Die Unruhe bleibt nach der Wahl von Giffey: Die Berliner SPD steht geschlossen – vorerst
Mit 90 Prozent der Stimmen haben die Sozialdemokraten ihre neue Chefin gewählt. Das Ergebnis ist besser als erwartet, die Unruhe bleibt. Ein Kommentar
Es ist vollbracht. Nach zähen Monaten des Wartens und zweifacher Verschiebung des Landesparteitags hat die Berliner SPD eine neue Doppelspitze gewählt.
Mit knapp 90 Prozent der Stimmen für Franziska Giffey und immerhin 69 Prozent für Fraktionschef Raed Saleh gab sie beiden Bewerbern ein gutes, mit Blick auf die fragmentierte Berliner SPD sogar sehr gutes Ergebnis mit auf den Weg.
Die Werte lagen im Rahmen dessen, was erwartet worden war. Von einer vor wenigen Wochen noch kolportierten Schlappe für Saleh keine Spur.
Die Erleichterung war den beiden Nachfolgern von Michael Müller dann auch spürbar anzusehen. Zwar mussten sie auf den warmen Beifall der Genossen verzichten, der Parteitag fand digital statt.
Dennoch bedankten sich sowohl Giffey als auch Saleh aufrichtig bei den Delegierten. „Vielen Dank für den Rückenwind, das Vertrauen, die Unterstützung und die Solidarität“, sagte Giffey direkt im Anschluss an die Bekanntgabe des Wahlergebnisses.
Sie übernehmen eine exzentrische Partei
Am Tag zuvor hatte sie eine Bewerbungsrede gehalten, die von einigen Parteimitgliedern als „die beste seit Jahren“ bezeichnet wurde. Wieder andere attestierten genau das dem mit einer kämpferischen Rede aus dem Amt des SPD-Landeschefs geschiedenen Michael Müller.
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Die Berliner SPD spricht selten mit nur einer Stimme. Daran werden vermutlich auch Giffey und Saleh nichts ändern können - Superwahljahr hin oder her.
Entscheidend wird sein, ob es beiden – und allen voran dem als Strippenzieher bekannten Saleh – gelingen wird, die Fliehkräfte innerhalb der als exzentrisch geltenden Partei in Grenzen zu halten. Denn auch wenn Giffey am Freitagabend erklärt hatte, die Partei könne sich immer auf sie verlassen, "egal was passiert und was die Leute sagen“. Es bleibt eine latente Unruhe.
Der Streit um Giffeys Doktortitel bleibt ein Problem
Im kommenden Februar will die Freie Universität das Ergebnis der zweiten Überprüfung von Giffeys Doktorarbeit bekannt geben. Endet die Prüfung mit dem Entzug des Doktortitels, wie ihn nicht nur Kritiker Giffeys für wahrscheinlich halten, droht der Partei erneute Unruhe.
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Juso-Chef Kevin Kühnert, prominenter Vertreter des in der Berliner SPD traditionell starken linken Parteiflügels, erklärte am Freitagmorgen in einem Radiointerview: „Natürlich stehen wir zu Franziska Giffey, solange niemand nachgewiesen hat, dass sie irgendwelchen Mist gebaut hat."
Die Hintertür steht nach diesem Statement offen. Das sieht in der Partei nicht nur Kühnert so. Denn klar ist: Verliert Giffey den von ihr zuletzt präventiv abgelegten Titel, wird der Rücktritt vom Ministerinnenposten fällig. Auf die Frage, ob sie dann trotzdem für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kandidieren sollte, gibt es in der Partei verschiedene Antworten.