Volksentscheide in Berlin: Die Angst vor dem Verpuffen
54.000 unterschreiben den Volksentscheid „Rettet den Volksentscheid“, damit des Volkes Willen von Dauer ist. 70.000 Stimmen werden benötigt.
Wäre der Wille des Volkes Maßstab für ein Urteil über die Regierenden, dann stünde es schlecht um das Zeugnis dieses Senats so kurz vor dessen Abgang bei der Wahl im September. Nach dem krachenden Erfolg des Fahrrad-Volksentscheides rockt sogar ein so sperriges Unterfangen wie das Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ Berlin: 54 000 haben für die damit vorgeschlagene Änderung der Verfassung unterschrieben – und wären alle Stimmen gültig, leserlich und nicht doppelt abgegeben, wären die Initiatoren schon am Ziel.
„Wir sind aber noch nicht am Ziel, wir brauchen 70 000 Stimmen“, sagt Aktivistin Kerstin Meyer. Sie war schon bei der Rettung des Tempelhofer Feldes vor den Baukolonnen dabei und schon damals waren 22 Prozent der abgegebenen Stimmen ungültig. Nur weil deutlich mehr unterschrieben als nötig, kam es zum Volksentscheid – und heute schützt das Tempelhof-Gesetz das Feld. Beschwingt vom Etappensieg eines Dutzend durch die „Tempelhof-Affäre“ Politisierter, ist sie trotzdem: Ohne Büro, ohne Geld, aber mit dem Rückhalt der vielen Tausend Unterzeichnenden „kann ich das nur jedem empfehlen“.
Dabei wurde sie am Donnerstag beim Sammeln von Stimmen vom Tempelhofer Feld gejagt – ausgerechnet von der Stätte ihres größten Erfolgs. Der Pächter des Biergartens am Columbiadamm habe ihr das Sammeln von Unterschriften verboten. Aber Gäste, die den Wortwechsel verfolgt hatten, hätten prompt reagiert: „Gib’ mal rüber, wir unterschreiben“, erzählt Meyer. Auch die Wut darüber, dass auf dem Feld immer noch keine Sitzbänke stehen, bekomme sie öfters mal ab – obwohl die landeseigene Grün Berlin da in der Pflicht sei. Andere winkten unwirsch ab: „Bringt ja doch nichts!“
Die Durchlöcherung ebne Weg zur Bebauung
Könnte man meinen bei dem Schicksal des Tempelhofer-Feld-Gesetzes. Das wäre fast gerade mal ein Jahr nach dessen Einsetzung durch das Volk vom Abgeordnetenhaus auf Initiative des Senats wieder kassiert worden. Jedenfalls ist das ursprüngliche Verbot jeglicher Bebauung durch die tatsächlich beschlossene Änderung durchlöchert. Nun steht die Blumenhalle auf dem geschützten Areal, obwohl diese bis heute nicht genutzt wird.
Stoff für Verschwörungstheorien: Die Durchlöcherung des Gesetzes ebne den Weg zur Bebauung, was der Senat weit von sich weist. Bleibt aber die Tatsache, dass jedenfalls theoretisch der Wille des Volkes von den Regierenden jederzeit und kurzfristig, ohne Unterschriftensammlung und Urnengang wie im Fall von Tempelhof einfach durch Erlass eines weiteren Gesetzes wieder abgeräumt werden kann.
„Dann machen Volksentscheide doch keinen Sinn“, finden die Aktivisten, wollen das ändern – und genau das soll das Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ leisten. Mit diesem ermächtigen sich die Berliner gleichsam selbst, bei wichtigen stadtweiten Entscheidungen wie zum Ausbau der Fahrradwege, zu Wasser- und Stromversorgung oder eben um das Tempelhofer Feld baufrei zu halten, ein gewichtiges und nicht per Federstrich wieder zu kassierendes Wort mitreden zu können. Denn nach Inkrafttreten dieses von bisher 54000 Berlinern begehrten Gesetzes müsste das Abgeordnetenhaus zur Änderung von Volksgesetzen selbst wiederum das Volk hinter sich bringen.
Senat versucht Volksentscheide auszutricksen
Weil es eben jede Initiative von Bürgern betrifft, die sich zu Volksbegehren entwickeln, sind bei den Treffen der Aktivisten Mitglieder von Mieten- sowie Fahrradvolksentscheid dabei, vom Wasser- sowie vom S-Bahn-Tisch und vom Verein Mehr Demokratie. Die wichtigsten Unterstützer sind für Meyer aber Unterzeichner selbst, denen die Aktivisten Unterschriftenlisten für Freunde, Nachbarn und Kollegen sowie einen Rücksendeumschlag mit auf den Weg geben und nun dringend auf Post warten, weil die Stimmen möglichst schnell eingereicht werden sollen.
Auch die Linke unterstützt die Ziele. Die Grünen vom Grundsatz her auch: „Der Senat versucht jedes Mal Volksentscheide auszutricksen“, sagt Fraktionschefin Antje Kapek, zuletzt indem er sich selbst ermächtigte, Steuergelder des Volkes für Kampagnen gegen das Volk einzusetzen. Unterschrieben hat sie noch nicht. Noch prüften Rechtsexperten der Fraktion die Absenkung der Hürden für Änderungen der Verfassung, damit Volksgesetze wie dieses bessere Chancen haben.