müssen spätabends physische Höchstleistung bringen und hohen mentalen Stress aushalten. Nach einer Aufführung gehen die Künstler aufgrund ihres erhöhten Adrenalinspiegels nicht gleich ins Bett, müssen aber am nächsten Vormittag wieder zum Training fit sein. Diese Erkenntnis hat zunächst viele im Staatsballett schockiert, denn „wer schläft, macht keine Karriere“, so die gängige Meinung unter den Tänzern. „Andererseits haben wir festgestellt, dass die meisten Unfälle beim Morgentraining passieren“, sagt Theobald. Es lag der Verdacht nahe, dass die Unfälle aus Schlafmangel resultieren. So wurde ein spezieller Ruheraum eingerichtet, in dem die Künstler die Beine hochlegen und einen Mittagsschlaf, neudeutsch „Power-Nap“, einlegen können. „Der Raum wird gut angenommen und permanent genutzt“, sagt Christiane Theobald, die inzwischen auch Mitglied im Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Schlaf ist. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema lag es auch nahe, das Education Programm des Staatsballetts Berlins „Tanz ist klasse“ dem Schlaf zu widmen. So entstand die Idee zu „Traumkinder“.

Neben der Stiftung und der Forschung gibt es in Berlin seit 2010 noch eine weitere Institution: die Schlafakademie Berlin, die eng mit den Schlafmedizinern der Charité zusammenarbeitet. Die Schlafakademie bietet konkrete Hilfe in Form von Seminaren, Coaching oder Workshops zum Thema an. „Es geht uns um ein besseres Verständnis der Rolle unseres Schlafes“, sagt Thea Herold, Schlafcoach und Gründerin der Schlafakademie. Sie klärt auf, etwa über den Ruhe-Aktivitäts-Zyklus eines jeden Menschen. Der entscheidet darüber, wie die für das Leben wichtige Aktivitätsphase mit der Ruhephase zusammenwirkt. Eine chronobiologische Einheit entspricht 24 Stunden, der wir uns nicht entziehen können. Sie ist Realität genauso wie unsere atemlose Arbeitswelt. „Wir sind vom Anfang unseres Lebens chronobiologisch getaktet“, sagt Thea Herold. Wenn man sich das bewusst macht, dann ist es bereits ein erster Schritt zu einem guten Schlaf.

Weitere Informationen unter schlafmedizin.charite.de, www.schlafstiftung.de und www.schlafakademie-berlin.de

Heike Gläser

Zur Startseite