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Stadt im Schutt. Trümmerfrauen in Berlin - sie wurden zum Symbol des Wiederaufbaus. Und zum Mythos.
© Stadtmuseum Berlin

Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Erzählung von den Trümmerfrauen war nie Realität

Menschenmassen, die voller Tatendrang Schutt schaufeln – im Nachkriegs-Berlin wurde Frauen idealisiert, die beim Wiederaufbau halfen. Doch die Erinnerung trügt.

Frauen schulterten nach dem Zweiten Weltkrieg einen erheblichen Teil der Aufbauarbeit in den zerstörten Städten. Doch das idealisierte Bild der „Trümmerfrau“, die voller Tatendrang Ziegel klopft und das Land wiederaufbaut, ist der neueren historischen Forschung zufolge zum großen Teil ein Mythos. Im Verhältnis hat nur ein kleiner Prozentsatz von Frauen Schutt geschaufelt – und das auch meist nicht freiwillig.

„In Berlin war der Frauenüberschuss nach dem Krieg besonders groß“, sagt Gregor Lietzau, Bildungsreferent am Deutschen Historischen Museum Berlin. Die Männer waren zum größten Teil gefallen oder befanden sich in Kriegsgefangenschaft. Deshalb seien in allen vier Sektoren der Hauptstadt Frauen für Aufräumarbeiten eingesetzt worden.

Doch die wenigsten dieser Arbeitskräfte hätten sich aus „innerer Überzeugung“ für den Wiederaufbau gemeldet. Vielmehr hätten sie aus einer sozialen Notlage gehandelt. Denn wer die schwere Räumarbeit leistete, bekam bessere Lebensmittelmarken und daher größere Rationen. Dennoch sei der Anteil dieser weiblichen Arbeitskräfte an der Gesamtbevölkerung vergleichsweise gering gewesen. „Man kann sicher nicht von einer Trümmerfrauen-Generation sprechen“, sagt Lietzau.

Die Historikerin Leonie Treber hat den Mythos der Trümmerfrau erforscht und darüber ihre Doktorarbeit geschrieben. „In Deutschland lagen 400 Millionen Kubikmeter Trümmer und Schutt“, sagt sie. „Hätte man die an einer Stelle aufgeschüttet, wäre daraus ein Berg von etwa 4000 Metern Höhe entstanden, also von alpinen Ausmaßen.“

Allein mit Eimer und Schaufel wäre die Räumung einer solch großen Masse an Schutt nicht so schnell möglich gewesen. „Die Hauptakteure der Trümmerräumung waren Bauunternehmen und Fachkräfte“, sagt Treber.

In Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) seien besonders viele Frauen im Arbeitseinsatz gewesen. „Dennoch muss man davon ausgehen, dass nicht einmal fünf Prozent der Berliner Frauen im arbeitsfähigen Alter als Trümmerfrauen tätig waren“, sagt Treber.

Der Höchststand eingesetzter Frauen sei im Frühjahr 1946 erreicht worden. Damals seien etwa 26.000 Frauen als sogenannte Bauhilfsarbeiterinnen beschäftigt gewesen. Zu dieser Zeit hätten in Berlin jedoch etwa 500.000 Frauen im arbeitsfähigen Alter gelebt.

Die Fotos von damals muss man hinterfragen

In den westlichen Besatzungszonen seien noch deutlich weniger Frauen zu Arbeitseinsätzen geschickt worden, sagt Treber. Das habe auch am Frauenbild der dortigen Besatzer gelegen, die mehr „Bedenken“ als die Sowjets gehabt hätten, Frauen für schwere, körperliche Arbeit einzusetzen.

„Die Fotografien, die heute noch kursieren, muss man hinterfragen“, sagt Treber. Die meisten Bilder stammten aus Berlin und zeigen arbeitslose Frauen, die im Rahmen der Programme für Lebensmittelkarten den Schutt wegräumten. „Es gibt aber zum Beispiel auch Fotos aus Freiburg, die heute als Bilder von Trümmerfrauen publiziert werden.“

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Die würden aber Studentinnen zeigen, die Trümmer auf dem Gelände der Universität räumen mussten. Als Lohn für den Arbeitseinsatz erhielten sie die Zulassung zum Studium. Diese Frauen hätten zwar ihre Arbeit geleistet, damals aber nicht als Trümmerfrauen gegolten. Und freiwillig sei ihr Einsatz auch nicht gewesen. Auf Bildern aus München und anderen Städten seien auch ehemalige NSDAP-Mitglieder zu sehen, die von den Besatzungsmächten zwangsverpflichtet wurden, sagt Treber.

Im Steinbruch. Für die harte Arbeit in den Trümmerbergen Berlins gab es zusätzliche Lebensmittelkarten.
Im Steinbruch. Für die harte Arbeit in den Trümmerbergen Berlins gab es zusätzliche Lebensmittelkarten.
© bpk/Herbert Hensky

Doch woher kommt der Mythos? Die Bezeichnung „Trümmerfrauen“ tauche zuerst in Tageszeitungen und Frauenzeitschriften auf, die 1946 in Berlin und der SBZ erschienen, sagt die Historikerin. „Meine These ist, dass dahinter eine regelrechte Medienkampagne stand.“

Deren Ziel sei es gewesen, mehr Arbeitslose für den freiwilligen Einsatz bei der Trümmerräumung zu gewinnen. Denn zu dieser Zeit verbesserte sich die Versorgungslage bereits, aus bloßer Not mussten viele nun nicht mehr schwer schuften. Daher habe die sowjetische Besatzungsmacht versucht, diese Arbeit möglichst positiv darzustellen.

In der DDR waren Trümmerfrauen ein Vorbild

Im Nationalsozialismus habe das Trümmerräumen als Strafarbeit gegolten, sagt Treber. Ab 1942 sei es vor allem von zivilen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen erledigt worden. Und auch nach der deutschen Kapitulation hätten die alliierten Besatzer ihrerseits zu Beginn deutsche Soldaten und ehemalige NSDAP-Mitglieder zwangsverpflichtet.

Das Trümmerräumen sei daher von der Bevölkerung als Strafarbeit wahrgenommen worden. Diesem negativen Image habe man das Bild der heldenhaften Trümmerfrau entgegensetzen wollen. So sei der Mythos entstanden von der deutschen Frau, die im Bombenkrieg Leid erfahren habe, doch jetzt tatkräftig und voller Tatendrang das Land wiederaufbauen wolle. Der Realität habe das aber schon damals nicht entsprochen.

In der DDR sei die Trümmerfrau darüber hinaus auch zum Vorbild für „die neue sozialistische Frau und ihre unbändige Arbeitsmoral“ aufgebaut worden, sagt Treber. Der Ost-Berliner Oberbürgermeisters Friedrich Ebert junior bezeichnete die Trümmerfrauen 1965 in einer Rede als „Bahnbrecher des Fortschritts“, die „am Fundament des Sozialismus“ gebaut hätten. Die Historikerin sagt: „In der DDR hatte die Trümmerfrau als Erinnerungsfigur bis zur Wende einen festen Platz.“

Auch in West-Berlin sei sie Teil der „städtischen Erinnerungskultur“ gewesen, sagt Treber. 1955 beispielsweise wurde das Trümmerfrau-Denkmal im Neuköllner Volkspark Hasenheide errichtet. In den westlichen Bundesländern hingegen habe das Thema kaum eine Rolle gespielt. Das habe sich erst in den 1980er Jahren geändert.

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Anlass dafür sei die Debatte um das so- genannte Babyjahr gewesen, das 1986 durch die Regierung Kohl eingeführt wurde. Die Betreuung eines Kindes wird seither auf die Rente der Mutter angerechnet. Weil die Regelung aber Frauen ausschloss, die vor 1921 geboren waren, protestierten Interessenvertreter wie die „Grauen Panther“ dagegen und erklärten, es sei ein Skandal, wenn jene Generation von Frauen ausgeschlossen werde, die Deutschland wiederaufgebaut hätte.

Unterstützung erhielten sie von der Frauenbewegung. Bis dahin sei in Büchern und Dokumentationen von „Berliner Trümmerfrauen“ die Rede gewesen, doch ab den 1980er Jahren sei der Mythos der Trümmerfrau auf eine ganze Generation ausgeweitet worden, sagt Treber.

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