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Foto: Doris Spiekermann-Klaas
© Doris Spiekermann-Klaas

Schlafforscher Ingo Fietze: "Im Hotel baue ich mir mein eigenes Bett"

Ingo Fietze mag weiche Matratzen und schaut zum Einschlafen Talk-Sendungen.Der Experte vom schlafmedizinischen Zentrum der Charité hat viele praktische Tipps, wie jeder gut durch die Nacht kommt

Herr Professor Fietze, es ist erst Mittag, aber richtig wach fühlen wir uns nicht. Frühjahrsmüdigkeit?

Ach, die ist zu großen Teilen ein Mythos. Statistisch schlafen wir im Winter eine halbe Stunde länger. Wenn es dann früher hell wird und die Vögel morgens zu singen beginnen, verkürzt sich der Schlaf. Dieses kleine Defizit nimmt man am Tag als Müdigkeit wahr. Solche Befindlichkeiten betreffen, wenn überhaupt, nur die sensiblen Schläfer, etwa ein Drittel der Bevölkerung.
Sind Sie ein sensibler Schläfer?
Ja, das ist genetisch angelegt. Wer zu dieser Gruppe gehört, schläft in fremden Betten schlechter, stört sich an ungewohntem Lärm und am Schnarchen des Partners. Als Faustregel gilt: Menschen, die sagen, ich träume nicht, sind gute Schläfer – denn sie wachen nicht aus dem Traumschlaf in der zweiten Nachthälfte auf, wo die Weckschwelle gering ist. Wenn einer sagt, ich träume jede Nacht, dann gehört er zu den Sensibleren.
Nach der Wende haben Sie das Schlafmedizinische Zentrum der Charité mit aufgebaut, wo Neurologen, HNO-Ärzte, Psychologen, Kinderärzte und Internisten zusammenarbeiten. Mit welchen Problemen kommen die Leute in Ihre Sprechstunde?
Am Anfang waren es vor allem Schnarcher, auf die folgten die Schlafgestörten, dann die mit den unruhigen Beinen und schließlich die Schlafwandler. Ich erinnere mich an einen Patienten, der im Schlaf immer einen Kopfstand auf seiner Matratze gemacht hat. Am häufigsten kommen Betroffene mit der Kombination aus einer Ein- und Durchschlafstörung, an zweiter Stelle die mit einer reinen Durchschlafstörung. Danach kommen die reine Einschlafstörung und das zu frühe Wachwerden.
Psychologen, so will es das Klischee, ergreifen ihren Beruf, um zuerst sich selbst zu therapieren. Und Sie wollten Ihre Schlafprobleme lösen?
Nein, dass ich Schlafforscher geworden bin, war reiner Zufall. Mein Traumberuf war Meeresbiologe, Jacques Cousteau hat mich fasziniert. Aber ich bin in der DDR groß geworden, da gab es wenige solcher Studienplätze. Es hieß: Du studierst Biomedizin! Das fand ich nicht schlecht, immerhin war da Biologie mit drin. Während des Studiums in Moskau habe ich mich mit Herz-Kreislaufforschung beschäftigt. Nach meiner Rückkehr in die DDR Mitte der 80er konnte ich das nicht fortsetzen, die Technik dafür fehlte. Meine Frau und ich sind an die Charité gegangen, und dort bin ich ins Thema Extremmedizin hineingeraten. Ich sollte in die Antarktis, die DDR unterhielt da eine eigene Station. Und bei der Extremmedizin spielen Schlafen und Wachen immer eine große Rolle.
Schlief man in der DDR anders?
Das wüsste ich gerne, Schlafforschung gab es damals fast keine. Noch heute lernt ein Medizinstudent nicht viel über den Schlaf, im Regelstudiengang ist das nicht im Plan. Ich glaube schon, dass sich der Schlaf verändert hat, auch im Westen. Früher gab es nachts das Testbild im Fernsehen. Es gab weniger Licht, weniger Lärm. Unsere Tage sind länger geworden, hinzu kommt, dass die Gesellschaft immer mehr von uns verlangt, zu allen Zeiten, damit werden mehr Schlafstörungen ausgelöst.
Im 19. Jahrhundert schliefen die Menschen jede Nacht neun Stunden und ...
... heute sind es sieben. Forscher, die vor 30 Jahren junge Menschen in einem Bunker haben leben lassen, wo es kein Licht gab und keine Ablenkung durch Geräusche, kamen auf eine natürliche Schlaflänge von zirka achteinhalb Stunden.

Warum braucht die Giraffe nur ein paar Minuten, der Hund aber 20 Stunden Schlaf am Tag?
Bei den Tieren spielt auch eine Rolle, ob sie sich kalorienarm ernähren: Kuh oder Pferd, die brauchen ihre 20 Stunden Wachzeit, um das ganze Grünzeug, was wenig Kalorien hat, zu fressen. Grundsätzlich ist alles genetisch programmiert. Auch beim Menschen. Sie können aus einem Kurz- keinen Langschläfer machen – und umgekehrt. Beim Morgen- und Abendtyp ist das anders, hier geht es um eine Umgewöhnung.
Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, am wichtigsten sei der Tiefschlaf.

"Die ersten vier Stunden Schlaf sind die wichtigsten"

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Ingo Fietze, Leiter des schlafmedizinischen Zentrums der Charité
© Doris Spiekermann-Klaas

Er ist der Hauptgrund, warum wir überhaupt schlafen. Da gönnt sich das energiefordernde Gehirn seine Auszeit. Man kann das messen: Die Hirnströme sind in dieser Phase vergleichbar mit denen eines komatösen Patienten. Der Tiefschlaf sollte ein bis anderthalb Stunden ausmachen; die ersten vier Stunden Schlaf sind die wichtigsten für den Tiefschlaf. Meinen Studenten sage ich: Wenn Sie nachts aufstehen müssen, um mit dem Auto irgendwohin zu fahren, planen Sie vier Stunden Schlaf ein. Nach dieser Phase ist man relativ erholt, dann hat man zwei 100-Minuten-Zyklen und die größte Portion Tiefschlaf hinter sich. Werden Sie nach fünf Stunden geweckt, kann es sein, dass Sie aus der dritten Tiefschlafphase herausgerissen werden und sich wie erschlagen fühlen.
Wofür ist der Traumschlaf gut?
Für die Psyche. Einer, der einen Computerarbeitsplatz hat, braucht den eher als ein Sportler. Den Entzug von Traumschlaf kann der Körper verkraften, Tiefschlafentzug dagegen nicht. Innerhalb von einer Woche sind Sie so gut wie tot.
Kann man vor- oder nachschlafen?
Bedingt. Denken Sie mal an Ihren Urlaub, wenn Sie endlich die Möglichkeit haben, mal richtig auszuschlafen. Die ersten zwei, drei Nächte schlafen Sie vielleicht wie ein Murmeltier, danach pegelt sich die Schlaflänge wieder ein, auf die siebeneinhalb Stunden, die Sie gewohnt sind. Vorschlafen kann man nur für die nächsten 24 Stunden. Der Nachtarbeiter, der immer bloß vier Stunden kriegt, weil er am Morgen keine Ruhe findet, der sollte, bevor er zur Schicht geht, schlafen oder zumindest ein Nickerchen tätigen.
Sie haben die Tänzer des Berliner Staatsballetts betreut. Schliefen die alle so schlecht?
Der Chef des Freundeskreises hat mich angesprochen. Balletttänzer sind auf ihre Art auch Schichtarbeiter. Die haben unregelmäßige Premieren, keine Wochenenden, einen kaputten Wochenrhythmus. Wir haben 28 Tänzer gemessen und waren selber erstaunt: Die schliefen alle schlecht und zu kurz. Zur Premiere hin nahmen Dauer und Qualität sogar noch einmal ab. Wir konnten die Trainings- und Aufführungszeiten nicht verschieben, aber wir kamen auf die Idee eines Ruheraums, der akustisch und von Licht abgeschirmt ist. Dort konnten sich die Tänzer zwischendurch schlafen legen. Der Raum war ein voller Erfolg, wird sehr gerne genutzt. Im Moment arbeite ich mit Leichtathleten und Bundesliga-Fußballern.

Die kommen dann alle zu Ihnen ins Schlaflabor.
Mittlerweile können wir den Schlaf ganz gut zu Hause messen. Wir setzen Elektroden, und deren Daten laufen alle in eine kleine Box ein, die man am Brustkorb angeschnallt bekommt und die diese Daten wiederum kabellos über W-Lan weitergibt. Wenn wir noch Messungen im Schlaflabor durchführen, dann weil wir den Schlafenden mit einer Kamera überwachen können.
Lassen Sie uns darüber reden, was man tun kann, um den Schlaf erholsam zu gestalten.
Die Zimmertemperatur sollte zwischen 17 und 22 Grad liegen, und es sollte dunkel sein. Ist man ein sensibler Typ, kann es von Vorteil sein, alleine zu schlafen. Ein Partner stört, wenn er Geräusche von sich gibt, nachts rausmuss. Ich schlafe oft allein, weil meine Frau und ich unterschiedliche Aufstehzeiten haben.
Eher mit vollem oder mit leerem Magen ins Bett?
Hungrig schlafen zu gehen, ist ganz schlecht. Aus schlafmedizinischer Sicht spricht nichts gegen ein ordentliches Dinner. Gute Schläfer können abends ein Steak mit Pommes essen. Kohlehydrate machen müde und Eiweiße munter. Wenn man abnehmen will, dann sollte man abends allerdings nicht so viele Kohlenhydrate zu sich nehmen, weil im Schlaf zuerst diese abgebaut werden und erst danach das Fett.
Die optimale Matratze?
Eine interessante Frage, aber zu diesem Thema gibt es weltweit maximal zehn Untersuchungen. Bisher wird für solche Untersuchungen noch zu wenig Geld investiert.
Nicht mal von den Matratzenherstellern?
Die wollen nur ihre Produkte verkaufen. Ich war mal auf einer Möbelmesse, da versprachen die an jedem Stand den besten Schlaf auf Erden – ohne das jemals mit Testpersonen gemessen zu haben. Was man aus den wenigen Studien weiß, ist: Für Schmerzpatienten ist eine Matratze umso besser, je weicher sie ist. Ich mag’s auch nicht hart. In Hotels baue ich mir immer mein eigenes Bett, sehe zu, dass es einigermaßen weich ist.
Was tun Sie, wenn Sie nicht einschlafen können?
Wenn man es in 30 Minuten nicht geschafft hat, kann man davon ausgehen, noch mindestens anderthalb Stunden wach zu liegen. Laut Definition beginnt bei einer halben Stunde eine Einschlafstörung. Man muss nicht unbedingt aufstehen. Macht man Licht an, sollte es nicht zu hell sein. Man kann Musik hören oder ein Buch lesen. Fürs Schäfchenzählen fehlt mir die Muße, ich bleibe im Bett und mache den Fernseher an.
Man liest überall: Kein Fernseher im Schlafzimmer!

"Sex ist ein herrliches Mittel"

Foto: Doris Spiekermann-Klaas
Ingo Fietze, Leiter des schlafmedizinischen Zentrums der Charité
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Ich halte nichts von solchen Tabus. Ich rate auch nicht von Sport oder Alkohol vor dem Schlafengehen ab. Wem ein Bier hilft, der soll eines trinken, Hopfen beruhigt. Zum Einschlafen ist erlaubt, was gefällt. Sex ist ein herrliches Mittel, weil dabei ein Hormon ausgeschüttet wird, das müde macht. Mir helfen auch Talksendungen oder Tierdokus.

Ab wann muss man schlechten Schlaf behandeln?
Derzeit geht die Wissenschaft von ein bis drei Monaten aus. Man sollte sich aber nicht unter Druck setzen, wenn man ein paar Wochen lang Ein- oder Durchschlafprobleme hat, dann klappt es erst recht nicht. Wichtig ist, rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Wer bei uns nach sechs Monaten aufschlägt, für den können wir nicht mehr viel tun – der ist in eine chronische Schlafstörung reingerutscht.
Sie raten in solchen Fällen zu Tabletten, sogenannte Z-Präparate mit Wirkstoffen wie Zolpidem, Zopilon, Zaleplon – als Dauerlösung. Manche Ihrer Kollegen sehen das anders: Forscher um Scott Weich von der Uni Warwick warnen, die Tabletten würden abhängig machen und das Sterberisiko erhöhen.
Es ist populär, so etwas zu schreiben. Das Image von Schlaftabletten ist eben schlecht. Ein Blutdruckpatient, der jeden Tag seine drei, vier Tabletten nimmt, liest nicht so oft in der Zeitung, wie furchtbar das ist. Eine chronische Schlafstörung geht meist nicht mehr weg, für die braucht es, genauso wie für jede andere chronische Erkrankung, eine dauerhafte medikamentöse Behandlung. Ich sage meinen Patienten immer: Sie müssen keine Tablette nehmen – wenn Sie sich jede Nacht quälen wollen, bitte schön!
Ein Renner in den Apotheken ist Hoggar Night...
... das ist ein müde machendes Antihistaminikum, ursprünglich ein Präparat gegen Allergien. Ich empfehle es für die gelegentliche Einnahme, nicht für den chronischen Gebrauch. Man fühlt sich morgens noch müde, und es ist auch nicht sehr gut für die Leber.
Bleiben die von Weich benannten Risiken.
Nein, die Untersuchung ist falsch. Da wurden schlafgestörte Patienten untersucht, die im Jahr zwischen 20 und 200 Schlaftabletten nehmen. 20 Tabletten im Jahr – das ist nur eine alle drei Wochen! Selbst 200 Tabletten bedeuten eine Tablette an bloß jedem zweiten Tag. Was soll das für eine Behandlung sein? Es ist im Gegenteil so, dass Sie mit Tabletten älter werden als ohne – das Risiko für Krebs, Diabetes und so weiter ist niedriger.
Es wäre doch sinnvoller, die Ursachen zu bekämpfen, zum Beispiel Stress abzubauen.
Die Ursache einer Schlafstörung ist eine gestörte Balance bestimmter Hormone. Wir haben in unserem Körper drei Schlaf- und sieben, acht Wachstoffe. Wenn ich die Wahrscheinlichkeit in meinen Erbanlagen habe, ein schlechter Schläfer zu werden, dann ist Stress höchstens ein Auslöser. Natürlich kann Stress eine Schlafstörung auch unterhalten. Ist jemand ein schlechter Schläfer und wird gemobbt, kann er erst recht nicht schlafen. Das heißt aber nicht, dass er, wenn man das Mobbing abstellt, zum begnadeten Schläfer wird.
Zumindest wird er wieder ein wenig besser schlafen.
Das hoffe ich auch. Das Problem der gestörten Balance besteht aber weiter. Ich möchte Ihnen noch ein anderes Beispiel geben. Was, wenn einer zu viel Schlaf- oder zu wenig Wachstoff hat, also unter dem entgegengesetzten Problem leidet? Vor 15 Jahren kam eine junge Frau zu mir. Die beklagte sich: Herr Doktor, ich schlafe jede Nacht zwölf Stunden und am Tage auch noch mal vier, ich bin immer müde. Die hatte ihren Job als Zahnarzthelferin deshalb schon mehrmals verloren.
Konnten Sie etwas für die Frau tun?
Nein. Es gab nur ein, zwei Medikamente, die man ausprobieren konnte, und die haben nicht geholfen. Die Frau bleibt ihr Leben lang dauermüde. Sie ist mit Anfang 20 berentet worden.
Eine Frage, die viele Menschen betrifft: Wie sinnvoll sind die typischen Bürozeiten von neun bis fünf?
Eigentlich müssten die Arbeitgeber auf individuelle Arbeitszeiten setzen. Das ist das Ergebnis der Forschung. Also, dass man sagt: Das Büro muss, meinetwegen zwischen acht und 20 Uhr, immer besetzt sein, aber welche Schicht man arbeitet, das soll sich jeder Arbeitnehmer frei aussuchen.

Es gibt immer wieder Vorschläge, den Schulunterricht erst um neun Uhr beginnen zu lassen.
Für alle ab dem 13., 14. Lebensjahr ist das eine gute Idee. Denn in der Pubertät verschiebt sich der Schlafrhythmus um ein bis zwei Stunden nach hinten. Was viele nicht bedenken, sind die Auswirkungen dieses Modells für die Eltern. Die arbeiten ja um neun meist schon. Sie könnten dann nicht mit den Kindern frühstücken oder sie in die Schule bringen. Am besten späte Schulzeiten und variable Arbeitszeiten für die Eltern, das passt.

Untersuchungen haben gezeigt, dass es einen Wochenrhythmus gibt, am besten schläft man ...
... von Freitag auf Samstag und am schlechtesten von Sonntag auf Montag.
Lesern des „Sonntag“ droht eine unruhige Nacht.
Man hat am Wochenende eben oft ausgeschlafen, das Schlafdefizit ist sonntags also am geringsten. Hinzu kommt eine gewisse Aufregung: Die Arbeit steht wieder an, da geht einem mehr durch den Kopf. Ich rate, sonntags keinen Mittagsschlaf zu halten und vielleicht, wenn man beruflich viel am Schreibtisch sitzt, ein wenig Sport zu treiben..

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