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Rudi Dutschke im Dezember 1967
© dpa/Wilhelm Bertram

Attentat vor 50 Jahren: Der Tag, an dem Rudi Dutschke niedergeschossen wurde

Rudi Dutschke war das Gesicht der rebellischen Studenten. Das Attentat am Ku'damm vom 11. April 1968 erschütterte eine ganze Generation.

Der Besucher klingelte an einer Wohnungstür im Haus Kurfürstendamm 140. Hier, im Herzen West- Berlins, hatte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) seine Zentrale, es war der 11. April 1968, Gründonnerstag. Ein Student öffnete die Tür. Er sah, dass der Besucher eine hellbraune Lederjacke und eine Tasche trug. Den belgischen Schreckschussrevolver mit durchbohrtem Lauf und die 49 Schuss Weichbleimunition sowie Gas- und Schreckschusspatronen in der Tasche sah er nicht.

„Ist Rudi Dutschke da?“, fragte der Fremde. Der Student nickte. Dutschke, der charismatische Wortführer der Studentenbewegung, sammelte in der SDS-Zentrale Material für einen Artikel, den er schreiben wollte. Der Besucher verließ das Haus wortlos. Fünf Minuten später trat auch Dutschke auf die Straße, er wollte Nasentropfen für seinen Sohn Hosea-Che holen. Plötzlich trat der junge Mann mit der hellbraunen Lederjacke auf ihn zu und fragte: „Sind Sie Rudi Dutschke?“

"Ist Rudi Dutschke da?" Dann knallten Schüsse

Dutschke zögerte kurz, sagte dann „ja“, und Sekundenbruchteile später knallten Schüsse. Während er „Du dreckiges Kommunistenschwein“ brüllte, schoss Josef Bachmann dreimal auf Dutschke, in den Kopf, in den Hals und in die Brust. Dutschke brach zusammen.

Josef Bachmann, der 23-jährige vorbestrafte Hilfsarbeiter, der ein selbst gemaltes Hitlerbild in seinem Schlafzimmer hängen hatte, schoss auf dem Kurfürstendamm nicht bloß den Wortführer rebellischer Studenten zusammen, er löste mit seinem Attentat auch die größten Straßenschlachten aus, die es bis dahin in der Bundesrepublik gegeben hatte.

Berühmte Aufnahme. Das Foto von Rudi Dutschkes Fahrrad nach dem Anschlag.
Berühmte Aufnahme. Das Foto von Rudi Dutschkes Fahrrad nach dem Anschlag.
© dpa/Chris Hoffman

Dutschke war nicht bloß ein wortgewaltiger Student. Er war für viele das Symbol des Protests einer Generation junger Menschen, die den Staat nur noch als reaktionär empfanden. Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2.Juni 1967, erschossen von einem Polizisten bei Protesten, der Vietnamkrieg, die wenig aufgearbeitete Zeit des Nationalsozialismus, die Große Koalition in Bonn, die eine außerparlamentarische Opposition auf der Straße provozierte, in diesem Reizklima fielen die Schüsse.

Und dieses Reizklima hatten maßgeblich Zeitungen des Springer-Konzerns befeuert, allen voran „Bild“. „Stoppt den Terror der Jungroten jetzt“, forderte „Bild“. Die Springer-Zeitung „Berliner Morgenpost“ war ebenfalls nicht zimperlich: „Störenfriede ausmerzen“. Publizistisch geschossen wurde gegen „die rote SA“, „FU-Chinesen“ und „Polit-Gammler“. Das Gesicht dieser Attacken war Dutschke. Er redete zwar in verquastem Soziologen-Deutsch, er war in der linken Szene keineswegs unumstritten, aber seine wilde Leidenschaft, sein stechender Blick, gaben ihm enorme Ausstrahlung. Wortführer für die einen, Hassfigur für die anderen.

Attentäter versteckte sich in einem Charlottenburger Kiez

Der Angriff auf Dutschke, der war für Zehntausende junger, zorniger Leute deshalb auch ein Angriff auf ihre Generation. Mit Dutschke sollten auch ihre Ideen und Forderungen sterben. So empfanden es viele.

Doch Dutschke überlebte, allerdings mit bleibenden Schäden. Auch Bachmann landete auf dem OP-Tisch. Kurz nach der Tat, aus seinem Versteck auf einer Baustelle in der Nestorstraße 54, schoss er um sich. Polizeikugeln trafen ihn in Brust und Arm. Auch er überlebte.

In vielen Städten herrschte Aufruhr

Während Täter und Opfer ums Überleben kämpften, herrschte in vielen Städten Aufruhr. In 27 Städten gab es über die Ostertage Demonstrationen mit jeweils 5000 bis 18.000 Teilnehmern, in 50 Städten blockierten Demonstranten den Verkehr. In München starben ein Pressefotograf und ein Student, der tödlich von Steinen getroffen wurde; mehr als 400 Demonstranten und 54 Polizisten wurden insgesamt verletzt. Und nicht bloß Studenten protestierten auf den Straßen, auch Schüler, Angestellte, Arbeiter, Lehrlinge. Die Welle hatte alle erfasst.

Aber am heftigsten waren die Proteste in Berlin. Unmittelbar nach dem Attentat saßen SDS-Funktionäre mit weiteren Rebellen zusammen und berieten über angemessene Antworten. Schnell waren sich alle einig, „dass etwas geschehen muss“.

Und sehr bald war auch klar, wo: In der damaligen Kochstraße lag das Verlagshaus des Springer-Konzerns, 19 Stockwerke hoch, bronzefarben, direkt an der Mauer, für die wütenden Demonstranten das Sinnbild der reaktionären Gesellschaft, die Quelle der Hetze gegen die rebellische Generation. Im Radio lief die Falschmeldung, Dutschke sei seinen Verletzungen erlegen, das heizte die Stimmung noch mehr an.

Vereint. Seit 1996 wird in Kreuzberg an den Verlagschef, seit 2008 an den Studentenführer erinnert.
Vereint. Seit 1996 wird in Kreuzberg an den Verlagschef, seit 2008 an den Studentenführer erinnert.
© Johannes Eisele/dpa

In der Technischen Universität hatten sich bereits 2000 Studenten versammelt, sehr schnell wurde das Marschziel festgelegt: das Springer-Hochhaus. SDS-Funktionär Bernd Rabehl verkündete: „Ich erinnere daran, dass auch Neubauer und Schütz zusammen mit der Springer-Presse die Verantwortung für einen Mörder tragen, der sich an Rudi herangemacht hat, um ihn niederzuschießen. Und ich spreche ganz deutlich aus, die wirklich Schuldigen heißen Springer, und die Mörder heißen Neubauer und Schütz.“ Klaus Schütz (SPD) war Regierender Bürgermeister, Kurt Neubauer Innensenator.

Eine Demonstration zog zu Springer

Der Demonstrationszug marschierte nach Kreuzberg, Sprechchöre ertönten: „Springer – Mörder“ und „,Bild‘ hat mitgeschossen“. Vor dem Springer-Hochhaus warteten gerade mal 200 Polizisten, es war Ostern, es war kaum Personal verfügbar. Die Demonstranten waren verblüfft. Sie hatten mit Stacheldraht und Heerscharen von Polizisten und damit massiver Gegenwehr gerechnet. Nun aber verließ die meisten der Mut, der Sturm blieb aus. Und die paar Rebellen, die aufs Gelände vordrangen, stießen sehr schnell „auf die geballte Macht der Arbeiterklasse“, sagte Rabehl später. Die Arbeiterklasse zeigte sich in Form von Druckern, die mit Hartgummistäben ihre Arbeitsplätze verteidigen würden. Der Kommunarde Dieter Kunzelmann blieb an der Drehtür des Eingangs hängen, Arbeiter wollten ihm rote Farbe über den Kopf schütten. Leitende Springer-Mitarbeiter retteten ihn. Eine fast schon skurrile Szene.

Aber zumindest die Auslieferung der Zeitungen wollten die Demonstranten nun verhindern. Einige warfen Steine auf die Glasfassaden der Eingangshalle. In der Menge stand auch Ulrike Meinhof, damals renommierte Kolumnistin. Noch war sie nicht in den Untergrund abgetaucht, noch hatte sie nicht die Rote Armee Fraktion (RAF) mitbegründet.

Auch Fensterscheiben der Druckerei gingen zu Bruch, auf einmal flogen Steine, Fackeln und kleine Brandbomben. Peter Urbach, ein Agent Provocateur des Berliner Verfassungsschutzes, hatte sie verteilt. Die Drucker löschten alle Brandsätze, die durch die Fenster in Richtung der riesigen Papierrollen geflogen waren. Auch Barrikaden hatten die Demonstranten gebaut, doch die schob die Polizei zur Seite. Einige Springer-Fahrzeuge waren ausgebrannt, die restlichen konnten die Zeitungen trotzdem ausliefern, wenn auch mit Verspätung. Die Schlagzeile von „Bild“ lautete: „Terror in Berlin“.

Verletzter Attentäter. Josef Bachmann. 
Verletzter Attentäter. Josef Bachmann. 
© Chris Hoffmann/dpa

Für einzelne Demonstranten leitete der Aufruhr in der Kochstraße eine militante Karriere ein. Einer von ihnen war Michael Baumann. „Als ich vor den Flammen gestanden bin, ist mir klar geworden: Hier kannst du etwas erreichen“, sagte er später. Später gründete Baumann mit Gesinnungsgenossen die terroristische „Bewegung 2. Juni“. Und Ulrike Meinhof wurde zum Sprachrohr der Roten Armee Fraktion (RAF).

Einen Tag nach den Protesten vor der Springer-Zentrale war die bekannte Journalistin noch bloß verbal radikal: „Zündet man ein Auto an, ist das eine strafbare Handlung. Werden Hunderte Autos angezündet, ist das eine politische Aktion“, verkündete sie.

Im Mai 1970 ging Ulrike Meinhof in den Untergrund. Josef Bachmann, wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Haft verurteilt, erlebte es nicht mehr. Er stülpte sich im Februar 1970 im Gefängnis eine Plastiktüte über den Kopf und erstickte. Rudi Dutschke ließ sich 1970 in Arhus, Dänemark, nieder. Er musste mühsam wieder Sprechen und Lesen lernen. Aber letztlich kostete ihn das Attentat doch noch das Leben. Weihnachten 1979 erlitt er in seiner Badewanne einen epileptischen Anfall, Spätfolgen der Schussverletzungen. Dutschke ertrank. Er wurde 39 Jahre alt.

Elf Jahre zuvor hatte er Berliner Fernsehreportern erklärt: „Natürlich kann immer mal ein Wahnsinniger oder ein Neurotiker auf mich etwas verüben, aber ich habe keine Angst.“ Das Interview gab er am Morgen des Gründonnerstag 1968. Ein paar Stunden später klingelte Josef Bachmann an der Tür der SDS-Zentrale.

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